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Schilddrüse

Screening-Lücke in der Schwangerschaft

27.03.2012  13:25 Uhr

Von Maria Pues, Mannheim / Die im Mutterpass vorgesehenen Untersuchungen schließen einen Check der Schilddrüsenfunktion nicht ein. Der wäre jedoch wichtig, denn Fehlfunktionen der Schilddrüse gefährden Mutter und Kind.

Eine Untersuchung der Schilddrüsenfunktion werdender Mütter stellt keine Regeluntersuchung dar. Erst im dritten Schwangerschaftsmonat ist sie vorgesehen, jedoch nur als sogenannte IGeL-Leistung, deren Kosten die Frau selbst übernehmen muss. Eine Screening-Untersuchung als Kassenleistung findet erst nach der Entbindung statt, allerdings nur beim Neugeborenen.

»Dies ist vielfach zu spät«, kritisierte Professor Dr. Dagmar Führer-Sakel, Endokrinologin am Universitätsklinikum Essen, während des Jahressymposiums der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie in Mannheim. Sie plädierte für eine Funktionskontrolle der Schilddrüse in der Frühphase der Schwangerschaft, denn sowohl Über- als auch Unterfunktion können sich nachteilig auf den Verlauf von Schwangerschaft und Entbindung und nicht zuletzt auf die Entwicklung des Ungeborenen auswirken.

 

Nur einzelne oder alle screenen?

 

Ob ein fallbasiertes oder generelles Screening notwendig ist, wird unter Wissenschaftlern noch kontrovers diskutiert. Eine aktuell im »New England Journal of Medicine« veröffentlichte Studie zeigte keinen Vorteil für die routinemäßige Untersuchung aller Schwangeren (doi: 10.1056/NEJM oa1106104). Experten kritisieren jedoch, dass die Kontrolle der Schild­drüsenfunktion in der Studie erst am Ende des ersten Schwangerschafts­drittels stattgefunden habe. Zudem seien Indikationen für eine Behandlung uneinheitlich gestellt worden. Auch die Aussagekraft von IQ-Bestimmungen bei 3-Jährigen, die als Maßstab für die geistige Entwicklung des Nachwuchses dienten, betrachten manche als fraglich.

 

Häufige Komplikationen durch Schilddrüsenfehlfunktionen während oder nach der Schwangerschaft zeigt die Tabelle auf der folgenden Seite. »Wichtigste Komplikation für die Kinder sind bleibende Beeinträchtigungen der Entwicklung des Zentralnervensystems«, betonte Führer-Sakel. Die Folgen für die Kinder reichen von milden mentalen oder motorischen Störungen und Schwierigkeiten beim Lernen bis hin zu schweren Behinderungen.

 

Schilddrüsenfehlfunktionen im Verlauf der Schwangerschaft erhöhen beim Ungeborenen die Gefahr für eine mentale Retardierung und für motorische Entwicklungsstörungen bis hin zur Lähmung aller Gliedmaßen (Tetraplegie) sowie für Sprach- und Hörstörungen.

 

Um rund 50 Prozent steigt der Bedarf an Schilddrüsenhormonen während der Schwangerschaft an. Grund dafür ist unter anderem die rapide Zunahme des Thyroxin-bindenden Globulins (TBG) in der Frühphase der Schwangerschaft. Dadurch nimmt das Verteilungsvolumen für Schilddrüsenhormone zu, ebenso die Geschwindigkeit des Levothyroxin-Metabolismus. Um den erhöhten Bedarf zu decken, ist bekanntermaßen eine ausreichende Jodversorgung Grundvoraussetzung. Die Schilddrüse greift außerdem auf ihre Funktionsreserve zurück – sofern vorhanden. Dies ist jedoch auch bei zuvor euthyreoter Stoffwechsellage nicht immer der Fall, zum Beispiel wenn eine Hashimoto-Thyreoiditis vorliegt.

 

Unterfunktion häufiger als Überfunktion

 

Die Prävalenz einer manifesten Hypothyreose in der Schwangerschaft beträgt etwa 0,4 Prozent, die einer latenten Hypothyreose etwa 3 Prozent. Der Nachweis erfolgt mithilfe der TSH- und fT4- Blutwerte: Bei einer Hypothyreose ist TSH erhöht, aber fT4 normal (latente Hypothyreose) oder zu niedrig (manifeste Hyperthyreose). Häufigste Ursache hierfür ist eine Hashimoto-Thyreoiditis.

 

Ein überdurchschnittliches Risiko dafür haben werdende Mütter, die bereits an einer Autoimmunerkrankung leiden, zum Beispiel Patientinnen mit Typ-1-Diabetes sowie mit positiver Schilddrüsenanamnese vor der Schwangerschaft oder positiver Familienanamnese für Schilddrüsenerkrankungen. Bei diesen sollte die Schilddrüsenfunktion sogar noch vor Beginn einer Schwangerschaft kontrolliert werden, empfahl die Endokrinologin. Bei Patientinnen, die bereits vor der Schwangerschaft Schilddrüsenhormone einnehmen, werde in Abhängigkeit von der Schilddrüsenreserve häufig eine Erhöhung der Levothyroxin-Dosis um 30 bis 50 Prozent erforderlich.

 

Seltener kommt es während der Schwangerschaft zu einer Hyperthyreose. Hier beträgt die Prävalenz etwa 0,1 bis 0,4 Prozent. In diesen Fällen misst man zu niedrige TSH-Werte, während die Spiegel für fT4 und/oder fT3 erhöht sind. Zu beachten ist, dass es für die jeweiligen Schwangerschaftsdrittel eigene Normbereiche gibt.

 

Häufigste Ursache für eine Überfunktion ist ein Morbus Basedow, zweithäufigste eine Gestationshyperthyreose. Diese tritt typischerweise gegen Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels auf und ist meist vorübergehender und latenter Natur. Bei einer Gestationshyperthyreose stimuliert β-HCG den TSH-Rezeptor. Eine Therapie mit Thyreostatika ist nur im Falle eines manifesten Morbus Basedow erforderlich. Angestrebt wird eine Absenkung des fT4-Wertes in den oberen Normbereich, aber keine Normalisierung der Werte. Propylthiouracil sollte dabei ausschließlich im ersten Schwangerschaftsdrittel angewendet werden, danach nur noch Thiamazol oder Carbimazol.

 

Schilddrüse bereits vor der Schwangerschaft wichtig

 

Dass eine gut funktionierende Schilddrüse nicht nur während einer Schwangerschaft eine Schlüsselrolle spielt, sondern bereits bei der Erfüllung des Kinderwunschs, rundet das Bild ihrer Wichtigkeit ab. So führen beide Formen der Schilddrüsenfehlfunktion auch zu Veränderungen im Profil der Sexualhormone, berichtete Führer-Sakel. Bei 23 Prozent der Patientinnen mit Hypothyreose kommt es Studien zufolge zu Regeltempostörungen, vor allem zu Oligomenorrhö und Hypermenorrhö beziehungsweise Menorrhagien. Bei Patientinnen mit Hyperthyreose treten in etwa 22 Prozent der Fälle Regeltempostörungen auf, vor allem Poly- und/oder Hypomenorrhöen.

 

Sie alle erhöhen das Risiko für Fertilitätsstörungen. Frauen mit Regelanomalien und unerfülltem Kinderwunsch kann daher möglicherweise neben der gynäkologischen Betreuung auch eine endokrinologische Untersuchung helfen. In Studien waren Fertilitätsstörungen nach dem Erreichen einer euthy­reoten Stoffwechsellage vollständig reversibel. / 

Komplikationen durch Schilddrüsenfehlfunktion

Generell erhöhen Fehlfunktionen der Schilddrüse während der Schwangerschaft das Risiko der Mutter für

Spontanaborte

Frühgeburten

Totgeburten

Präeklampsie

 

Beim Kind bewirken sie einen Risikoanstieg für

Niedriges Geburtsgewicht

Erhöhte perinatale Sterblichkeit

Connatale Anomalien

 

Eine Hypothyreose erhöht darüber hi­naus das mütterliche Risiko für Anämie, Plazentariss und postpartale Hämorrhagien. Beim Kind bewirkt sie einen Risikoanstieg für fetale/neonatale Struma und ZNS-Entwicklungsstörung. Eine Hyperthyreose während der Schwangerschaft bedeutet für die Mutter ein erhöhtes Risiko für Herzinsuffizienz und thyreotoxische Krise, während es bei den Kindern vermehrt zu einer neonatalen Hyperthyreose kommt.

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