Monographien als Richtschnur |
24.03.2014 13:42 Uhr |
Von Birgit Vogt und Berit Winter / Ist das Pharmaziestudium erst einmal geschafft, geht es für die meisten Absolventen im Anschluss zur praktischen Ausbildung in die Apotheke. Doch worauf sollte bei der Ausbildung der Pharmazeuten im Praktikum (PhiP) geachtet werden? Wie kann die Ausbildung im PJ zeitlich und inhaltlich sinnvoll strukturiert werden, um alle wichtigen Themen für die Prüfung zu behandeln? Wie werden die PhiP erfolgreich auf ihre künftigen Aufgaben als Apotheker vorbereitet?
Die frisch aus der Universität entlassenen PhiP sind noch keine »fertigen« Apotheker. Im geschützten Rahmen der praktischen Ausbildung werden die im Studium vermittelten pharmazeutischen Kenntnisse sowohl vertieft und erweitert als auch praktisch in der Apotheke angewendet. Dabei ist die Ausbildungszeit in der Apotheke vergleichsweise knapp bemessen. Nach einem halben Jahr in der öffentlichen Apotheke entscheiden sich nicht wenige PhiP dafür, in den verbleibenden sechs Monaten auch die Aufgaben in anderen pharmazeutischen Tätigkeitsbereichen kennenzulernen, etwa im Krankenhaus oder in der pharmazeu-tischen Industrie.
Von Werner Knöss / In der Pharmazie haben Monographien eine lange Tradition. Sie sollen Standards setzen. Um Wirksamkeit und Unbedenklichkeit pflanzlicher Arzneimittel zu definieren, sind die HMPC-Monographien in Europa heute die vorrangige Quelle. Der Beitrag stellt verschiedene Monographiesysteme und deren Aussagekraft vor.
Monographien waren und sind einerseits Ergebnis eines kumulativen Wissens, andererseits vereinheitlichen sie die sichere Anwendung. Für die Qualität pflanzlicher Arzneidrogen setzen die Monographien der Arzneibücher (Europäisches Arzneibuch, Deutsches Arzneibuch, gegebenenfalls auch die Arzneibücher anderer Mitgliedsstaaten) gemeinsam entwickelte und akzeptierte Standards.
Sitz der Arzneimittelexperten in Bonn
Foto: BfArM
Den Kenntnisstand zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit pflanzlicher Arzneidrogen geben die Arzneibücher aber nicht wieder. Dafür stehen der Fachwelt verschiedene Monographie-Sammlungen zur Verfügung. Die in Deutschland bekanntesten sind die Monographien der Kommission E, die WHO-, die ESCOP- sowie die HMPC-Monographien. Lange Zeit bildeten die Monographien der Kommission E den in Deutschland gültigen offiziellen Standard, der weltweit Anerkennung und Beachtung fand. Da diese Texte seit 1994 nicht mehr aktualisiert wurden, haben sie mittlerweile an Bedeutung verloren. Die HMPC-Monographien (HMPC: Committee on Herbal Medicinal Products) sind der neue regulatorische Standard, der aufgrund europäischer Gesetzgebung für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) erstellt wird. Dabei stehen der Fachwelt und der Öffentlichkeit nicht nur die Zusammenfassung in Form der Monographien zur Verfügung, sondern auch die Bewertungsberichte und die Referenzlisten. Damit ist es jederzeit möglich, sich über den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu informieren.
Die Monographien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der ESCOP (European Scientific Cooperative on Phytotherapy) sind keine offiziellen Sammlungen. Dennoch leisten sie ihren Beitrag zur internationalen Diskussion und zum globalen Verständnis für die Bewertung pflanzlicher Arzneimittel.
Im Vergleich zu den offiziellen regulatorischen Sammlungen beinhalten WHO- und ESCOP-Monographien teils abweichende Sichtweisen und Perspektiven. Dieser Artikel erläutert die beteiligten Institutionen und Ziele der verschiedenen Monographie-Sammlungen, Inhalte und Strukturen der Monographien, deren Erarbeitung, bisherige Resultate und Verfügbarkeit.
Die Kommission E ist ein Expertengremium, das 1978 aufgrund der Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes gegründet wurde. Eine Geschäftsstelle wurde am damaligen Bundesgesundheitsamt (BGA) eingerichtet; seit 1994 obliegt diese Aufgabe der Nachfolgeinstitution, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Monographien der Kommission E
Die Kommission E ist interdisziplinär zusammengesetzt und besteht aus Ärzten, Apothekern, Pharmakologen, Toxikologen, Biostatistikern und auch Patientenvertretern. Die Mitglieder werden alle drei Jahre von Verbänden der Fachrichtung vorgeschlagen und vom Bundesgesundheitsministerium benannt. Eine richtungweisende Aufgabe der Kommission E war die Erarbeitung von Monographien zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit pflanzlicher Arzneidrogen.
Sie wurden schon von der Kommission E beim früheren Bundesgesundheitsamt monographiert: Hamamelis, Melisse, Baldrian und Weißdorn (von oben)
Fotos: Fotolia/photoweges, dimakp, dutchlight, M Schuppich
Gemäß dem gesetzlichen Auftrag sollten dabei die Besonderheiten der Therapierichtung berücksichtigt werden. Die Monographien der Kommission E unterstützten den Prozess der Nachzulassung pflanzlicher Arzneimittel in Deutschland und etablierten einen offiziellen Standard. Sie enthalten folgende Abschnitte, deren Aufbau sich an den grundlegenden Angaben einer Fachinformation orientierte:
Die Kommission E veröffentlichte etwa 380 Monographien für pflanzliche Arzneidrogen und deren Zubereitungen sowie fixe Kombinationen. 252 Texte waren »Positiv-Monographien«, für die die genannten Angaben zusammengetragen werden konnten. 129 Bewertungen wurden als »Negativ-Monographie« publiziert. Das bedeutet, dass die Experten das Verhältnis von Nutzen und Risiko als ungünstig bewerteten, keine ausreichenden Belege/Erfahrungen zur Wirksamkeit vorfanden, zu weitgehende Risiken feststellten oder keine nutzbaren Angaben zur Dosierung ermitteln konnten. In der Diskussion hat sich für die Fälle, in denen zwar keine Risiken festgestellt wurden, aber auch nicht genügend Evidenz für die Anerkennung einer Wirksamkeit vorlag, der Begriff »Null-Monographie« eingebürgert.
Die Entwürfe der Monographien wurden während der Sitzungen der Kommission E beraten und nach der abschließenden Annahme im Bundesanzeiger veröffentlicht. In die Erarbeitung flossen sowohl die publizierten Daten als auch das Erfahrungswissen der Experten ein. Erste Monographien wurden bereits 1984 publiziert; in den Folgejahren gab es auch Revisionen von etwa 80 Monographien.
Diese Monographien etablierten in den 1980er- und 1990er-Jahren einen Standard, der speziell von der Situation in Deutschland mit einer langen Tradition der Verwendung pflanzlicher Arzneimittel ausging und gleichzeitig den Anspruch der Gesetzgebung umsetzte, eine angemessene fachliche Bewertung zugrunde zu legen. Sie waren viele Jahre lang die Grundlage für die Bewertung von Anträgen auf Zulassung pflanzlicher Arzneimittel durch das BGA und später das BfArM. Darüber hinaus wurde dieser Standard auch in vielen Ländern Europas und weltweit beachtet.
Der gesetzliche Auftrag zur Erstellung von Monographien endete jedoch nach 1994. Die Kommission besteht weiterhin. Die Monographien beinhalten somit den Stand der wissenschaftlichen Literatur und der Bewertung bis zu diesem Zeitpunkt. Aus heutiger Sicht sind sie nicht mehr aktuell. Es bleibt aber die historische Bedeutung einer fachlichen Bewertung, die als offizielles Regelwerk publiziert und angewendet wurde.
Die Europäische Arzneimittelzulassungsbehörde EMA in London (März 2014)
Foto: Knöss
WHO-Monographien
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO, World Health Organisation) beschloss 1986, Monographien für ausgewählte Arzneipflanzen zu erarbeiten. Die Mitgliedsstaaten hatten diesen Prozess angeregt. In der folgenden Zeit wurden zunächst einige grundlegende Leitlinien für traditionelle Arzneimittel erarbeitet, bevor Experten mit der Entwicklung der Monographien begannen.
Die WHO verfolgt das Ziel, dass Staaten weltweit sichere und wirksame traditionelle pflanzliche Arzneimittel in der Gesundheitsversorgung einsetzen können. Die Monographien – so erläutert es auch die WHO selbst – sollen keine offiziellen nationalen Sammlungen ersetzen. Sie werden als Vorschlag angesehen, der sich an regulatorische Behörden, Wissenschaftler und Angehörige der Heilberufe richtet. Die WHO-Monographien sollen wissenschaftliche Informationen zur Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von vielfach angewendeten Arzneipflanzen zur Verfügung stellen, um eine angemessene Nutzung zu ermöglichen. Zudem sollen sie den Mitgliedsstaaten als Modell zur Erarbeitung weiterer Monographien dienen und den Informationsaustausch vereinfachen.
Seit 1999 sind insgesamt vier Bände von WHO-Monographien erschienen, in denen 118 ausgewählte Arzneipflanzen aufgenommen wurden. 2010 erschien eine spezielle Ausgabe mit 30 Arzneipflanzen, die in den sogenannten neuen unabhängigen Staaten (Mittel- und Osteuropas) gebräuchlich sind. Die Ausgabe enthielt 13 neue und 17 überarbeitete Monographien, die bereits zuvor publiziert worden waren.
Die WHO-Monographien enthalten sowohl Abschnitte zur Qualität als auch zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Anstelle ausführlicher Angaben verweisen sie häufig auf entsprechende Referenzen.
Die bislang publizierten WHO-Monographien wurden von einem globalen Netzwerk von Experten und regulatorischen Behörden der Mitgliedsstaaten erarbeitet. Die Koordination erfolgte durch das WHO Collaborating Centre for Traditional Medicine (University of Illinois at Chicago, USA). Die Entwürfe wurden von den Partnern im Netzwerk kommentiert und vor der Veröffentlichung auf einer Konferenz diskutiert und dann finalisiert.
Die WHO-Monographien sind zum einen in gebundener Form publiziert, aber inzwischen auch im Internet veröffentlicht (http://apps.who.int/medicinedocs/en/d/Js2200e). Eine Revision ist, soweit bekannt, nicht vorgesehen. Die Texte repräsentieren den Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Erstellung.
Im Wesentlichen enthalten die Monographien zu den jeweiligen pflanzlichen Arzneidrogen eine Sammlung von Referenzen. Diese sind zwar ein Ausdruck des aktuellen Kenntnisstands, es erfolgte jedoch keine oder nur begrenzt eine kritische Bewertung. Dies soll nach dem Verständnis der WHO jeweils auf nationaler Ebene mit Blick auf das jeweilige Gesundheitssystem und die verfügbaren Möglichkeiten und Normen erfolgen.
Für Offizinapotheker, die in Entwicklungsländern arbeiten wollen, sind die WHO-Monographien eine wichtige Informationsquelle.
ESCOP-Monographien
Die European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) ist eine Dachgesellschaft nationaler Gesellschaften für Phytotherapie. Die nationalen Gesellschaften entsenden Vertreter aus Wissenschaft, Industrie und Interessenverbänden in den Vorstand der ESCOP. Die Organisation wurde 1989 gegründet, um Fachwissen zu bündeln und publiziertes Wissen zu pflanzlichen Arzneidrogen aufzubereiten.
Die ESCOP-Monographien sollen die beste verfügbare wissenschaftliche Evidenz auf der Basis der aktuellen Literatur zusammenstellen. Gleichzeitig sollen die Daten auch als Erkenntnismaterial für die Arbeit des CPMP (Committee for Proprietary Medicinal Products) zur Verfügung gestellt werden. Schon vor dem Jahr 2000 erarbeitete eine Arbeitsgruppe (Herbal Medicinal Products Working Group) des CPMP sogenannte Kerndaten zu pflanzlichen Arzneidrogen.
Die erste ESCOP-Monographie wurde 1990 verabschiedet. Seitdem wurden insgesamt 107 Monographien fertiggestellt und veröffentlicht. Seit 2011 sind auch einzelne Monographien als online-Version verfügbar (www.escop.com/monographs), die ebenso wie die gedruckte Ausgabe kostenpflichtig ist.
Die ESCOP-Monographien sind auf Angaben zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit angelegt. Sie sind in Anlehnung an den Aufbau einer Fachinformation in folgende Abschnitte gegliedert:
Die ESCOP hat ein wissenschaftliches Komitee etabliert, das die Entwürfe der Monographien erstellt, diskutiert und schließlich verabschiedet. Die Monographien beziehen sich auf pflanzliche Arzneidrogen, die im Europäischen Arzneibuch definiert sind, und wollen die relevante Literatur zu diesen Arzneidrogen zusammenstellen. Eine Bewertung erfolgt auf der Basis der ausgewählten Referenzen; auf die Wiedergabe schlecht durchgeführter Studien und Untersuchungen mit größeren Mängeln wurde verzichtet. Darüber hinaus werden die Informationen nicht weiter bewertet oder aufbereitet, sondern lediglich wiedergegeben.
Die ESCOP-Monographien sind keine offizielle Sammlung, mit der ein gesetzlicher Standard definiert wird. Sie sind eine wissenschaftlich orientierte, nur wenig wertende Zusammenstellung von Daten, die die Blickwinkel und Interessen der nationalen Gesellschaften für Phytotherapie reflektiert. Für den Offizinapotheker liefern sie wissenschaftlichen Hintergrund zu den Arzneidrogen.
HMPC-Monographien
Der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (Committee on Herbal Medicinal Products, HMPC) wurde aufgrund einer europäischen Verordnung im Jahr 2004 bei der Europäischen Arzneimittelagentur (European Medicines Agency, EMA, London) eingerichtet. Der HMPC ist einer von insgesamt sieben wissenschaftlichen Ausschüssen der EMA und unterstreicht die Bedeutung, die das Europäische Parlament der Harmonisierung der Bewertung pflanzlicher Arzneimittel und deren Verfügbarkeit in der Europäischen Union zuordnet.
Der Ausschuss besteht aus jeweils einem von jedem Mitgliedsstaat benannten fachlichen Vertreter (Mitarbeiter der nationalen Behörden oder Experten aus den Universitäten) sowie fünf kooptierten Mitgliedern, die spezielle Themengebiete repräsentieren. Aktuell sind dies zum Beispiel die Allgemeinmedizin, Pädiatrie, Pharmakologie und Toxikologie.
Die wichtigste Aufgabe des HMPC ist die Erstellung von Gemeinschaftsmonographien, in denen die Angaben zu Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von pflanzlichen Arzneidrogen und deren Zubereitungen nach kritischer Bewertung zusammengefasst sind. Die HMPC-Monographien beinhalten aus regulatorischer Sicht den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand. Die nationalen Behörden der EU-Mitgliedsstaaten sollen sie bei der Bewertung von Anträgen auf Zulassung von pflanzlichen Arzneimitteln oder Registrierung traditioneller pflanzlicher Arzneimittel zugrunde legen. Die Monographien sind nicht unmittelbar bindend, werden aber rechtlich als Empfehlungen ausgelegt, von denen die nationalen Behörden nur bei besonderer Begründung abweichen sollten. Ist das vorliegende Datenmaterial besonders umfangreich und erfüllt vollständig die Forderungen der Richtlinie 2004/24 EG, so kann – für die Registrierung als traditionelles pflanzliches Arzneimittel – auch eine »Listenposition« erstellt werden. Diese ist vom Aufbau her einer Monographie vergleichbar, wird aber abschließend von der Europäischen Kommission angenommen und ist dann in allen Mitgliedsstaaten bindend.
Auch die HMPC-Monographien folgen in ihrem Aufbau einer Fachinformation. Es gibt jedoch zwei Kategorien, die sich nach der Bedeutung des Erkenntnismaterials richten.
→ Well-established use
Voraussetzung ist eine mindestens zehnjährige medizinische Verwendung als Arzneimittel in einem Land der EU mit ausreichender bibliografischer Dokumentation sowie akzeptierten und fachlich anerkannten Daten. Aus Sicht des HMPC ist für die Zuordnung zu dieser Kategorie mindestens eine gute klinische Studie erforderlich. Bei heterogener Datenlage sind die vorliegenden Erkenntnisse in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen.
→ Traditional use
Mit der Richtlinie 2004/24/EG wurde in der EU die Möglichkeit eröffnet, traditionelle pflanzliche Arzneimittel in einem vereinfachten Verfahren zu registrieren. Die Nachweise zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit beruhen hierbei vor allem auf einer mindestens 30-jährigen Tradition der medizinischen Verwendung, davon mindestens 15 Jahre in einem Land der EU. Durch verschiedene Vorgaben, zum Beispiel die Einschränkung der Art der Anwendung auf orale oder äußerliche Anwendung oder Inhalation sowie eine sichere Anwendung in der Selbstmedikation, soll die Unbedenklichkeit der traditionellen pflanzlichen Arzneimittel sichergestellt werden.
In den HMPC-Monographien sind zum Well-established use und zum Traditional use in zwei Kolonnen nebeneinander folgende Abschnitte enthalten:
Beim Traditional use können die Angaben zu den pharmakologischen Eigenschaften komplett entfallen.
Der HMPC hat bis Anfang 2014 etwa 120 Monographien verabschiedet (www.ema.europa.eu; Auswahlfeld »find medicine«; Auswahlfeld »herbal medicine«). Nur bei etwa einem Fünftel wurden die Kriterien des Well-established use als erfüllt angesehen. Ist die Datenlage für unterschiedliche Zubereitungen einer Droge uneinheitlich, können verschiedene Zubereitungsformen einmal als Well-established use und einmal als Traditional use eingestuft sein. Nur zwei Monographien befassen sich mit Kombinationen zweier pflanzlicher Arzneidrogen. Bislang wurden der Europäischen Kommission erst zwölf Listenpositionen vorgelegt, die alle angenommen wurden. Kann die Bewertung nicht positiv abgeschlossen werden, wird dies in einem »Public Statement« kommuniziert. Dies kann der Fall sein, wenn Risiken bestehen, genaue Angaben zur Dosierung fehlen oder die Grundlagen für eine 30-jährige Tradition nicht bestehen.
Durchschnittlich verabschiedet der HMPC jedes Jahr etwa 20 neue Monographien. In Pilotprojekten wird diskutiert, ob auch für pflanzliche Arzneidrogen aus anderen Therapiesystemen, zum Beispiel Traditionelle Chinesische Medizin oder ayurvedische Medizin, geeignete Monographien erstellt werden können.
Transparenter Prozess
Die Erstellung der HMPC-Monographien ist ein transparenter Prozess, der auf öffentlich verfügbaren wissenschaftlichen Daten basiert. Die Monographieerstellung beginnt mit einem öffentlichen Aufruf zur Einbringung fachlicher Daten für die jeweilige pflanzliche Arzneidroge. Die Mitgliedsstaaten erstellen eine Übersicht über die in ihrem Markt vorhandenen Arzneimittel. Der nominierte Berichterstatter (Rapporteur) führt eine Literaturrecherche durch und erarbeitet auf der Grundlage aller Daten einen Entwurf, der in der MLWP (Working Party on Monographs and List Entries), einer Arbeitsgruppe des HMPC, diskutiert wird. Dabei wird die verfügbare fachliche Literatur nicht nur zusammengestellt, sondern kritisch bewertet – auch unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstands und regulatorischer Anforderungen. Diese wissenschaftliche Beurteilung wird in einem Bewertungsbericht festgehalten.
Nach der Annahme des Entwurfs durch den HMPC wird dieser auf der Website der EMA zur öffentlichen Kommentierung publiziert. Die eingesendeten Kommentare werden in einem Übersichtsdokument zusammengefasst, in der MLWP diskutiert und können auch zu einer Änderung des Entwurfs führen. Schließlich werden die Monographie, der Bewertungsbericht, der Überblick über die Kommentare und eine Liste der Referenzen abschließend vom HMPC angenommen und auf der Website der EMA publiziert.
Der HMPC hat ein Verfahren etabliert, mit dem die Monographien regelmäßig im Abstand von fünf Jahren überarbeitet und wieder an den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand angepasst werden. Dabei werden neue Studien und Erkenntnisse eingebracht.
Die HMPC-Monographien repräsentieren für alle EU-Mitgliedsstaaten einen offiziellen regulatorischen Standard. Die Harmonisierung der Bewertung ausgehend von ganz unterschiedlichen Traditionen in den einzelnen Mitgliedsstaaten führt durchaus zu Restriktionen. In vielen Fällen sehen die HMPC-Monographien keine oder nur eine begrenzte Anwendung bei Kindern oder Heranwachsenden vor. Die HMPC-Monographien sind zusammen mit den Begleitdokumenten öffentlich und kostenlos verfügbar. Sie stehen somit nicht nur regulatorischen Behörden, sondern auch Wissenschaftlern, Ärzten und Apothekern sowie der Öffentlichkeit zur Verfügung. /
Pflanzliche Arzneimittel werden grundsätzlich in den gleichen Zulassungsverfahren bewertet wie chemisch-definierte Arzneimittel. Die umfangreichste Antragsart ist der »Vollantrag«. Hier muss der Antragsteller vollständige präklinische und klinische Berichte über Untersuchungen mit dem speziellen Präparat vorlegen, um Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im beantragten Indikationsgebiet nachzuweisen.
Von weitaus größerer praktischer Bedeutung ist jedoch die Antragstellung unter Bezug auf die »allgemeine medizinische Verwendung« (Well-established use). Hierbei muss der Antragsteller keine eigenen präklinischen und klinischen Daten vorlegen, wenn er nachweisen kann, dass die Wirkstoffe des Arzneimittels seit mindestens zehn Jahren allgemein medizinisch verwendet wurden. Die wissenschaftliche Dokumentation ersetzt dann eigene Studien.
Bei positiver Beleglage führen sowohl der Vollantrag als auch der Well-established-use-Antrag zu einer Zulassung des Arzneimittels. Davon zu unterscheiden ist die Registrierung von »traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln« (traditional use).
Aus: Knöss, W., et al., Rechtliche Rahmenbedingungen. Pharmakon Schwerpunktheft: Komplementäre
Therapierichtungen. Pharmakon Nr. 2 (2014) 143-150.
Werner Knöss studierte Biologie an den Universitäten in Bochum und Bonn und wurde 1990 promoviert. 1997 folgte die Habilitation im Fach Pharmazeutische Biologie. Seit 2012 ist Knöss außerplanmäßiger Professor an der Universität Bonn. Seit 2005 leitet er die Abteilung »Besondere Therapierichtungen und traditionelle Arzneimittel« am BfArM. Seit 2010 ist Knöss Vorsitzender des Ausschusses für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA in London.
Apl. Professor Dr. Werner Knöss, Bonn E-Mail: werner.knoess(at)bfarm.de