Was das Erbgut der Isländer verrät |
15.04.2015 10:02 Uhr |
Von Hannelore Gießen / Kürzlich wurde die bisher größte Sequenzierung des Erbguts von 2636 Isländern abgeschlossen. Die Daten bieten neue Einblicke in das menschliche Genom sowie in das Verständnis von Krankheiten.
Die isländische Population eignet sich besonders gut für genetische Studien. Insellage, Pocken, Pest und Vulkanausbrüche haben dazu geführt, dass sich die heutige Bevölkerung auf eine begrenzte Zahl von Familien zurückführen lässt. Isländer sind sich untereinander genetisch ähnlicher als andere Völker und repräsentieren einen Teil des menschlichen Genpools, der mit dem Größerwerden der Bevölkerung mitgewachsen ist.
Die Isländer sind genetisch betrachtet ein sehr homogenes Volk. Das macht sie für die Forschung interessant.
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Gute Datenlage
Außerdem haben sie ihre Geschichte von Anfang an akribisch aufgezeichnet. Dabei hat nicht nur das ganze Volk Buch geführt, sondern auch einzelne Familien. Anders als im übrigen Europa zerstörten keine kriegerischen Auseinandersetzungen diesen Schatz. Auch die medizinischen Daten der Bewohner der Insel sind – anders als in Deutschland – breit verfügbar.
Seit fast zwanzig Jahren kombiniert die Firma Decode Genetics in Reykjavik diese drei Datenquellen. Sie verfügt mittlerweile über die Informationen von 104 220 Isländern. Das entspricht knapp einem Drittel der Bevölkerung. Jetzt kombinierten Forscher um Dr. Daniel F. Gudbjartsson diese Daten mit den 2636 vollständig sequenzierten Genomen, um die genetische Grundlage verschiedener Erkrankungen besser zu verstehen. Für die in »Nature Genetics« erschienene Publikation verwendeten die Wissenschaftler zusätzlich Informationen aus dem 1000-Genomprojekt, bei dem das Erbgut von 1000 Personen aus verschiedenen Ländern entschlüsselt worden war (DOI: 10.1038/ng.3247).
Es stellte sich heraus, dass manche seltenen Genvariationen bei Isländern ganz fehlen oder umgekehrt häufiger vorkommen als in größeren Populationen. Von dieser eingeschränkten Variabilität profitierten die Wissenschaftler. So identifizierten sie ein Gen, dessen Ausfall das Demenzrisiko beeinflusst. Einige Varianten eines ABCB-Gens, eines Mitglieds der P-Glykoprotein-Membranproteinfamilie, waren mit einem signifikant häufigeren Auftreten verschiedener Lebererkrankungen verknüpft.
Für ein vermehrt auftretendes Vorhofflimmern bereits in jungen Jahren zeigten sich mögliche genetische Wurzeln im MYL4-Gen, einem zellulären Motorprotein, das zuvor nicht mit Krankheit in Verbindung gebracht worden war. Diesen Zusammenhang siebten die Forscher aus klinischen Patientendaten und dem Ergebnis der Gensequenzierung. Für eine Variante eines speziellen G-Proteins konnte gezeigt werden, dass der Spiegel des Thyroidea-stimulierenden Hormons (TSH) erhöht ist, wenn sie von der Mutter stammt. War sie dagegen im Genpool des Vaters enthalten, wurden niedrigere Werte des Hormons gefunden.
Geruchssinn beeinträchtigt
Bei 8000 Isländern hatte mindestens ein Gen seine Funktionsfähigkeit vollständig verloren. Dabei waren mit 17 Prozent am häufigsten olfaktorische Rezeptorgene betroffen. Gene, die vor allem im Gehirn stark exprimiert werden, waren selten von einem Ausfall betroffen – ein plausibles Ergebnis, da deren Versagen für das Überleben eines Individuums schwerer wiegen würde als eine eingeschränkte Geruchs- und Geschmackswahrnehmung.
Die Daten tragen auch dazu bei, die sogenannte molekulare Uhr des Y-Chromosoms exakter einzustellen und so abzuschätzen, wann der Stammvater aller heute lebenden Männer gelebt haben könnte. Die Wissenschaftler nutzten die sequenzierten Daten von 753 Isländern aus 274 Gruppen verwandter Personen, um die Zahl der Mutationen im Y-Chromosom zu ermitteln. So fanden sie heraus, dass der nächste gemeinsame männliche Vorfahre vor etwa 240 000 Jahren gelebt hat. Bisherige Berechnungen hatten rund 340 000 Jahre geschätzt. Neben der vertieften Einsicht in die molekularen Wurzeln von Krankheiten bieten die jetzt publizierten Genomstudien so auch einen Blick in die Geschichte der menschlichen Evolution und Diversität. /