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E-Health

Digitale Lösungen sparen Milliarden

10.05.2017  09:48 Uhr

Von Jennifer Evans / Würde das deutsche Gesundheitswesen flächendeckend E-Health-Lösungen einsetzen, wären jährliche Einsparungen von rund 39 Milliarden Euro möglich. Zu diesem Ergebnis kommt eine vom Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) und dem E-Health-Softwareunternehmen CompuGroup Medical in Auftrag gegebene Studie. Die richtige Medikation spielt dabei eine bedeutende Rolle.

Mithilfe digitaler Lösungen könnte die Versorgung hierzulande wesentlich effi­zienter werden. Laut Studie geht es dabei um Einsparungen von 12,2 Prozent der gesamten Krankheitskosten in Deutschland (berechnet auf Basis von Grunddaten aus dem Jahr 2014). 

 

Vor allem wegen der Vorbehalte beim Datenschutz bleiben den Studienautoren zufolge die Potenziale von E-Health-Anwendungen derzeit allerdings weitgehend ungenutzt. Auch gibt es demnach bislang nicht ausreichend Belege für den medizinischen und ökonomischen Vorteil digitaler Lösungen.

 

Ziel der Untersuchung war es, Einsparmöglichkeiten im deutschen Gesundheitssystem anhand von vier Krankheitsbildern aufzuzeigen, vorausgesetzt die digitale Infrastruktur würde bereits flächendeckend eingesetzt. Zwar unterstreichen die Auftraggeber der Studie die Bedeutung des direkten Arzt-Patienten-Kontakts, E-Health-Lösungen würden jedoch die medizinische Qualität erheblich optimieren sowie mögliche Informationsverluste bei sektorübergreifenden Behandlungen verhindern. Besonders in puncto Medikamenteneinnahme gebe es viel Potenzial, heißt es.

 

Mehr Zeit für den Patienten

 

Eine durch digitale Begleitung unterstützte Medikation kann demnach etwa bei Diabetes mellitus (in Deutschland 21 Milliarden Euro Behandlungskosten jährlich), chronischer Herzin­suffizienz (Kosten rund 4,2 Milliarden Euro), Rückenschmerzen (knapp 4,7 Milliarden Euro) und Schlaganfall (8,8 Milliarden Euro) Notfallsituationen ver­hindern und die Zahl der Krankenhausaufenthalte reduzieren. Zudem gehen die Experten davon aus, dass sich Neuerkrankungen sowie das Vo­r­anschreiten oder gar eine Chronifizierung von Krankheiten durch eine IT­gestützte Therapie verlangsamen oder gar verhindern lassen. Das liege daran, dass der Patient bei den neuen Methoden aktiver in den Therapieverlauf eingebunden sei. Den Analysen zufolge sorgt zudem die erst durch Digitalisierung mögliche einheitliche Informationsgrundlage aller beteiligten Akteure für weniger Doppeluntersuchungen und verschafft außerdem Ärzten mehr Behandlungszeit pro Patient im zunehmend verdichteten Arbeitsalltag.

 

Insbesondere bei Diabeteserkrankungen sei die elektronische Patientenakte von zentraler Bedeutung. Automatisierte Arzneimitteltherapie-Sicherheitssysteme können über die elektronische Akte unerwünschte Interaktionen oder Komplikationen erkennen und verhindern – und das bereits direkt über das IT-System beim Arzt. Zudem könnte der Apotheker eine weitere Kontrollin­stanz darstellen, wenn er ebenfalls über eine Schnittstelle mit der elektronischen Patientenakte oder dem elektronischen Medikationsplan auf eine kontra­indizierte Verordnung aufmerksam gemacht wird. Die Studienautoren schätzen die möglichen Einsparungen im Bereich Diabetes mellitus auf mindestens 19 Millionen Euro jährlich.

 

Seit Oktober 2016 haben Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie dauerhaft mindestens drei verschreibungspflichtige Medikamente einnehmen, das Recht auf einen vom Arzt ausgestellten Medikationsplan. Bislang gibt es diesen nur in Papierform. Laut E-Health-Gesetz soll er ab 2018 auch auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden können. Derzeit dürfen Apotheker den Plan nur auf Wunsch des Patienten ergänzen.

 

Die korrekte Medikation ist auch bei chronischer Herzinsuffizienz das A und O. Den Untersuchungsergebnissen zufolge kommt es bei diesem Krankheitsbild häufig zur unvollständigen Medikamentengabe oder einer falschen Dosierung. Das erhöht das Risiko für Nebenwirkungen. Digitale Lösungen hingegen garantierten sowohl die Vollständigkeit als auch die richtige Verabreichungsmenge der Arzneimittel. Das könnte nach Vorstellung des bvitg und der CompuGroup Medical etwa durch Warnungen in Form von Pop-Up-Fenstern im System des Arztes oder Apothekers geschehen. Das Einsparpotenzial beliefe sich auf mindestens 9 Millionen Euro.

 

Vollständiger Überblick

 

Ein Großteil der Rückenschmerzpatienten hat oft nur eine unvollständig dokumentierte Medikationshistorie. Das bringt der Besuch bei unterschiedlichen Hausärzten, Fachärzten und Krankenhausambulanzen mit sich. Ein elektronischer Medikationsplan aber kann Überblick schaffen und so mögliche Übermedikation oder Doppelverschreibungen vermeiden. Zudem steige damit der Therapieerfolg, so die Studie. Zusätzliche Nebenwirkungen, die durch Selbstmedikation mit OTC-Schmerzmitteln entstehen, fielen weg.

Durch eine entsprechende Integration des Medikationsplans in das IT-System der Offizinen könnten demzufolge allein 24 Millionen Euro durch mehr Arzneimitteltherapiesicherheit bei Rückenschmerzen eingespart werden. Ähnliches trifft auf das Krankheitsbild Schlaganfall zu. Eine optimale Versorgung mit Medikamenten könnte rund 520 Hirninfarkte pro Jahr verhindern, was Einsparungen in Höhe von 16,8 Millionen Euro jährlich entspricht, so die Auswertungen.

 

Summiert man nun das Einsparpotenzial aus allen Behandlungsschritten der vier exemplarisch gewählten Krankheitsbilder in der Studie, ergeben sich 3,3 Milliarden Euro. Hochgerechnet auf 63 Indikationen würde das deutsche Gesundheitssystem durch E-Health-Anwendungen sogar 39 Milliarden Euro pro Jahr gewinnen, betonen die Experten.

 

Damit die Potenziale, deren Berechnung lediglich von einer digitalen Basisausstattung ausgeht, ausgeschöpft werden können, sprechen die Studienautoren deutliche Handlungsempfehlungen an die Politik aus. Demnach sollten der Aufbau der Telematikinfrastruktur (TI) – die Datenautobahn zwischen den Akteuren des Gesundheitswesens – sowie der Einsatz der elektronischen Patientenakte »zwingend beschleunigt werden«. Zudem müssten auch die digitalen Anwendungen privat finanzierter Produkte durch Inter­operabilität der Systeme schnellstmöglich in die TI integriert werden können. Das Bundesgesundheitsministerium hat den Rollout der Datenautobahn für Sommer 2017 angekündigt.

 

Weiterhin fordern die Auftraggeber, dass Forschungsergebnisse zu den wirksamsten Lösungen in Zukunft transparent sind, um diese zügig in der Breite anzuwenden. Auch sollten Unternehmen mit innovativen Ideen für das deutsche Gesundheitssystem stärker unterstützt werden.

 

Nicht zuletzt halten die Autoren es für ein Kernelement der anzustrebenden E-Health-Strategie, die Bevölkerung gründlich über Datenschutz und -sicherheit aufzuklären. Die digitalen Anwendungen bedienerfreundlich zu gestalten sowie das Vertrauen und Verständnis in der Bevölkerung für die vernetzte Technik zu stärken, gehöre ebenfalls zu den großen Aufgaben. /

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