Schnell freisetzende Amitriptylin-HCl-Präparate im Vergleich |
21.05.2007 11:16 Uhr |
Schnell freisetzende Amitriptylin-HCl-Präparate im Vergleich
Von Astrid Kaunzinger, Phillip Krüger, Elke Schmitt, Petra Grötsch, Kerstin Bohlmann, Mona Tawab und Manfred Schubert-Zsilavecz
Das ZL hat 13 schnell freisetzende Amitriptylin-HCl 10-, 25-, 50-, 75- und 100-mg-Präparaten des deutschen Marktes hinsichtlich ihrer pharmazeutischen Qualität geprüft. Beurteilt wurden die Identität, die Gleichförmigkeit der Masse, der Wirkstoffgehalt und das In-vitro-Freisetzungsverhalten.
Amitriptylin zählt zur Arzneistoffgruppe der trizyklischen Antidepressiva und wird zur Behandlung depressiver Zustände mit den Leitsymptomen Schlafstörungen, Angst und innere Unruhe sowie zur Behandlung chronischer Schmerzzustände eingesetzt. Seit 1962 auf dem Markt, war es bis zum Aufkommen der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer lange Jahre das meistverordnete Antidepressivum weltweit. Zu berücksichtigen sind vor allem anticholinerge Nebenwirkungen. Amitriptylin verfügt über eine basische Seitenkette, die mit dem Dibenzocycloheptadien-Ringsystem über eine exozyklische Doppelbindung verknüpft ist.
In der Rubrik Originalia werden wissenschaftliche Untersuchungen und Studien veröffentlicht. Eingereichte Beiträge sollten in der Regel den Umfang von zwei Druckseiten nicht überschreiten und per E-Mail geschickt werden. Die PZ behält sich vor, eingereichte Manuskripte abzulehnen. Die veröffentlichten Beiträge geben nicht grundsätzlich die Meinung der Redaktion wieder.
Alle trizyklischen Antidepressiva hemmen mehr oder weniger stark die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin. Darüber hinaus sind sie an einer Reihe von Neurorezeptoren (histaminerge, muscarinerge, α1-, α2-, 5-HT2-Rezeptoren) als Antagonisten wirksam. Antagonistische Eigenschaften an muscarinergen Rezeptoren führen zu Mundtrockenheit, Akkommodationsstörungen, Tachykardie, Obstipation, Miktions- und Gedächtnisstörungen. Eine hohe Affinität zu H1-Rezeptoren kann bei zentral wirksamen Verbindungen Sedierung und Gewichtszunahme verursachen. Auch die Blockade von 5-HT2-Rezeptoren führt zu Appetit- und Gewichtszunahme. α1-Rezeptor-Blockade ist mit Orthostase-Problemen und Reflextachykardie verbunden.
Material und Methoden
In Tabelle 1 (nur in der Druckausgabe) sind die in die Untersuchung einbezogenen Fertigarzneimittel gelistet. Alle Präparate wurden über den pharmazeutischen Fachhandel bezogen.
Die Untersuchungen wurden nach der Monographie für »Amitripyline Hydrochloride Tablets« des Amerikanischen Arzneibuches (USP 29) unter Berücksichtigung des Europäischen Arzneibuches (Ph.Eur. 5.00) durchgeführt. Die Präparate wurden hinsichtlich folgender Prüfpunkte untersucht:
Identität,
Gleichförmigkeit der Masse,
Gehalt,
In-vitro-Freisetzungsverhalten
Alle Prüfungen erfolgten vor Ablauf der Verwendbarkeitsfrist
Gleichförmigkeit der Masse
Die Bestimmung erfolgte gemäß Europäischem Arzneibuch (Ph.Eur. 5.00, Ziffer 2.9.5, »Gleichförmigkeit der Masse einzeldosierter Arzneiformen«). Hierzu wurde durch Wägung 20 einzelner Tabletten die prozentuale Standardabweichung jeder einzelnen Darreichungsform vom Mittelwert ermittelt. Alle untersuchten Präparate erfüllten das Akzeptanzkriterium (für Filmtabletten mit einer Durchschnittsmasse von mehr als 80 und weniger als 250 mg: maximal zwei Einzelwerte mit einer Standardabweichung von ≥7.5 Prozent, für Filmtabletten mit einer Durchschnittsmasse von mehr als 250 mg: maximal zwei Einzelwerte mit einer Standardabweichung von ≥5 Prozent). Alle untersuchten Präparate entsprachen der Prüfung.
Gehaltsprüfung
Die Gehaltsbestimmung wurde nach der Monographie »Amitripyline Hydrochloride Tablets« der USP 29 durchgeführt. Der Arzneistoff wurde mittels HPLC unter Verwendung eines Fließmittelsystems aus Phosphatpuffer und Acetonitril an C18-Material als stationärer Phase quantifiziert. Mit isokratischer Elution wurde bei 23°C Säulentemperatur die Absorption der Proben im UV bei 254 nm gegenüber Referenzstandard gemessen. Hierbei wurden die Akzeptanzkriterien von 90,0 bis 110,0 Prozent des deklarierten Gehalts, die in der USP 29 vorgeschrieben sind, von allen getesteten Produkten eingehalten. Mit dieser Methode wurden Werte zwischen 93,3 und 98,2 Prozent der deklarierten Konzentration bestimmt (siehe auch Diskussion der Ergebnisse, Tabelle 2 [nur in der Druckausgabe]).
In-vitro-Freisetzung
Auch die In-vitro-Freisetzung wurde nach den Vorgaben der Monographie für Amitriptyline Hydrochloride Tablets der USP 29 durchgeführt. Entsprechend den Anforderungen darf die freigesetzte Wirkstoffmenge in 0,1 n Salzsäure nach 45 Minuten 75 Prozent der Deklaration nicht unterschreiten. Die Quantifizierung von Amitriptylin-HCl aus der In-vitro-Freisetzung erfolgte nach Probenaufarbeitung photometrisch durch Messung der Absorptionsdifferenzen bei 239 nm. Zur Erstellung eines Freisetzungsprofils wurden nach 15, 30, 45 und 60 min Proben gezogen und deren Wirkstoffgehalt bestimmt. Nach 45 min wurden Wirkstoffgehalte zwischen 93,9 und 102,7 Prozent der Deklaration bestimmt. Damit erfüllten alle Arzneimittel die Anforderungen der USP 29 (Messwerte siehe Tabelle 2 und Abbildung 1a und 1b Dissolutionsprofile [nur in der Druckausgabe]). Die hier ermittelten »höheren« Werte sind nicht zwangsläufig widersprüchlich zu den Ergebnissen der Gehaltsbestimmungen, sondern könnten, zum Beispiel durch die (verglichen mit der zur Quantifizierung verwendeten HPLC-Methode) unspezifischere photometrische Messung erklärt werden.
Biopharmazeutisches Klassifizierungssystem
Die Frage, ob ein oral appliziertes Medikament zuverlässig wirkt, ist nicht nur von pharmakodynamischen Eigenschaften abhängig, sondern wird wesentlich davon beeinflusst, wie gut und schnell der Wirkstoff systemisch verfügbar wird. Für die Einteilung eines pharmazeutischen Wirkstoffes anhand seiner Löslichkeit im wässrigen Medium und seiner Permeabilität gibt das »Biopharmazeutische Klassifizierungssystem« einen wissenschaftlichen Rahmen (1).
In der Literatur wurde Amitriptylin zum einen eine gute, zum anderen eine schlechte Löslichkeit zugewiesen (2). Allerdings beruhen diese Löslichkeitsaussagen nicht auf experimentell bei 37°C ermittelten Werten, sondern auf Löslichkeitsversuchen bei 25°C und darauf aufbauenden empirischen Berechnungen (3). Vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Aussagen zur Löslichkeit von Amitriptylin erfolgten die Untersuchungen zur Löslichkeit im Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker wie in den internationalen Richtlinien gefordert. Betrachtet wurden 100 mg des Wirkstoffs (höchste therapeutische Einzeldosis) in 250 ml in verschiedenen Testmedien (pH-Bereich 1,0-6,8) bei 37°C (4, 5, 6 ).
Die höchste Einzeldosis von 100 mg wird in 250 ml wässrigem Medium im pH-Bereich zwischen pH 1 und 6,8 schnell und vollständig gelöst. Zudem verhält sich Amitriptylin in sauren und neutralen Lösungen, die für die physiologische Resorption vorwiegend relevant sind, über einen Zeitraum von drei Stunden stabil.
Die Permeabilität von Amitriptylin wurde im ZL analog den Richtlinien mithilfe der CaCo-2-Zellkultur unter variablen experimentellen Bedingungen, die Aufschluss über zelluläre Transporteigenschaften der Substanz geben sollen, untersucht. Der im ZL ermittelte Permeationskoeffizient (apikal › basolateral) für die höchste Einzeldosis beträgt 16,7 E-6 cm/s und deutet somit auf eine hohe Permeabilität von Amitriptylin hin. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit den in der Literatur beschriebenen hohen Permeabilitätseigenschaften von Amitriptylin (7). Sowohl der wesentlich höhere Permeationskoeffizient von 97,0 E-6 cm/s in umgekehrter Transportrichtung (basolateral › apikal) als auch die festgestellte Konzentrations- und Temperaturabhängigkeit des Transportes weisen jedoch auf einen aktiven Transport hin.
Trotz der in vitro nachgewiesenen hohen Permeabilität wird die orale Bioverfügbarkeit von Amitriptylin mit lediglich 48 Prozent +/- 11 angegeben, was auf einen extensiven first past metabolismus hindeutet, der über Demethylierung zur Bildung des pharmakologisch ebenfalls wirksamen Nortriptylins führt (8).
Zusammenfassung
Die Amitriptylin-Reihenuntersuchung zeigt, dass alle untersuchten Präparate die Anforderungen der Arzneibücher erfüllen. Die analytischen Ergebnisse weisen darauf hin, dass die 13 schnell freisetzenden Amitriptylin-Präparate in unterschiedlichen Stärken eine hohe pharmazeutische Qualität aufweisen. Die Untersuchungsergebnisse können im Hinblick auf die Aut-idem-Regelung in der Apothekenpraxis von Bedeutung sein.
Die Hersteller der geprüften Produkte wurden vor der Publikation und unter Vorgabe einer Widerspruchsfrist von den Ergebnissen unterrichtet. Folgende Stellungnahmen sind im ZL eingegangen:
Die Firma Bayer Health Care AG bittet um Veröffentlichung folgender Ergebnisse »... wir haben die in Ihrer Reihenuntersuchung verwendete Charge nochmals mit unserer Bayer-Methode und mit der USP-Methode untersucht. Hierbei stellte sich heraus, dass die verwendete USP-Methode nicht optimal ist und ein großes Tailing verursacht. Folgende Analysenergebnisse liegen uns nun vor:
Prüfung nach Bayer-Methode:
Gehalt 99,3 Prozent
Freisetzung nach 30 Minuten: 99 Prozent
Prüfung nach USP29-Methode:
Gehalt: 97,0 Prozent
Freisetzung nach 30 und 45 Minuten:
100 Prozent«
neuraxpharm Arzneimittel GmbH & Co. KG informiert »... dass wir mit unserer produktspezifisch validierten Methode an dieser Charge einen Gehalt von 98,6 Prozent ermittelt haben. Stabilitätsprüfungen über fünf Jahre haben keinen relativen Abbau des Wirkstoffgehalts aufgezeigt. Dieses Ergebnis zeigt im Übrigen eine relativ gute Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Freisetzungsuntersuchung im ZL.
Eine Gehaltsbestimmung einer Arzneibuchmonographie für Darreichungsformen ist im Gegensatz zu Methoden für den reinen Wirkstoff nicht per se als valide anzusehen... Wir gehen davon aus, dass Sie Ihre Methode nicht in Bezug auf die Tablettenmatrix von Amitriptylin-neuraxpharm 75 mg validiert haben und vertrauen daher unseren Ergebnissen...«
Abschließende Bemerkung des ZL
Das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker hat als unabhängige Instanz den satzungsgemäßen Auftrag, einen Beitrag zur Arzneimittelsicherheit in der Bundesrepublik Deutschland zu leisten. In unseren vergleichenden Untersuchungen richten wir uns nach den Vorgaben geltender Arzneibücher, da deren Methoden als valide zu betrachten sind.
Wir möchten an dieser Stelle hervorheben, dass die in den Pharmakopöen veröffentlichten Verfahrensweisen häufig von den herstellerspezifischen Methoden abweichen, weshalb Gehaltsbestimmungen oder Freisetzungsuntersuchungen nach Arzneibuchmonographien zu Ergebnissen führen können, die (geringfügig) von jenen der Hersteller abweichen können.
<typolist type="1">
Möller, H., Potthast, H., Biopharmazeutische Charakterisierung von Arzneistoffen und Fertigarzneimitteln, Pharm. Ztg. 20 (1999) 1640-1644.
Lindenberg, M., Kopp, S., Dressman, J., Classification of orally administered drugs on the world Health Organization Model list of Essential Medicines according to the biopharmaceutics classification system. European Journal of Pharmaceutics and Biopharmaceutics 58 (2004) 265-278.
Manzo, R. H., Olivera, M. E., Amidon, G. L., Shah, V. P., Dressman, J. B., Barends, D. M,. Biowaiver monographs for immediate release solid oral dosage forms: amitriptyline hydrochloride. Journal of Pharmaceutical Science 95 (2006) 966-973.
FDA 2000. Guidance for Industry: Waiver of in vivo bioavailability and bioequivalence studies for immediate-release solid oral dosage forms based on a Biopharmaceutics Classification system. US Food and Drug Administration, Center for Drug Evaluation and Research. USA. www.fda.gov/cder/guidance/3618fnl.pdf
CPMP. 2001. Note for guidance on the investigation of bioavailability and bioequivalence. www.emea.eu.int/pdfs/human/ewp/140198en.pdf
WHO. 2005. Multisource (generic) pharmaceutical products: Guidelines on registration requirements to establish interchangeability. Working document AS/04.093/Rev.4. World Health Organization. www.who.int/medicines/services/expertcommittees/pharmprep/QAS04_093Rev4_final.pdf
Faassen, F., Vogel, G., Spanings, H., Vromansa H., Caco-2 permeability, P-glycoprotein transport ratios and brain penetration of heterocyclic drugs. Int J Pharm 263 (2003) 113-122.
Baldessarini, R. J., Fármacos y Tratamientos de los trastornos psiqquiátricos. Depresión y mania. In hardman JG, Limbrid LE, Molinoff PB, Ruddon RW, Goodman Gilman A, editors. The Pharmacological Basis of Therapeutics, 9th edtn, Mexico: McGraw-Hill Co., pp 459-489.
Für die Verfasser:
Astrid Kaunzinger
Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker e. V.
Carl-Mannich-Straße 20
65760 Eschborn