RCT-Studien nur bedingt möglich |
16.05.2006 13:36 Uhr |
RCT-Studien nur bedingt möglich
von Conny Becker, Berlin
Der Trend ist deutlich: Komplementäre Medizin wird immer beliebter. Die Wirksamkeitsnachweise kommen bei diesem Tempo allerdings nicht mit. Nur wenige Studien können den Ansprüchen der evidenzbasierten Medizin genügen.
Ob randomisierte kontrollierte Studien (RCT) bei komplementärmedizinischen Verfahren überhaupt möglich und sinnvoll sind, wurde im Rahmen der »Komplementärmedizinischen Gespräche« in Berlin diskutiert. »Wir müssen die Individualität des einzelnen Patienten stärker berücksichtigen«, sagte Dr. Helmut Sauer, Vorstand der Hufelandgesellschaft. Individuell zugeschnittene Therapien lassen sich mit einer standardisierten RCT jedoch schlecht vereinbaren.
Überlegt werden müsse auch, welcher Parameter für den Erfolg einer Behandlung stehen sollte. In der Schulmedizin geht es in der Regel um die direkt erfassbare Wirkung, weniger um die längerfristige Wirksamkeit. Komplementäre Verfahren sollen dagegen nicht nur pathogenetisch den momentanen Zustand beeinflussen, sondern auch salutogenetisch, also nachhaltig wirken, so Dr. Matthias Girke, Vorstand des Dachverbands Anthroposophische Medizin in Deutschland. Aus diesem Grund kann auch der Nutzen einer Therapie durchaus unterschiedlich bewertet werden, nämlich anhand der Symptomfreiheit oder aber der (seelischen) Befindlichkeit des Patienten.
Erfolge auch in RCT
In placebokontrollierten Doppelblindstudien hatte die Homöopathie vergangenes Jahr in einer im Fachmagazin »The Lancet« veröffentlichten Metaanalyse katastrophal abgeschnitten. Ihre Wirkung lag demnach auf Placeboniveau. Zuvor hatte ein WHO-Report zur Homöopathie dem komplementären Verfahren jedoch eine Überlegenheit gegenüber den Scheinpräparaten bescheinigt. Ob besser oder schlechter als Placebo, die Homöopathie erzielt eine Wirkung, die sicher auch mit dem ganzheitlichen Ansatz, der umfassenden Anamnese und der stärkeren Fürsorge des Arztes zusammenhängt. »Man muss auch die Patientenerwartung betrachten und die reale Situation. Bringt sie da etwas?«, betonte Professor Dr. Stefan N. Willich von der Berliner Charité.
Dieser Frage gehen der Leiter des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie und sein Team seit einigen Jahren nach. So lief etwa unter Beteiligung der Charité eine prospektive, vergleichende, multizentrische Kohortenstudie mit 493 Patienten, die entweder einen homöopathischen Arzt oder einen Schulmediziner aufsuchten. Die Patienten litten unter chronischen Erkrankungen, die häufig homöopathisch behandelt werden, wie Kopfschmerzen, Lendenwirbelsäulenschmerzen (LWS-Schmerzen), Depression, Schlafstörung oder Sinusitis. Während die Beschwerdestärke der Selbsteinschätzung der Patienten zufolge zu Beginn der Studie in beiden Gruppen gleich war, lag sie nach sechs und zwölf Monaten Therapie im Homöopathie-Arm deutlich unter dem Wert, den die konventionell Behandelten angaben. Die komplementär therapierten Patienten registrierten also einen stärkeren Erfolg, auch wenn die jeweils behandelnden Ärzte diesen nur tendenziell bescheinigen konnten.
Einen deutlicheren Beleg für die Wirksamkeit eines komplementärmedizinischen Verfahrens lieferte vergangenes Jahr ein Modellprojekt an der Charité. Die so genannten Akupunkturstudien, in denen mehr als 300.000 Patienten behandelt wurden, bescheinigten dem Setzen von Nadeln eine bessere Wirkung verglichen mit der alleinigen Schulmedizin. Dies hatte im April den Gemeinsamen Bundesausschuss auch dazu veranlasst, die Akupunktur zur Behandlung von LWS-Schmerzen und Kniearthrose in den Leistungskatalog der GKV aufzunehmen. Da die Nadelung bei Migräne, Spannungskopfschmerz oder Hüftarthrose jedoch nicht besser war als eine Scheinakupunktur an Nicht-Meridian-Punkten, ist sie in diesen Indikationen nicht erstattungsfähig. Willich machte dafür »wirtschaftliche Gründe« verantwortlich, schließlich koste die zusätzliche Akupunktur pro Patient etwa 360 Euro.
Und genau hier liegt auch der Knackpunkt der Zukunft alternativer Heilverfahren. Zwar konnten sich die Veranstalter über die wohlwollenden Worte der anwesenden Politiker aller Bundestagsfraktionen sowie der Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel, freuen. So betonten alle, wie sehr sie sich für die Komplementärmedizin als ergänzende Säule neben der Schulmedizin, auch auf EU-Ebene, einsetzen wollen. Doch solange der Nutzen nicht in Euros zu messen ist, bleibt es fraglich, ob auch die Krankenkassen die alternativen Methoden zunehmend unterstützen werden.
Einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2004 zufolge hatten innerhalb der vergangenen zwölf Monate mehr als 70 Prozent der Frauen und mehr als 54 Prozent der Männer mindestens ein klassisches Naturheilverfahren oder eine alternative Heilmethode in Anspruch genommen. Befragt worden waren 1100 Deutsche im Alter von 18 bis 69 Jahren. Spitzenreiter unter den komplementären Verfahren waren Bewegungstherapie (32/26 Prozent), Phytotherapie (33/20 Prozent), Hydrotherapie (24/17 Prozent) sowie medizinische Massagen (22/15 Prozent). Etwa 20 Prozent der Frauen und 10 Prozent der Männer gaben an, homöopathische Mittel verwendet zu haben, 11 beziehungsweise 6 Prozent hatten eine Akupunkturbehandlung. Besonders oft nahmen Frauen die komplementären Behandlungsmethoden in Anspruch und Personen mit hoher Schulbildung. Die häufigst behandelten Krankheiten waren laut der Umfrage allem voran Rückenschmerzen, dann Erkältung, Kopfschmerzen, Anspannung und gastrointestinale Beschwerden.