Pharmazeutische Zeitung online
150 Jahre PZ

Miterlebte Geschichte

31.03.2006  15:39 Uhr

Wiedervereinigung

Miterlebte Geschichte

von Hartmut Morck, Eschborn

 

In der jüngeren Geschichte der Pharmazeutischen Zeitung gehören die Jahre 1989 und 1990 sicher zu den ereignisreichsten. Vor und während der Wiedervereinigung gehörten die Pharmazeuten zu den ersten Berufsgruppen, die über den gemeinsamen Weg in die Zukunft diskutierten. Die Pharmazeutische Zeitung begleitete diese Kontakte mit dem Gefühl, an der Geschichte und dem Zusammenfinden beider deutschen Staaten mitzuschreiben.

 

Nach den Montagsdemonstrationen in Leipzig wurde am 9. November 1989 mehr oder weniger durch einen Kommunikationsfehler innerhalb der DDR-Führung die Berliner Mauer und damit die gesamte Grenze zur DDR durchlässig. Als Westdeutscher durfte man erstmals ohne Angst die Transitstrecken nach Berlin verlassen und sich die von 40 Jahren Sozialismus zum Teil stark gebeutelten Städte ansehen.

 

Kaum einer erinnert sich noch an diese Zeit, in der die elektronische Kommunikation in den anderen Teil Deutschlands nur mit Schwierigkeiten möglich war. Telefonate mussten morgens angemeldet werden und, wenn man Glück hatte, bekam man nachmittags die Verbindung. Eben mal mit dem Handy von Ost nach West oder umgekehrt zu telefonieren, ging nicht. Das damals moderne C-Netz funktionierte aus der DDR nur in kleinen Regionen, zum Beispiel an einer Autobahntankstelle an der A9 in der Nähe von Leipzig. Wollte man die Redaktion in Frankfurt sprechen, musste man an einer solchen Stelle halten.

 

Übrigens hatten die DDR-Behörden schnell erkannt, dass mit dem Telefonieren aus dem Auto Geld verdient werden konnte. 10 DM mussten Westdeutsche am Grenzübergang bezahlen, um an den wenigen Stellen telefonieren zu können. Der Anspruch schneller Kommunikation, der in den westdeutschen Bundesländern Standard war, war in der Wendezeit in der DDR nicht durchzuhalten. Vergleicht man die jetzige Situation mit der damaligen, wird der rasante technische Fortschritt in den neuen Bundesländern während der vergangenen 16 Jahre deutlich.

 

Für die Pharmazeutische Zeitung besonders beeindruckend war die Fahrt am 24. Januar 1990 nach Leipzig zur Gründungsversammlung des freien, von staatlichen Organisationen unabhängigen Verbandes der Apotheker der DDR (VDA). Über 300 Apothekerinnen und Apotheker waren aus allen Teilen der DDR nach Leipzig gekommen. Die Pharmazeutische Zeitung war durch Werner P. Hilbig und mich vertreten. Wir wurden sehr freundlich begrüßt und konnten erleben, wie unsere ostdeutschen Kollegen nach vierzig Jahren Sprachlosigkeit in nur vier Stunden lebhafter, aber sachlicher und konstruktiver Diskussion den neuen Verband gründeten. Umsichtig moderiert wurde die Versammlung von Hans Georg Roitsch aus Erfurt, der nach der Wiedervereinigung und Gründung der Landesapothekerkammer Thüringen deren Geschäftsführer wurde.

 

Die ostdeutschen Kollegen wollten uns demonstrieren, wie ernst ihnen Demokratie auch innerhalb des Berufsstandes ist. Das Ziel vor Augen, den unabhängigen Verband der Apotheker der DDR zu gründen, der bereits schon vor der Wende, also während der Zeit er Demonstrationen, geplant worden war, wurde die Versammlung sehr sachorientiert durchgeführt. Ein geschäftsführender Vorstand mit 15 Personen wurde gewählt, dem Dr. Manfred Falk aus Magdeburg vorstand. Trotz noch nicht vorhandener Länderstrukturen in der DDR wollte man zusätzlich unabhängige regionale Verbände gründen.

 

Auch zu diesen Gründungsversammlungen fuhr die PZ und berichtete darüber. Die Pharmazeutische Zeitung hat damals ein »Forum DDR« eingerichtet, in dem über die Aktivitäten der Apotheker und Apothekerorganisationen der DDR berichtet wurde. Außerdem wurde die PZ kostenfrei in die Apotheken der DDR geliefert. Eine nicht ganz einfache Aufgabe.

 

Am 26. April 1990 kam es dann auf Initiative der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände zum ersten deutsch-deutschen Apothekertreffen in Berlin. An die 2000 Kolleginnen und Kollegen aus der DDR und der Bundesrepublik Deutschland konnte ABDA-Präsident Klaus Stürzbecher im Internationalen Congress Centrum (ICC) begrüßen. Vor der eindrucksvollen Kulisse würdigte er das Treffen als einen historischen Moment: Zum ersten Mal nach über 40 Jahren Trennung seien Apotheker aus beiden Teilen Deutschlands zu einem freien Meinungs- und Informationsaustausch zusammengekommen. Das Treffen diente nicht nur dem Informationsaustausch, sondern half auch dabei, Verunsicherungen auf beiden Seiten abzubauen. Eine Resolution fasste das Ergebnis dieses Treffens eindrucksvoll zusammen.

 

Dass der Weg vom zentralistisch-planwirtschaftlichen System der Arzneimitteldistribution in ein auf ökonomische Effizienz ausgerichtetes, im Wesentlichen durch Privateigentum geprägtes System Schwierigkeiten verursachte, hatte Friedemann Schmidt aus Leipzig, heute Präsident der Landesapothekerkammer Sachsen und Vizepräsident der ABDA, in einem Kommentar vom 17. Mai 1990 (PZ 20/1990, Seite 22 (1320)) sehr deutlich ausgedrückt. Viele DDR-Kollegen fühlten sich dieser Aufgabe nicht gewachsen. Er forderte deshalb Zeit für die notwendigen Lernprozesse, geeignete Anleitungen und Unterstützung durch die westdeutschen Kollegen, zumal die umfangreichen Aktivitäten des pharmazeutischen Großhandels und der Industrie zusätzlich verunsicherten, weil die Angst berechtigterweise sich verbreitete, dass unter Ausnutzung der relativen Unerfahrenheit der ostdeutschen Kollegen versucht wurde, Marktanteile zu erreichen.

 

Um diese Hilfe zu organisieren, trafen sich am 29. Mai 1990 zum ersten »Runden Tisch der Apotheker« die frei gewählten Vertreter des Dachverbandes und der Länderverbände der Apotheker der DDR mit dem Vorstand und der Geschäftsführung der ABDA in Berlin. Hauptdiskussionspunkt war der Artikel 22 des Staatsvertrages, in dem es unter anderem heißt, dass »neben der vorläufigen Fortführung der derzeitigen Versorgungsstrukturen, die zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung notwendig ist, die DDR schrittweise eine Veränderung in Richtung des Versorgungsangebots der Bundesrepublik Deutschland mit privaten Leistungserbringern vornehmen wird, insbesondere durch Zulassung niedergelassener Ärzte, Zahnärzte und Apotheker sowie selbstständig tätiger Erbringer von Heil- und Hilfsmitteln sowie durch Zulassung privater und freigemeinnütziger Krankenhausträger.«

 

Die Runde kam überein, dass in beiden Staaten ein einheitliches Apothekenrecht gelten sollte, das die Niederlassungsfreiheit einschließt. Die zuständigen Organe mussten sicherstellen, dass für die Privatisierung staatlicher Apotheke und die Neugründung von Apotheken zu Gunsten der Staatsbürger der DDR Übergangsvorschriften in Kraft zu setzen sind, die zum Ziel haben, dass Apotheker als Bürger der DDR im Interesse der Sicherstellung einer kontinuierlichen und geordneten Arzneimittelversorgung die gleichen beruflichen Chancen wie Bürger der Bundesrepublik erhalten.

 

Im Juni 1990 sah der Vorstand des Verband der Apotheker der DDR (VDA), nachdem auf Landesebene sich regionale Verbände etabliert hatten und auch die Bildung der Kammern und Wirtschaftsverbände auf Länderebene geplant, sowie die Mitgliedschaft bei der ABDA angestrebt werden sollte, nicht mehr die Notwendigkeit eines Dachverbandes der DDR-Apotheker.

 

Der Weg zur Einheit war zum Teil sehr steinig, weil unter anderem Norbert Blüm als Bundesarbeitsminister, aber auch die Krankenkassen versuchten, ihre dirigistischen Absichten durchzusetzen. So wurde vom AOK-Bundesverband in Zusammenarbeit mit dem Bundesarbeitsministerium versucht, ein staatliches Gesundheitswesen in der DDR zu etablieren. Mit dem Mitternachtsgesetz der DDR-Volkskammer, das am 17. August 1990 in Kraft trat, wäre es fast gelungen, die Privatisierung des Apothekenwesens aufzuhalten. Blüm versuchte mit der Festlegung der Herstellerabgabepreise für apothekenpflichtige Arzneimittel auf 45 Prozent des westdeutschen Preise planwirtschaftlich einzugreifen.

 

Mit dem Einigungsvertrag, der am 31. August 1990 unterzeichnet wurde und der mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 in Kraft trat, war der Weg zu einem Zusammenwachsen der alten mit den neuen Bundesländern geebnet. Auch das im Einigungsvertrag enthaltene pharmazeutische Paket wurde nun Gesetz. Mit ihm wurde unter anderem die in der DDR erteilte Approbation der hiesigen gleichgestellt. Die Neugründung und Privatisierung von Apotheken und die Apothekenbetriebsordnung für das Beitrittsgebiet wurde gesetzlich geregelt. Das Mitternachtsgesetz lief aus. Blüms Vorschlag, die Herstellerabgabepreise für das Beitrittsgebiet auf 45 Prozent zu senken, wurde durch das Verbändemodell ersetzt. Mit ihm wurde ein auf gewisse Zeit befristeter Sonderabschlag auf Arzneimittel in den neuen Bundesländern festgesetzt, der von allen Marktpartnern mitgetragen wurde. Man wollte sich damit an der Finanzierung des Defizits der Gesetzlichen Krankenversicherung in den neuen Bundesländern beteiligen.

 

Einen Tag nach der Wiedervereinigung begann am 4. Oktober 1990 der erste gesamtdeutsche Apothekertag in Düsseldorf, an dem auch alle Verbände der neuen Bundesländer mit ihren gewählten Vertretern beteiligt waren. Diese Wendezeit war für die Redaktion der PZ ein echte Herausforderung, die Spaß gemacht hat, weil wir Geschichte miterleben durften.

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