Antidote in der Entwicklung |
26.03.2013 15:46 Uhr |
Von Manfred Schubert-Zsilavecz / Die neuen oralen Antikoagulanzien haben gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten viele Vorteile. Ein Nachteil ist allerdings, dass noch kein spezifisches Antidot zur Verfügung steht, mit dem sich die Wirkung im Notfall schnell aufheben lässt. Verschiedene Firmen arbeiten daran, diese Lücke möglichst bald zu schließen.
Seit 2008 wurden insgesamt vier neue orale Antikoagulanzien für mehrere Indikationen zugelassen: Der direkte Thrombin-Inhibitor Dabigatranetexilat (Pradaxa®) und die drei Faktor-Xa(fXa)-Inhibitoren Rivaroxaban (Xarelto®), Apixaban (Eliquis®) und Edoxaban (Lixiana®, nur in Japan). Ungeachtet ihrer gut dokumentierten klinischen Wirksamkeit und ihrer objektiven Vorteile gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten Warfarin und Phenprocoumon sehen sich die neuen Antikoagulanzien dem Vorwurf ausgesetzt, dass es bisher für keinen der neuen Arzneistoffe ein spezifisches Antidot gibt. Diese Kritik wird auch in den Empfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zum Einsatz der neuen Antikoagulanzien Dabigatran und Rivaroxaban bei nicht valvulärem Vorhofflimmern artikuliert (1).
Eine Substanz, mit der sich die Wirkung der neuen oralen Antikoagulanzien, etwa vor einer Operation, schnell aufheben lässt, wird dringend benötigt.
Foto: BVMed
Allerdings bleibt diese nicht unwidersprochen. In einem gemeinsamen kritischen Kommentar der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft stellen die Autoren fest, dass auch für schwerwiegende akute Blutungskomplikationen unter Vitamin-K-Antagonisten kein schnelles direkt wirksames Antidot zur Verfügung steht. Vitamin K benötigt viele Stunden, bis die Wirkung einsetzt. Die Zeit, bis zu der Vitamin K als Antidot bei Vitamin-K-Antagonisten wirkt, ist identisch mit der Zeit, mit der die neuen Antikoagulanzien ausgeschieden werden.
Auch Vitamin K wirkt nicht sofort
Eine Auswertung der intrakraniellen Blutungen in der RE-LY-Studie (Randomized Evaluation of Long term anticoagulant therapY) zeigte eine identische Mortalität bei Patienten, die mit Warfarin behandelt (und mit Vitamin K substituiert) wurden, verglichen mit den Patienten, die mit Dabigatran behandelt wurden. Allerdings war die Zahl intrakranieller Blutungen unter Dabigatran erheblich geringer als unter Warfarin (2).
Da Vitamin K als spezifisches Antidot der Vitamin-K-Antagonisten einige Tage bis zur vollen Wirksamkeit benötigt, wird im Fall einer akuten Blutung unter Vitamin-K-Antagonisten die Anwendung eines unspezifischen, aber schnell wirksamen Antidots wie PCC oder PPSB (Prothrombinkomplex-konzentrate, Beriplex®, Octaplex®) empfohlen. Diese enthalten die Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X sowie die Inhibitoren Protein C und S und meistens Antithrombin beziehungsweise geringe Mengen Heparin.
Mehrere Substanzen in der Pipeline
Bei der Entwicklung von spezifischen Antidoten für die neuen oralen Antikoagulanzien werden aktuell mehrere Wege verfolgt. Für Dabigatran entwickelt Boehringer Ingelheim ein Antikörperfragment, welches den direkten oralen Thrombin-Inhibitor neutralisieren soll. Im Rahmen der Tagung der American Society of Hematology im Dezember 2012 in Atlanta wurden präklinische Daten vorgestellt, die belegen, dass durch Dabigatran induzierte Blutungen bei Ratten sicher und schnell gestoppt werden können. Das Antikörperfragment befindet sich nunmehr in Phase I der klinischen Prüfung.
Anfang dieses Jahres wurde bekannt, das Portola Therapeutics das parenteral zu verabreichende Antidot PRT064445 gegen fXa-Inhibitoren entwickelt und entsprechende Abkommen mit den Herstellern von Xarelto und Eliquis unterzeichnet hat. Bei PRT064445 handelt es sich um einen modifizierten fXa als Antidot gegen fXa-Inhibitoren. Der proteinogene Wirkstoff ist katalytisch inaktiv, aber dennoch in der Lage fXa-Inhibitoren zu binden. Darüber hinaus fehlt ihm die membranbindende γ-Carboxyglutaminsäure-Domäne (3). PRT064445 befindet sich aktuell in Phase II der klinischen Prüfung.
Perosphere entwickelt das Breitspektrum-Antidot Per977 gegen alle neuen oralen Antikoagulanzien auf der Basis eines bisher nicht näher beschriebenen kleinen organischen Moleküls, welches ebenfalls parenteral appliziert werden muss. Ein möglicher Vorteil gegenüber PRT064445 könnte neben den Breitspektrum-Eigenschaften darin liegen, dass dieser Wirkstoff bei Zimmertemperatur in Lösung gelagert werden kann, was eine schnelle Anwendung im Notfall (schwere Blutungskomplikationen, traumatische Verletzungen, OP) erlaubt. Per977 soll in noch in diesem Jahr in die Phase I der klinischen Prüfung gebracht werden. /