Pharmazeutische Zeitung online

Neuer Angriffspunkt für Antidiabetika?

15.04.2015  10:02 Uhr

Von Annette Mende / Wissenschaftler der Columbia-Universität in New York haben eine mögliche neue Zielstruktur für Antidiabetika entdeckt: den Ryanodin-Rezeptor Typ 2 (RyR2). Dabei handelt es sich um einen Calcium-Kanal, der auf dem endoplasmatischen Retikulum bestimmter Zelltypen vorkommt, darunter Herzmuskelzellen und β-Zellen des Pankreas.

 

Die Forscher um Dr. Gaetano Santulli fanden heraus, dass bei einem Defekt des RyR2 die Insulin-Freisetzung aus der Bauchspeicheldrüse gestört ist. Mit einem experimentellen Wirkstoff ließ sich die Undichtigkeit des Rezeptors stopfen, worauf sich Insulinsekretion und Glucosetoleranz im Mausmodell verbesserten. Das berichten die Wissenschaftler im »Journal of Clinical Investigation« (DOI: 10.1172/JCI79273).

Eigentlich wollte die Arbeitsgruppe gar nicht zu Diabetes forschen, sondern die seltene Arrhythmie-Form katechol­aminerge polymorphe ventrikuläre Tachy­kardie (CPVT) untersuchen. Diese kann durch Mutationen im RyR2-Gen ausgelöst werden. »Wir entdeckten, dass unsere Versuchsmäuse mit undichten RyR2-Kanälen nach Glucose-Aufnahme nicht genügend Insulin ausschütteten«, sagt Santulli. Die Forscher unterzogen daraufhin 27 CPVT-Patienten mit bekannten RyR2-Mutationen einem Glucosetoleranz-Test. Viele dieser Patienten reagierten darauf mit niedrigen Insulin- und erhöhten Blutglucose-Spiegeln – ein bislang für diese Patientengruppe unbekannter Befund.

 

Weitere Untersuchungen des Mausmodells zeigten, dass ein undichter RyR2 in β-Zellen die Funktion der Mitochon­drien störte. Diese konnten die für die Insulin-Freisetzung benötigte Energie nicht bereitstellen. »Die Dysfunktion passt zu Veränderungen der Mitochon­drien, die bei Typ-2-Diabetikern bereits früher beschrieben wurden«, so Santulli.

 

Eines der Proteine, aus denen sich der RyR2 zusammensetzt, heißt Calstabin. Mutationen wie bei CPVT-Patienten, aber auch Stress können dazu führen, dass Calstabin dissoziiert und der RyR2 undicht wird. Eine neue Wirkstoffklasse, die sogenannten Rycale, können diese Dissoziation offenbar verhindern. Dabei handelt es sich um oral verfügbare 1,4-Benzothiazepin-Derivate. Das von den Forschern in dieser Studie getestete Rycal S107 verbesserte im Tierversuch sowohl bei CPVT-Mäusen als auch bei Mäusen mit Typ-2-Diabetes Insulinsekretion und Glucosetoleranz.

 

Ob mit den Rycalen tatsächlich eine neue Antidiabetika-Klasse gefunden ist, müssen weitere Studien zeigen. Derzeit werden zwei Vertreter dieser Wirkstoffklasse bei Patienten mit Herz- und Muskelerkrankungen getestet, allerdings noch nicht gegen Diabetes. /

Mehr von Avoxa