Erythrozyten in Schach halten |
28.04.2015 16:32 Uhr |
Von Kerstin A. Gräfe, Frankfurt am Main / Der Januskinase- Hemmer Ruxolitinib hat eine neue Indikation: Seit März darf der Wirkstoff unter bestimmten Voraussetzungen bei Erwachsenen mit der seltenen Bluterkrankung Polycythaemia vera (PV) eingesetzt werden. Die PV ist gekennzeichnet durch eine überschießende Produktion von Erythrozyten.
»Bekomme ich dann später Leukämie? – so lautet häufig die erste angsterfüllte Frage von Patienten, die mit der Diagnose Polycythaemia vera konfrontiert werden«, sagte Professor Dr. Eva Lengfelder auf der Launch-Pressekonferenz von Jakavi®. Die Hämatoonkologin von der Universitätsmedizin Mannheim stellte das Krankheitsbild näher vor. Wie die chronische myeloische Leukämie (CML) gehört die PV zu den selten maligen Bluterkrankungen, den sogenannten chronischen myeloproliferativen Neoplasien. Bei allen ist die Bildung von Blutzellen im Knochenmark außer Kontrolle geraten.
Mutation als Ursache
Schier unerträglicher Juckreiz ist neben chronischer Erschöpfung eines der am meisten belastenden Symptome der Bluterkrankung Polycythaemia vera.
Foto: Fotolia/ Gina Sanders
Während bei der CML als Ursache eine Mutation im Philadelphia-Chromosom vorliegt, sei bei 98 Prozent der PV-Patienten eine Punktmutation an Position V 617F im Gen der Januskinase (JAK) 2 vorhanden, informierte Lengfelder. Diese sogenannte Gain-of-Function-Mutation führt zu einer spontanen Aktivierung der JAK, was in einer unkontrollierten Steigerung der Blutbildung resultiert. »In erster Linie ist dies eine Vermehrung der Erythrozyten«, sagte Lengfelder. Daraus resultiert ein gesteigerter Hämatokrit und ein dadurch bedingtes erhöhtes Risiko für Thromboembolien. Etwa 45 Prozent aller Todesfälle bei PV sind auf thromboembolische Ereignisse zurückzuführen.
Doch auch die Leukozyten und Thrombozyten können erhöht sein. Darüber hinaus weisen PV-Patienten eine erhöhte Produktion an proinflammatorischen Zytokinen und Wachstumsfaktoren auf. Bei den meisten Patienten kommt es im späteren Verlauf der Erkrankung zudem zu einer Vergrößerung der Milz (Splenomegalie).
»Oft bleibt die Erkrankung trotz des enormen Leidendrucks der Patienten jahrelang unerkannt«, sagte die Referentin. Dies sei den vielfältigen, zunächst unspezifischen Symptomen geschuldet. Zu den häufigsten Beschwerden gehören chronische Erschöpfung, brennender Juckreiz, rasches Sättigungsgefühl, Konzentrationsstörungen, Inaktivität, Schlaflosigkeit, Nachtschweiß, Kopfschmerzen und Gewichtsverlust. Häufig seien die beiden Hauptsymptome Fatigue und Pruritus so stark ausgeprägt und belastend, dass die Betroffenen ihren Beruf nicht mehr ausüben könnten.
Hämatokrit senken
Hauptziel einer Behandlung ist es, den Hämatokrit-Wert auf unter 45 Prozent und damit das Risiko für thromboembolische Ereignisse wie Myokardinfarkt oder Schlaganfall zu senken. Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie empfiehlt hier wiederholte Aderlässe (Phlebotomien). Zusätzlich sollte laut Leitlinie niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (100 mg pro Tag) eingenommen werden, um arteriellen Thrombosen vorzubeugen.
»Für die Mehrzahl der Patienten reicht diese Kombination jedoch langfristig nicht aus«, informierte Lengfelder. Für diese Fälle können zytoreduktive Therapien wie Hydroxyurea (HU) in Betracht gezogen werden. Doch auch hier sei man oft schnell an den Grenzen. Etwa 10 Prozent der Patienten wiesen gegen HU eine Resistenz auf, zwei Drittel sprächen nur unvollständig auf die Therapie an oder reagierten mit schweren Nebenwirkungen (HU-Intoleranz). Als mögliche Alternative stehe Interferon-a zur Verfügung, was jedoch für diese Indikation keine Zulassung besitzt. »Neue therapeutische Optionen sind bei PV dringend gefragt«, resümierte Lengfelder.
Erweiterung der Zulassung
Seit März steht Ruxolitinib für Erwachsene mit PV zur Verfügung, die auf Hydroxyurea nicht ansprechen oder dieses nicht vertragen. Die empfohlene Dosis beträgt zweimal täglich 10 mg. Der Wirkstoff ist bereits seit 2012 in der EU zur Behandlung krankheitsbedingter Splenomegalie bei Erwachsenen mit primärer Myelofibrose, Post-PV-Myelofibrose oder Post-Essenzieller-Thrombozythämie-Myelofibrose zugelassen.
Signaltransduktion durch JAK: Nach der Bindung von Zytokinen an den Rezeptor auf der Zelloberfläche (oben) kommt es zur Rezeptorpolymerisation und Autophosphorylierung des mit dem Rezeptor assoziierten Januskinase-Tandems. Aktivierte JAK-Tandems phosphorylieren anschließend ein weiteres Protein, den Signaltransduzierer und Aktivator der Transkription (STAT). STAT-Proteine bilden daraufhin Dimere, die in den Zellkern wandern (Translokation) und dort die Transkription von Genen für Zytokine und Chemokine aktivieren.
Ruxolitinib hemmt die Januskinasen 1 und 2, indem es an die katalytische Tyrosinkinase-Domäne der Enzyme bindet. Das stört die Funktionalität der Enzyme, sodass sie nicht mehr in der Lage sind, die Tyrosinreste des Rezeptors oder entsprechende Substrate wie STAT zu phosphorylieren und so zu aktivieren. Auf diese Weise greift der Wirkstoff regulierend in den JAK-STAT-Signalweg ein: Die JAK-2-Hemmung ermöglicht die Kontrolle der gesteigerten Hämatopoese, die Ursache für PV-assoziierte Thromboembolien ist. Die JAK-1-Hemmung bremst die überschießende Zytokin-Ausschüttung, die für viele belastende Symptome verantwortlich ist.
Die Erweiterung der Zulassung basiert auf den Ergebnissen der randomisierten, kontrollierten, offenen Phase-III-Studie RESPONSE. Darin wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit von Ruxolitinib (n = 110) mit den besten verfügbaren Standardtherapien (BAT, n = 112) verglichen. Dazu zählten unter anderem Hydroxyurea, pegyliertes Interferon-a, Anagrelid, Immunmodulatoren wie Thalidomid und Lenadomid sowie Pipobroman. Alle Patienten erhielten zusätzlich niedrig dosierte Acetylsalicylsäure.
Die Studiendaten im Einzelnen stellte Professor Dr. Martin Grießhammer vom Klinikum Minden vor. An der Studie nahmen 222 PV-Patienten teil, die eine Unverträglichkeit oder Resistenz gegenüber HU aufwiesen. Patienten im Ruxolitinib-Arm erhielten eine Startdosis von 10 mg zweimal täglich. Die Dosis wurde im Verlauf der Studie nach Bedarf angepasst mit dem Ziel, einen Hämatokrit-Wert unter 45 Prozent zu erhalten, die Milzgröße zu reduzieren und die Leukozyten- und Thrombozytenzahlen zu normalisieren. Primärer Endpunkt war die Kontrolle des Hämatokrits plus eine Verringerung des Milzvolumens um 35 Prozent bis zur Woche 32.
»Diesen erreichten mit 21 Prozent unter Ruxolitib signifikant mehr Patienten als unter BAT mit nur 1 Prozent«, informierte der Hämato- und Onkologe. Eine Kontrolle des Hämatokrits erreichten 60 gegenüber 20 Prozent der Patienten, eine Verkleinerung der Milz um ein Drittel wurde bei 38 gegenüber 1 Prozent der Patienten erreicht. 24 Prozent der Ruxolitinib-Patienten erlangten gegenüber 9 Prozent der BAT-Patienten eine komplette hämatologische Remission.
»Insgesamt war Ruxolitinib gut verträglich«, so der Oberarzt. Die Nebenwirkungen glichen denen, die bereits aus den Phase-III-Sudien bei der Myelofibrose bekannt sind. Am häufigsten traten Anämien und Lymphopenien auf, jeweils mit niedrigem Schweregrad. Thromboembolische Komplikationen wurden bei sechs Patienten in der Standardtherapie-Gruppe und bei einem Patienten in der Ruxolitinib-Gruppe beobachtet.
Weniger schwere Nebenwirkungen
Schwere Nebenwirkungen (Grad 3 bis 4) traten unter Standardtherapie deutlich häufiger auf als unter Ruxolitinib (44 gegenüber 28,8 Prozent). Herpes-zoster-Infektionen mit leichtem Schweregrad betrafen sieben Patienten unter der Therapie mit Ruxolitinib, keine Patienten mit Standardtherapie. Insgesamt unterschied sich die Anzahl der Infektionen aller Schweregrade unter Standardtherapie und Ruxolitinib-Therapie nicht voneinander (41,8 Prozent in der Ruxolitinib-Gruppe, 36,9 Prozent in der Standardtherapie-Gruppe). /