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Bluttransfusionen

Weniger kann mehr sein

08.04.2015  10:24 Uhr

Von Christina Hohmann-Jeddi / Eine Bluttransfusion kann Leben retten. Aber viele Patienten, die eine bekommen, brauchen gar keine. US-amerikanische Untersuchungen zeigen, dass durch einen restriktiven Einsatz nicht nur Geld gespart, sondern auch die Mortalität in Krankenhäusern gesenkt werden kann.

Dass Sparmaßnahmen in Kliniken einen positiven Effekt auf die Gesundheit der Patienten haben, ist wohl eher selten. Auf den restriktiven Einsatz von Bluttransfusionen scheint dies aber zu­zutreffen, wie zwei Studien aus den USA zeigen. Das kalifornische Klinikum Stanford Hospital and Clinics in Stanford etablierte im Juli 2010 ein System, um unnötige Bluttransfusionen zu vermeiden. Denn schon seit Längerem war bekannt, dass bei Blutprodukten ein starker Übergebrauch vorliegt. Zudem häuften sich die Hinweise, dass dieser negative gesundheitliche Effekte hat. Außerdem sind Blutprodukte teuer: Die Klinik gab jährlich etwa 6,8 Millionen US-Dollar (6,2 Millionen Euro) für den Einkauf aus.

 

Daher wurden an dem Klinikkomplex niedrigere Grenzwerte für den Einsatz von Blutprodukten festgelegt. Statt wie in vielen Kliniken üblich, war eine Transfusion nicht bei einem Hämoglobinwert von unter 10 g/dl indiziert, sondern erst ab Werten unter 7 g/dl beziehungsweise unter 8 g/dl bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom.

 

Bestellung unterbrochen

 

Zudem wurde ein Alarmsystem etabliert, das den Bestellvorgang der Ärzte unterbrach, wenn diese ein Blutprodukt für einen Patienten orderten, der den neuen Kriterien nicht entsprach. Das System zeigte die aktuelle wissenschaftliche Literatur auf und wies auf die neuen Empfehlungen hin. Der Mediziner konnte die Bestellung dann abbrechen oder mit einem Bestätigungsgrund fortsetzen.

 

Durch diese Maßnahmen sank die Anzahl der verwendeten Erythrozytenkonzentrate deutlich. Im Jahr 2012 lag sie um 24 Prozent niedriger als 2009, im Jahr vor der Einführung. Das berichten Professor Dr. Lawrence T. Goodnough und Kollegen im Fachjournal »Transfu­sion« (DOI: 10.1111/trf.12445). Dadurch gab die Klinik im Jahr 2012 insgesamt 1,62 Millionen US-Dollar (etwa 1,48 Millionen Euro) weniger für Blutprodukte aus als im Vergleichsjahr 2009. Die Rate der Bestellung von Blutprodukten für Patienten mit einem Häm­oglobinwert über 8 g/dl sank von anfangs 57 bis 66 Prozent auf unter 30 Prozent.

 

Doch die Klinik sparte nicht nur Geld, auch den Patienten kam die Maßnahme zugute. Wie die Mediziner in einer zweiten Veröffentlichung in »Transfusion« berichten, sank die Gesamtmortalität in der Klinik (DOI: 10.1111/trf.12723). Am ausgeprägtesten war dies in der Gruppe der Patienten, die eine Transfusion erhalten hatten. Hier sank die Mortalität von 55 Prozent auf 33 Prozent und die durchschnittliche Dauer des Krankenhausaufenthaltes von 10,1 auf 6,2 Tage. Zu erklären ist dieser widersprüchlich wirkende Effekt durch die strengere Auswahl der Patienten, die eine Transfusion bekommen. »Wenn man gut überlegt, wer eine Transfusion erhält, kann man das Outcome verbessern«, erklärt Dr. Eduard Schlegel, Oberarzt an der Klinik für Anästhesie und Operative Intensivmedizin an den St.-Vincentius-Kliniken in Karlsruhe, gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung.

 

Grenzwerte sind gesunken

 

Es sei derzeit unstrittig, dass Bluttransfusionen per se einen Risikofaktor darstellen und somit das Vermeiden von Transfusionen die Mortalität senkt. »Früher lag der Grenzwert bei 8 oder 9 g/dl«, sagt Schlegel. In den vergangenen Jahren sei dieser Trigger-Wert immer weiter gesunken. 

Laut Querschnitts-Leitlinie der Bundesärzte­kammer zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten ist eine Transfusion mit Erythrozytenkonzen­trat ab einem Hämoglobinwert von niedriger als 6 g/dl indiziert. Wenn kardiale oder zerebrovaskuläre Risikofaktoren vorliegen, kann auch bei Werten zwischen 6 und 8 g/dl und bei Anzeichen einer anämischen Hypoxie auch schon bei 8 bis 10 g/dl transfundiert werden. Nur bei Patienten, die diese Grenzwerte unterschreiten, sei eine Transfusion sinnvoll, so Schlegel.

 

Das zeigt zum Beispiel auch eine Untersuchung von Forschern um Professor Dr. Ian Roberts von der London School of Hygiene & Tropical Medicine. Sie analysierten in »Plos Medicine« die Daten von etwa 20 000 Trauma-Patienten mit erheblichen Blutungen in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Trans­fusionen und Mortalität. Dabei zeigte sich, dass eine Transfusion bei Patienten mit leichteren Verletzungen (vorhergesagtes Sterberisiko von unter 20 Prozent) die Mortalität erhöhte, während sie die Mortalität bei Patienten mit schweren Verletzungen (Sterberisiko von mehr als 50 Prozent) senkte (DOI: 10.1371/journal.pmed.1001664).

 

»Patienten können von einer Transfusion profitieren, das ist gar keine Frage«, sagt der Experte. Doch die Krite­rien müssten eingehalten werden. Denn eine Fremdbluttransfusion bringt auch Risiken mit sich. Zum einen verändern sich die Blutzellen durch die Lagerung. Sie ändern ihre Form und haften stärker an Sauerstoff. Inwieweit dies ihre Funktion beeinflusst und den Nutzen für den Transfusionsempfänger herabsetzt, ist aber noch ungeklärt, heißt es in einem Bericht in »Nature News & Comments« (DOI: 10.1038/520024a).

 

Zum anderen kann eine Transfusion auch unerwünschte schädigende Wirkungen haben. Hierzu zählen die wenn auch seltene Übertragung von Krankheitserregern wie HI- oder Hepatitis-Viren und die Überlastung des Herz-Kreislauf-Systems bei der Übertragung großer Volumina. Zudem reagiert das Immunsystem trotz Übereinstimmung der Blutgruppen auf das übertragene Fremdblut. Die Reaktionen können von mild in Form von Fieber, Schüttelfrost, Urtikaria bis zu schwerwiegenden Anaphylaxien und Lungenschäden reichen. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Bluttransfusionen das Immunsystem unterdrücken und die Patienten somit infektanfälliger machen. Das zeigt auch eine Metaanalyse von Forschern um Professor Dr. Jeffrey Rohde von der Universität Michigan, deren Ergebnisse 2014 im Fachjournal »JAMA« veröffentlicht wurden (DOI: 10.1001/jama.2014.2726). Bei einer restriktiven Indikationsstellung lag die Rate von schweren Infektionen bei 10,6 Prozent, bei einer liberalen Handhabung bei 12,7 Prozent.

 

Umdenken auch in Deutschland

 

Noch zählen Bluttransfusionen zu den fünf am stärksten übergebrauchten Therapien in den USA, schreiben Goodnough und Kollegen in »Transfusion«. »In Deutschland ist das Problem ähnlich groß«, sagt Schlegel. Doch es habe ein Umdenken stattgefunden. In den vergangenen drei Jahren sank der Gebrauch von Erythrozytenkonzentraten leicht. Heute versuche man mit verschiedenen Maßnahmen, den Blutverlust bei Operationen einzudämmen und den Einsatz von Blutprodukten zu vermeiden.

 

So werden Patienten mit einer An­ämie vor geplanten Operationen durch Eisensubstitution vorbehandelt. Die für Blutuntersuchungen entnommene Probenmenge wird gering gehalten. Außerdem kann man mithilfe sogenannter Cell-Saver-Systeme während eines Eingriffs das Wundblut auffangen, waschen und reinfundieren, erklärt Schlegel. Hierdurch werden Transfusionen vermieden, was nicht nur die Blutressourcen schont, sondern auch die Risiken für Patienten minimiert. /

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