Altes Prinzip, neue Waffen |
30.04.2012 15:54 Uhr |
Von Sven Siebenand, Königsstein / Die Blockade des tumoreigenen Gefäßsystems, die Anti-Angiogenese, um das Tumorwachstum zu stoppen, ist bei vielen Krebsarten mittlerweile ein etabliertes Therapieprinzip. Beim Darmkrebs könnten demnächst zwei neue Angiogenese-Hemmer das Behandlungspektrum erweitern.
»Die Anti-Angiogenese geht auf den US-amerikanischen Mediziner und Zellbiologen Professor Dr. Judah Folkman zurück«, so Professor Dr. Stefan Kubicka vom Krebszentrum Reutlingen. Auf einer von Sanofi-Aventis ausgerichteten Presseveranstaltung informierte der Gastroenterologe, dass Folkman bereits in den 1970er-Jahren die Hypothese aufstellte, dass alle Krebsformen abhängig von einer Angiogenese sind. Es habe aber circa 30 Jahre gedauert, bis man technisch so weit war, Tumorgefäße zu unterbinden, erläuterte Kubicka. Als erster direkter Angiogenese-Hemmstoff kam 2005 Bevacizumab auf den Markt. Es folgten in den vergangenen Jahren eine Reihe weiterer Substanzen.
Ab einer Größe von 1 bis 2 mm3 benötigt ein Tumor für weiteres Wachstum ein eigenes Gefäßsystem, das ihn ausreichend mit Nährstoffen versorgt.
Foto: Fotolia/Gärtner
Bislang konnten Forscher mindestens 25 bis 30 proangiogene Faktoren identifizieren. In soliden Tumoren liegen vor allem die angiogenen Liganden VEGF-A und VEGF-B (VEGF= Vascular Endothelial Growth Factor) vor. Auch der Plazenta-Growth-Factor (PIGF) spielt eine Rolle. Die durch die drei Wachstumsfaktoren angesteuerten Rezeptoren leiten Signale in den Zellkern weiter. Es kommt schließlich zur Tumor-Angiogenese. Anti-Angiogenese-Hemmer unterbinden das Wachstum von Blutgefäßen, indem sie zum Beispiel einen oder mehrere dieser Liganden blockieren.
Kubicka ging auf einen wichtigen Unterschied zwischen konventioneller Tumortherapie mit Chemotherapeutika oder Antikörpern und der Anti- Antiogenese ein. Während die konventionelle Krebstherapie auf genetisch instabile Tumorzellen abzielt, greifen Anti-Angiogenese-Hemmer an genetisch stabilen Gefäßzellen an. Es bestehen berechtigte Hoffnungen, dass es bei Letzteren zu weniger Resistenzen komme, so Kubicka. Allerdings komme es auch hier vor, dass Tumoren manchmal primär resistent sind oder sich eine Resistenz im Laufe der Therapie entwickelt. Das könne zum Beispiel durch Hochregulation anderer Faktoren, die VEGF ersetzen, oder durch Rekrutierung von Zellen aus dem Knochenmark, die die Freisetzung angiogener Faktoren induzieren, geschehen.
Metastasen-Nische stillgelegt
Die VEGF-Familie reguliert die Gefäßangiogenese, wahrscheinlich ist VEGF-A der entscheidende Faktor, informierte Kubicka. »Wie eine chronische Wunde lockt sich ein Tumor durch Freisetzen von Wachstumsstoffen Gefäße an, die ihn versorgen«, verglich der Mediziner. Vermutlich habe eine Anti-VEGF-Therapie aber nicht nur antivaskuläre Effekte. Kubicka sprach von einer sehr komplexen Wirkweise. Durch die Normalisierung es Gefäßbettes, können zum Beispiel auch Chemotherapeutika besser an den Ort des Geschehens, also an die Tumorzelle, befördert werden. Neben der Verbesserung der Chemotherapie-Diffusion gibt es noch weitere Effekte, die eine antiangiogene Therapie haben könnte. So kann die antitumorale Immunantwort verbessert sein und selbst eine antimetastatische Wirkung ist möglich. Herausgelöste Krebszellen, die in fremde Gewebe einwandern wollen, benötigen einen Platz, an dem sie sich ansiedeln können, die sogenannte metastatische Nische. Auch bei diesem Vorgang ist VEGF beteiligt. Durch eine Anti-VEGF-Therapie lässt sich das Kubicka zufolge unterbinden. Last but not least ging der Mediziner auf unspezifische Effekte einer antiangiogenen Therapie ein, sogenannte Off-target-Effekte. Man wisse, dass der Tumor-Nekrose-Faktor alpha (TNF-α) bei diesen systemischen Tumoreffekten eine wichtige Rolle spielt. Erhöhtes VEGF ist Kubicka zufolge vermutlich auch daran beteiligt.
Die VEGF-Falle
»Die Anti-Angiogenese ist in der Therapie des Kolonkarzinoms angekommen«, sagte Professor Dr. Ralf-Dieter Hofheinz vom Interdisziplinären Tumorzentrum Mannheim. So wird Bevacizumab seit Längerem in Kombination mit einer Chemotherapie auf Fluoropyrimidin-Basis zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Kolon- oder Rektumkarzinom angewendet. Hier komme es insbesondere darauf an, den Antikörper bis zum definitiven Einsetzen der Progression zu verabreichen. Bevacizumab bindet vor allem VEGF-A. Werden zusätzlich VEGF-B und PIGF blockiert, lassen sich Interaktionen und mögliche Kompensationseffekte vermeiden, hieß es auf der Veranstaltung. Die Neuentwicklung Aflibercept ist dazu in der Lage. Der auch als VEGF-Trap (= Falle) bezeichnete Wirkstoff von Sanofi-Aventis befindet sich in Phase III der klinischen Prüfung. Das Fusionsprotein besteht aus Anteilen der VEGF-Rezeptoren 1 und 2 und dem Fc-Fragment von Immunglobulin G. Die Dreifach-Blockade von VEGF-A, VEGF-B und PIGF könnte auch erklären, warum Aflibercept selbst dann wirksam ist, wenn Patienten auf eine vorherige Therapie mit Bevacizumab nicht mehr ansprechen.
Die VELOUR-Studie, eine Phase-III-Studie, bestätigte die positive Wirkung bei Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom, so Hofheinz. Die Verlängerung des Gesamtüberlebens war signifikant. Ende 2011 hat Sanofi bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) einen Antrag auf Marktzulassung für Aflibercept zur Behandlung vorbehandelter Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom gestellt. Man müsse kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass diese Substanz innerhalb der nächsten anderthalb Jahre zugelassen werde, so Hofheinz. Gleiches gelte auch für den von Bayer entwickelten Multi-Kinase-Inhibitor Regorafenib. Die oral verfügbare Substanz hemmt unter anderem angiogene Kinasen wie die Rezeptoren für VEGF. Auch diese Substanz wusste in Studien bisher zu überzeugen. Daten der Phase-III-Studie CORRECT haben gezeigt, dass auch Regorafenib die Gesamtüberlebenszeit von Patienten mit metastasiertem Darmkrebs signifikant verlängern kann. /