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Empfehlungen in Leitlinien

Phytotherapeutika sind die Ausnahme

25.03.2014  16:51 Uhr

Von Kerstin A. Gräfe / Pflanzliche Arzneimittel können in bestimmten Indikationen durchaus eine Alternative zu chemisch definierten Wirkstoffen sein oder eine schulmedizinische Behandlung ergänzen. Ihre Erwähnung in Leitlinien ist allerdings noch eine Rarität.

Medizinische Leitlinien und Phyto­therapie – das galt lange Zeit als Widerspruch. Während die in Leitlinien getroffenen Aussagen mit Evidenzen belegt werden (siehe Kasten), fußt die Phytotherapie in der Regel auf einer praktizierten Erfahrungsmedizin und fand dementsprechend in Leitlinien keine Berücksichtigung. Doch inzwischen hat ein Umdenken stattgefunden und die Zahl kontrollierter Studien, die Wirksamkeitsnachweise für Phytopharmaka liefern, nimmt zu.

 

Nur elf positive Hinweise

 

Nach wie vor muss man allerdings in Leitlinien nach Empfehlungen pflanz­licher Therapieoptionen regelrecht suchen: Im Jahr 2013 gab es in den insgesamt 123 S3-Leitlinien lediglich elf positive Hinweise auf Phytotherapeutika. Zu den Errungenschaften der »beweisbaren Phytotherapie« zählen zum Beispiel Extrakte zur Behandlung des benignen Prostatasyndroms (BPS). In der S2-Leitlinie BPS, die sich derzeit in der Überprüfung befindet, finden sich unter dem Stichwort medikamentöse Therapie gleich an erster Stelle Phytopharmaka.

Erwähnt werden dort Extrakte aus Sägezahnpalmenfrüchten, Brennnesselwurzeln, Kürbissamen, Roggenpollen sowie Hypoxis rooperi, Pinus und Picea. Dabei können die Präparate entweder aus nur einer und oder aus mehreren Pflanzen gewonnen werden, heißt es in der Leitlinie. Für vier Präparate gebe es Hinweise auf eine Wirksamkeit aus randomisierten klinischen Studien. Eine von der Cochrane Collaboration publizierte Übersicht zu Studien mit β-Sitosterol-haltigen Präparaten habe eine gute Verträglichkeit sowie eine Verbesserung der uro­logischen Symptome und des Harnstrahls gezeigt. Die Leitlinien-Autoren verweisen allerdings darauf, dass die lang­fristige Wirksamkeit und die präven­tive Wirkung hinsichtlich BPS-bedingter Komplikationen unbekannt seien und in weiteren Studien mit standardisierten Präparaten und entsprechenden Zielparametern ab­geklärt werden müssten.

 

Auch die stimmungsaufhellende Wirkung von Extrakten aus Hypericum perforatum bei depressiven Erkrankungen von leichter bis mittlerer Intensität ist inzwischen in den Leitlinien gut etabliert. Die Nationale Versorgungs-Leitlinie unipolare Depression spricht eine offene Empfehlung aus: Wenn bei leichten oder mittelgradigen depressiven Episoden eine Pharmakotherapie erwogen wird, kann bei Beachtung der spezifischen Nebenwirkungen und Interaktionen (lesen Sie dazu auch Interaktionen: Klinisch relevante Wechselwirkungen) ein erster Therapieversuch auch mit Johanniskraut unternommen werden.

 

Ebenfalls traditionell eingesetzt werden pflanzliche Arzneimittel bei Atemwegserkrankungen, vor allem bei Erkältungen. Ziel ist es, die Symptome zu lindern, einer Chronifizierung vorzubeugen und eventuell den Antibiotikagebrauch zu minimieren. Die S3-Leitlinie akuter und chronischer Husten, die sich derzeit in der Überprüfung befindet, spricht eine starke Empfehlung bei mittelgradiger Evidenz für die Kombi­­nation Thymian und Efeu beziehungswiese Thymian und Primel aus. Die S2k-Leitlinie Rhinosinusitis empfiehlt Myrtol standardisiert und Cineol, »da Hinweise für eine symptomlindernde und kurative Wirkung bestehen«. Zitiert werden zudem positive Studien­ergebnisse mit Bromelain-Tabletten, für die eine offene Empfehlung ausgesprochen wird.

 

Weiter erwähnt die Leitlinie, dass mit dem chemisch nicht definierten Extrakt aus fünf Pflanzen (Sinupret®) zusätzlich zur Basistherapie mit Antibiotika und abschwellenden Nasentropfen additive therapeu­tische Effekte erzielt werden konnten. Ebenfalls genannt wird eine doppelblinde randomisierte Studie, in der ein signifikanter Effekt eines Phyto­therapeutikums mit einem Pelargonium-sidoides-Extrakt auf die Symptome der akuten Rhinosinusitis nachgewiesen werden konnte. Explizite Empfehlungen werden jedoch für Sinupret und Pelargonium sidoides (noch) nicht ausgesprochen.

Eine weitere klassische Indikation für Phytopharmaka sind funktionelle Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. Hier empfiehlt die Leitlinie funktionelle Dyspepsie/Reizdarmsyndrom die Fixkombination aus Pfefferminzöl und Kümmelöl sowie das Kombinationspräparat STW 5. Im Bereich der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen werden zur Therapie der Coltis ulcerosa Flohsamen und Curcumin als Therapieoptionen genannt, wobei Curcumin in Deutschland als Arzneimittel nicht verfügbar ist.

 

Dagegen findet sich zum Beispiel in der S3-Leitlinie Demenz keine Empfehlung für eine pflanzliche Option. Unter Federführung der Fachgesellschaften für Psychiatrie (DGPPN) und Neuro­logie (DGN) wird dort die aktuelle Datenlage zu Ginkgo biloba erörtert. Erwähnt wird zum Beispiel, dass das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) für den Ginkgo-biloba-Extrakt EGb 761® in der Dosierung 240 mg täglich in Bezug auf das Therapieziel »Aktivitäten des täglichen Lebens« einen Beleg für einen Nutzen sieht. Die Leitlinienautoren kritisieren aber, dass diese Aussage auf den Ergebnissen sehr hetero­gener Studien basiere und keine Möglichkeit bestehe, eine metaanalytisch geschätzte Effektstärke zu berechnen. Sie kommen daher zu dem Schluss, dass nach heutigem Kenntnisstand keine Empfehlung ausgesprochen werden kann.

 

Extraktname gehört in die Leitlinie

 

Was es dem Nutzer von Leitlinien im Moment unnötig schwer macht, ist das Fehlen von Handelsnamen. Zumindest die Angabe des Extraktnamens, für den zitierfähige Studien vorliegen, wäre wünschenswert. Bislang dürfen jedoch in deutschsprachige Leitlinien nur Wirkstoffe und keine konkreten Präparate aufgenommen werden. Das führt vor allem bei pflanzlichen Optionen zu wenig hilfreichen Hinweisen, wie am Beispiel der Leitlinie unipolare Depression offenkundig wird. Dort wird die offene Empfehlung für Johanniskraut dahingehend ergänzt, dass nur Präparate eingesetzt werden sollten, für die eine klinische Wirksamkeit durch eigene Studien belegt ist. Auch die Leitlinie akuter und chronischer Husten verweist darauf, dass Ergebnisse aufwendiger Studien mit Phytopharmaka nur für das getestete Präparat gelten. Dem Leser steht es nun frei, eine Recherche anzustellen, welches die jeweiligen Präparate sind. Das kann weder im Sinne des Nutzers noch der Autoren sein – und des Patienten schon gar nicht. /

Evidenz in Leitlinien

Systematisch erstellte medizinische Leitlinien sollen die Therapieentscheidung von Ärzten unterstützen. Zwar stellen sie keine Richtlinien dar, doch muss der Arzt ein Abweichen begründen. In Deutschland werden sie in der Regel von den Experten medizinischer Fachgesellschaften erarbeitet. Nach dem System der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), zu der seit 2013 auch die Gesellschaft für Phytotherapie gehört, gibt es unterschiedliche Qualitäten. So wird eine S1-Leitlinie von einer Expertengruppe im informellen Konsens erarbeitet. Dagegen stellt eine S3-Leitlinie das Ergebnis einer systematischen Evidenzrecherche und Konsensbildung mit systematischer Analyse einschließlich Bewertung der klinischen Relevanz von Studien dar. Die Empfehlungen in Leitlinien sind gewichtet: Grad A bedeutet eine starke Empfehlung, Grad B eine Empfehlung und Grad 0 eine offene Empfehlung.

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