Doc Morris darf nicht schummeln |
12.04.2017 09:47 Uhr |
Von Anna Pannen / Die niederländische Versandapotheke Doc Morris muss einem Apotheker Schadenersatz zahlen, weil sie Patienten falsche Quittungen ausgestellt hat. Das hat das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) entschieden. Nun haben die Richter die Urteilsgründe vorgelegt.
Doc Morris muss auf seinen Rechnungen alle gewährten Rabatte kenntlich machen. Das hat das OLG Stuttgart Ende März entschieden. Vergangene Woche machten die Juristen ihre Gründe öffentlich. Zuvor hatte das Landgericht Ravensburg schon einmal dasselbe Urteil getroffen. Dagegen hatte die Versandapotheke jedoch Berufung eingelegt. Dieses Anliegen ist nun gescheitert.
Dem Gericht zufolge können falsche Quittungen Behörden und Finanzämter täuschen. Zuzahlungssummen müssen künftig korrekt ausgewiesen werden.
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Ursache des Streits ist ein Rezeptbonus, den Doc Morris seinen Kunden gewährt: Für jedes eingesandte Rezept bekommen Patienten die Hälfte der gesetzlichen Zuzahlung – mindestens jedoch 2,50 Euro – gutgeschrieben. Auf der Quittung, die der Sendung beiliegt, ist jedoch die volle Zuzahlungssumme ausgewiesen. Ein Patient musste Doc Morris zum Beispiel nur 2,85 Euro zu einem Medikament zuzahlen, bekam aber eine Rechnung laut der er 5,71 Euro Zuzahlung geleistet hatte.
Der klagende Pharmazeut betreibt selbst eine Versandapotheke in Deutschland und sieht in diesem Vorgehen einen Wettbewerbsnachteil. Zwar steht seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Oktober 2016 fest, dass Versandapotheken mit Sitz in der EU Rezeptboni gewähren dürfen. Es sei jedoch nicht zulässig, sie auf der Quittung zu verschweigen, argumentierte der Apotheker. Ansonsten würden Kunden bei Doc Morris bestellen, weil sie darauf hoffen können, durch die angeblich gezahlten Summen schneller bestimmte Belastungsgrenzen zu erreichen. Patienten in Deutschland müssen zum Beispiel nicht mehr als 2 Prozent ihres Bruttoeinkommens für Medikamente ausgeben (bei Chronikern ist es 1 Prozent). Kosten, die diese Summe übersteigen, bekommen sie von der Krankenkasse erstattet. Diese Grenze könnten Doc-Morris-Kunden mit den falschen Quittungen schneller erreichen und so Vorteile bei ihrer Krankenkasse und auch beim Finanzamt erlangen, bemängelte der Apotheker.
Das OLG gab ihm wie schon das Landgericht Recht. Doc Morris habe unlauter gehandelt und Konkurrenten wirtschaftlich benachteiligt, erklärten die Richter. Verbraucher würden aufgrund der falsch ausgestellten Rechnungen möglicherweise ihre Medikamente bei der niederländischen Versandapotheke kaufen, obwohl sie es ohne diesen Vorteil nicht getan hätten. Der klagende Apotheker habe deshalb Anspruch auf Schadenersatz. Auch Sozialbehörden und Finanzämter könnten mit den falschen Quittungen getäuscht werden und irrtümlich annehmen, dass Belastungsgrenzen überschritten wurden, so die Juristen. Dies breche das Solidarprinzip. Doc Morris muss deshalb künftig die tatsächlich gezahlten Zuzahlungssummen auf seinen Quittungen ausweisen, ansonsten droht ein Ordnungsgeld.
Nur ein Werbegeschenk
Doc Morris selbst hatte vor Gericht argumentiert, bei dem Rabatt handele es sich um ein Werbegeschenk, das nichts mit der gesetzlichen Zuzahlung zu tun habe. Dies sei unglaubwürdig, schließlich werbe die Versandapotheke mit dem Slogan »Rezeptbonus in Höhe der halben gesetzlichen Zuzahlung«, erklärten die Richter am OLG. Es gebe keinen nachvollziehbaren Grund, warum Doc Morris seine Quittungen nicht korrekt ausstellen sollte.
Die Versandapotheke hatte auch versucht, das EuGH-Urteil aus dem vergangenen Jahr als Legitimation heranzuziehen. Schließlich hätten die Europarichter entschieden, dass sich EU-Versandhändler nicht an die deutsche Preisbindung halten müssen. Dieses Argument ließen die Richter am OLG jedoch ebenfalls nicht gelten. Doc Morris könne schließlich weiterhin Boni gewähren, müsse diese aber korrekt ausweisen, erklärten sie. Missverständliche Quittungen seien nicht von der Warenverkehrsfreiheit geschützt. Sie gefährdeten das Solidarprinzip. Und der EuGH habe in seinem Urteil aus dem Oktober sogar betont, dass die Mitgliedstaaten für ihre sozialen Sicherheitssysteme selbst zuständig sind. /