Mehr als süße Babys |
07.05.2014 10:03 Uhr |
Von Anna Hohle / Hebammen leisten einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit von Schwangeren und Neugeborenen. Doch viele von ihnen stehen durch horrende Versicherungssummen vor dem beruflichen Aus. Die PZ hat eine Berliner Hebamme begleitet und von ihrem Alltag erzählen lassen.
Vicky ist zufrieden. Entspannt liegt das kleine Mädchen auf einem grauen Sofa in einer hell eingerichteten Wohnung in Berlin-Neukölln. Sie gluckst leise und greift nach einem Spielzeugball. Wenjuan Chen betrachtet lächelnd ihr Baby. Viktoria, Spitzname Vicky, ist das erste Kind der 32-jährigen Neuköllnerin und eine große Freude für sie und ihren Mann. Und dennoch: So ein kleines Wesen macht auch Sorgen. Es schreit, weint, zahnt, fiebert. In den vier Monaten seit der Geburt haben sich die Eltern oft gefragt, ob es ihrem Baby gut geht oder sie sich sorgen müssen.
Regelmäßiger Rat
Zum Glück war dann Simone Logar erreichbar. Die junge Frau mit den dunkelblonden Locken ist eine von rund 21 000 Hebammen in Deutschland und hat auf fast jede Frage zu Schwangerschaft und Neugeborenen eine Antwort. Schon vor der Geburt hat Logar Frau Chen regelmäßig betreut, heute ist sie zu einem ihrer letzten Besuche in die Wohnung der kleinen Familie gekommen. Es ist Anfang April und einer der ersten warmen Tage des Jahres. Die Sonne scheint hell auf das Sofa, auf dem Frau Chen mit ihrem Baby sitzt. »Allzu oft komme ich nicht mehr her. Wenjuan fällt es aber etwas schwer, sich zu trennen«, sagt Logar lachend und die junge Mutter nickt bestätigend. Sie ist sehr froh über den regelmäßigen Rat ihrer Hebamme und hat sich auch heute wieder eine Liste mit Fragen aufgeschrieben.
Logar hört geduldig zu, antwortet, beruhigt und gibt Ratschläge. Chens Schulter schmerzt vom Babyhalten beim Stillen. Gerne würde sie nun Brei zufüttern, geht das schon? Die Hebamme schüttelt den Kopf. »Wir empfehlen das frühestens ab dem vollendeten fünften Lebensmonat«, erklärt sie und gibt gleich einen Tipp, wie die Mutter den richtigen Zeitpunkt erkennen kann. Erst wenn das Baby allein aufrecht sitzen kann und beginnt, gezielt auch nach kleinen Gegenständen zu greifen, hat es einen Reflex ausgebildet der ihm hilft, sich nicht am Brei zu verschlucken. Frau Chen muss also noch etwas warten.
Später in einem Neuköllner Café erzählt Logar von Frau Chen und ihren anderen Patientinnen, davon, wie schön es ist, den Beginn eines neuen Lebens zu begleiten. Von der Dankbarkeit der Mütter und Väter und dem erfüllenden Gefühl, ihnen einige ihrer Sorgen zu nehmen. Denn Sorgen treiben fast alle werdenden und frischgebackenen Eltern um. »Die Zeit von Schwangerschaft und Geburt ist bewegend und auch beängstigend«, sagt Logar. Es entstünden Unmengen von Fragen, für die beim Arztbesuch häufig nicht genügend Zeit bleibt und die auch nur teilweise rein medizinisch sind. »Die Leute denken immer, Hebammen haben es nur mit Geburten und süßen Babys zu tun«, erzählt Logar. Tatsächlich besteht ein großer Teil ihrer Arbeit aus der psychosozialen Betreuung, dem Beruhigen, Bestärken, Ängste nehmen.
Anrecht auf eine Hebamme
Deutschland ist eines von wenigen Ländern, in denen Schwangere das Anrecht auf Betreuung durch eine Hebamme etwa für Vorsorgeuntersuchungen und im Wochenbett haben. Auch ist hierzulande bei jeder Geburt die Anwesenheit einer Hebamme vorgeschrieben. Eine Untersuchung durch die Cochrane Collaboration hat erst im vergangenen Jahr die positiven Aspekte dieser Art der Betreuung bestätigt: Frauen, die während der Schwangerschaft kontinuierlich von Hebammen begleitet wurden, hatten demnach weniger Frühgeburten. Auch war ihre Kaiserschnittrate niedriger und sie brauchten während der Geburt seltener eine örtliche Betäubung.
Die 31-jährige Logar wusste schon früh, dass sie Hebamme werden will. Seit 2007 arbeitet sie in ihrem Traumberuf. Nur weiß sie momentan nicht, wie lange sie ihn noch ausüben kann. In den vergangenen Monaten haben die Sorgen der Hebammen für viele Schlagzeilen gesorgt. Grund war, dass im Februar einer der wenigen Anbieter von Haftpflichtversicherungen für diesen Berufsstand seinen Ausstieg angekündigt hatte. Das Kostenrisiko war ihm schlicht zu groß geworden.
Wie Ärzte müssen sich auch Hebammen gegen Schuld oder Teilschuld bei Schäden infolge der Geburt versichern. Solche Fälle sind zwar selten, werden aber immer teurer, auch weil die Chancen für ein langes Leben trotz Geburtsschadens steigen. Mit 6 Millionen Euro pro Fall rechnen die Versicherer mittlerweile – dreimal so viel wie noch vor zehn Jahren. Und so steigen auch die Kosten für die Versicherung. Besonders betroffen sind Freiberuflerinnen, rund 60 Prozent aller Hebammen, da sie die gesamten Haftpflichtkosten selbst tragen müssen. 2004 zahlten sie noch rund 1300 Euro jährlich – ab diesem Sommer sind es mehr als 5000 Euro. Zwar wurde das drohende Versicherungs-Aus mittlerweile verschoben: Ein Zusammenschluss verschiedener Anbieter versichert die Hebammen vorerst bis Mitte 2016. Doch dieser Kompromiss wird mit einer weiteren Kostensteigerung von 20 Prozent einhergehen.
Für Logar wäre diese erneute Erhöhung ein Schlag. »Ich weiß nicht, wie ich das bezahlen soll«, sagt die junge Frau. Dabei bietet sie schon gar keine direkte Geburtsbegleitung mehr an, betreut Mutter und Kind also nur noch vor und nach dem entscheidenden Tag. Dadurch kostet die Haftpflicht nicht ganz so viel. Trotzdem würde für Logar durch den erneuten Kostenanstieg das Geld knapp. Sie arbeitet freiberuflich, daneben betreut sie als Festangestellte besonders belastete Eltern als Familienhebamme und hat einen Posten beim Berufsverband. Insgesamt kommt sie auf 50 bis 60 Arbeitsstunden pro Woche, in Zeiten mit vielen Geburten können daraus auch mal 80 werden. Mehr kann und will sie sich und ihren Schwangeren nicht zumuten. Doch nur mit noch mehr Patientinnen oder einem Nebenjob könnte sie einen weiteren Kostenanstieg ausgleichen.
Kassen in der Pflicht
In der vergangenen Woche nun hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) auf die anhaltenden Proteste der Hebammen gegen die steigenden Prämien reagiert und Vorschläge vorgelegt, wie dem Berufsstand geholfen werden soll. So kündigte er an, die Krankenkassen sollten die gestiegenen Haftpflichtkosten durch eine bessere Vergütung ausgleichen. Sie soll allen Hebammen zugute kommen und nicht wie bislang nur denen, die besonders viele Geburten begleiten. Auch versprach Gröhe, mit den Kranken- und Pflegekassen über einen Verzicht auf Regressforderungen zu sprechen. Bislang sind die Haftpflichtkosten für Hebammen auch deshalb so hoch, weil bei einem Geburtsschaden nicht nur der Geschädigte selbst Schadenersatz erhält, sondern auch die Kassen die höheren Behandlungs- und Pflegekosten ersetzt bekommen wollen.
Der Deutsche Hebammenverband begrüßte die Vorschläge des Gesundheitsministers zwar, gleichzeitig zweifeln die Hebammen jedoch an der Umsetzung. Denn eigentlich sind die Kassen schon lange per Gesetz verpflichtet, die gestiegenen Kosten über die Vergütung auszugleichen. Allerdings gab es in allen Verhandlungen dazu bislang keine Einigung. Simone Logar hat nur wenig Hoffnung auf eine bessere Bezahlung in Kürze. »Die Kassen sind auf diesem Ohr sehr taub und ich bin skeptisch, dass sich das aufgrund von Herrn Gröhes Worten rasch ändern wird«, sagt die junge Hebamme. Auch von den angekündigten Gesprächen zum Thema Regressverzicht erwartet sie nicht viel. »Das größte Problem bleibt bestehen, denn die Folgen von Geburtsschäden werden stetig teurer und die Frage, ob uns überhaupt noch jemand versichert, ist ja nur auf 2016 verschoben worden.«
Die permanente Unsicherheit über die Zukunft des Berufsstands hat inzwischen viele von Logars Kolleginnen aufgeben lassen. Vor allem in Großstädten findet deshalb längst nicht mehr jede Schwangere eine Hebamme. »Letzten Sommer konnte ich nur ein Viertel der Anfragen übernehmen«, erzählt Logar.
Französische Zustände
Sollten die Kosten weiter steigen oder niemand mehr die Hebammen versichern wollen, prophezeit Logar Zustände, wie sie schon jetzt in anderen Ländern wie etwa Frankreich herrschen. Dort ist die Betreuung durch Hebammen eine Privatleistung und so teuer, dass sie sich nur Frauen mit sehr hohem Einkommen leisten können. »Es wäre furchtbar, wenn auch bei uns auf diese Art entschieden würde, welche Frau Hilfe bekommt«, sagt Logar. Auch ist die Beratung und Anleitung etwa beim Stillen und Wickeln gerade für Familien in prekären Verhältnissen häufig besonders nötig.
Die einzige Lösung für das Haftpflichtproblem ist Logar zufolge jene, die auch ihr Verband seit Langem fordert: Ein öffentlich finanzierter Haftungsfonds, aus dem alle Geburts- und Folgeschäden bezahlt werden, die eine bestimmte Summe übersteigen. Ähnlich funktioniert das System der Unfallversicherung bereits heute. So würden letztlich alle ein wenig vom Risiko einer jeden Endbindung tragen. Denn, sagt Logar, »jede Geburt birgt nun einmal per se ein Risiko. Aber dieses Risiko geht die gesamte Gesellschaft an. Man kann es nicht nur auf eine kleine Berufsgruppe umlegen«./