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Sport und Musik

Doping, aber natürlich

10.05.2016  15:50 Uhr

Von Ulrike Abel-Wanek / Weniger Schmerzen und Angst, mehr gute Laune und Kraft: Leipziger Wissenschaftler haben Maschinen entwickelt, mit denen man gleichzeitig Sport und Musik machen kann – und die präventivmedizinische und therapeutische Effekte haben.

Mit den sogenannten Jymmin-Maschinen werden Sportler zu Komponisten. Der Name Jymmin leitet sich ab aus dem englischen »jamming«, also der musikalischen Improvisation und »gym« für Fitness und Sport. Thomas Fritz, Leiter der Arbeitsgruppe Musik­evozierte Hirnplastizität am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig hat die tönenden Kraftmaschinen entwickelt. Die Idee dazu brachte er vor mehr als zehn Jahren von einer musikethnologischen Forschungsreise aus Kamerun mit. Die dort lebenden Mafa, eine kleine Ethnie im Norden des Landes, die keine westliche Musik kannte, musizierten unter großem Krafteinsatz mit schwer zu spielenden Flöten und gerieten während des Spiels durch eine Art Hyperventilierung in einen Trance-ähnlichen, euphorischen Zustand.

 

Wie entsteht »musikalische Euphorie« und wie wirkt sich Musik in Kombination mit Kraftanstrengung auf Körper und Psyche aus? Neurowissenschaftlich waren diese Fragen noch nicht erforscht worden. Fritz, der sich schon zu Studienzeiten mit der Verbindung von Musik und Emotionen befasst hatte, begann nach Methoden zu suchen, mit denen sich seine Kameruner Beobachtungen auf hiesige Verhältnisse übertragen ließen. Erfindergeist und technische Tüfteleien gehörten dabei für den Wissenschaftler zu seinem musiktherapeutischen Auftrag am Leipziger Max-Planck-Institut dazu.

 

Der Forscher begann, mit Fitnessgeräten zu experimentieren und präparierte sie so, dass Sportler während des Trainings eigene Musik kreieren konnten. Durch eine Kompositionssoftware erzeugten Bauchtrainer, Stepper und Zugmaschine bei Bewegung verschiedene Beats, Techno oder Schlager – je nach Programmierung. Und durch Drücken und Ziehen von Gewichten entstanden individuelle Rhythmen und Melodien, laut oder leise, schnell oder langsam – je nach eigenem Geschmack. Das musikalische Material sei dabei so arrangiert, dass es nicht unangenehm klingen könne, so Fritz.

 

Seit 2013 testen Probanden die Jymmin-Geräte im Rahmen mehrerer Studien. Etliche Effekte ließen sich seitdem nachweisen. Die Muskeln der musizierenden Sportler waren deutlich entspannter, verbrauchten weniger Energie, und die wahrgenommene Anstrengung beim Gewichte stemmen reduzierte sich um etwa die Hälfte im Vergleich zum Training an gewöhnlichen Geräten, bei dem die Studienteilnehmer nur passiv Musik hörten. »Wir mischten das Musizieren und den Sport wie im Reagenzglas. Heraus kam eine kombinierte Tätigkeit, die den Probanden weniger anstrengend vorkam als jede der einzelnen Tätigkeiten«, so der Neurowissenschaftler. Nahm man bisher an, dass Musik von physischer Beanspruchung möglicherweise nur ablenke, kamen die Versuchsreihen von Fritz zu einem anderen Ergebnis. Mit Jymmin werde die Muskulatur durch »musikalische Ekstase« vermutlich emotional besser gesteuert, was die Anstrengung tatsächlich reduziere – jedenfalls beim Kraftsport.

 

Doch Jymmin ist noch mehr als eine Art natürliches Doping für Kraftsportler. Jymmin macht auch glücklich. In einer Studie verbesserte sich die Laune der Probanden nach dem Krafttraining mit musikalischem Feedback signifikant – und zwar nachhaltig. Das Glücksgefühl hielt auch noch nach einer zweiten Trainingsrunde an – beim nachträglichen Hören dessen, was man musikalisch selber produziert hatte. »Die Kombination von körperlicher Betätigung und Musikmachen vermag unser Endorphin-System in einzigartiger Weise zu triggern«, ist Fritz überzeugt. Speziell der stimmungsaufhellende Effekt eröffne große therapeutische Möglichkeiten. Beispielsweise in der Schmerztherapie. In einer Untersuchung an chronischen Schmerzpatienten erhöhte sich durch Jymmin nicht nur die Schmerztoleranz, auch die Angstwerte gingen runter. »Wenn wir es durch das Training schaffen, die Angst vor den Schmerzen zu reduzieren und auch das Vermeidungsverhalten dem Sport gegenüber bei den Patienten zu durchbrechen, haben wir ein starkes Mittel im Bereich der Schmerztherapie«, so der Wissenschaftler.

 

Dass auch Suchtkranke von Jymmin profitieren können, zeigte eine weitere Studie der Leipziger Forscher. Bei 27 untersuchten Ex-Junkies einer Reha-Klinik sank nach den musikalischen Sporteinheiten das Bedürfnis deutlich ab, erneut zu Drogen zu greifen. Eine positive Überraschung für die Leiter der Institution, die fürchteten, dass das Krafttraining und die damit einhergehenden euphorisierenden Effekte den Suchtdruck noch verstärken könnten, so Fritz. Das gemeinsame Sport- und Musik-Training förderte außerdem die soziale Interaktion und erhöhte das sogenannte Selbstwirksamkeitsempfinden. »Ein – im weitesten Sinne – größeres Selbstbewusstsein und das Gefühl, im Leben etwas bewirken zu könne, ist für jede Therapie ein essenzieller Parameter«, sagt der Forscher.

 

Jymmin sei von allen bisher angewandten Verfahren das effektivste. »Wir wissen, dass Fitnesstraining zusammen mit einer geistigen Herausforderung wie dem Musik machen das Optimale ist, um sich fit zu halten – speziell auch im Alter«, so Fritz. Effektiv könnte der Einsatz der tönenden Geräte aber beispielsweise auch bei Parkinson sein. Hier seien Dopamin-vermittelte Verbesserungen der Krankheit durch Musik bereits bekannt. Anfragen eines Parkinson-Zentrums liegen den Leipziger Forschern vor. Auch Patienten mit Depressionen könnten von den Musik-Maschinen erheblich profitieren – therapeutisch und präventiv. »Der präventivmedizinische Bereich interessiert uns ganz besonders. Wir stellen gerade ein Forschungsprogramm auf die Beine, um zu untersuchen, wie man so ein Training durch Messung der Blutwerte begleiten kann«, sagt Fritz. Immuno­logische Untersuchungen hätten bereits einen Anstieg der Monozytenzahl und damit einen stimulierenden Einfluss auf das Immunsystem nach dem ­Jymmin-Training nachgewiesen.

 

Zurzeit lassen die Wissenschaftler einen Versuchsballon steigen, um das Interesse an Jymmin zu testen. In einem Sportraum auf dem Leipziger Baumwollspinnerei-Gelände kann jeder an den Geräten trainieren – unter Begleitung von Ärzten und Mitarbeitern der Universität. Durchgeführt werden auf Wunsch auch Blutanalysen im benachbarten Laborraum. Geplant ist das Projekt zunächst für einige Monate, wenn es gut läuft, auch regel­mäßig.

 

Die flächendeckende Versorgung von Kliniken und Reha-Zentren mit den Geräten scheiterte bisher an der technischen Realisierbarkeit. Doch Ende dieses Jahres ist es so weit: Dann soll Jymmin voraussichtlich in Serie gehen. /

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