Alleskönner im Test |
08.04.2008 17:37 Uhr |
Alleskönner im Test
Von Bettina Sauer, Berlin
Am 11. April entscheidet der Bundestag voraussichtlich über eine mögliche Lockerung des Stammzellgesetzes. Befürworter argumentieren, dass humane embryonale Stammzellen vielleicht schwere Krankheiten heilen könnten. Welche Erkenntnisse gibt es dazu, und wann münden sie in konkrete Therapien? Eine Tagung informierte.
Der Molch könnte das Wappen der regenerativen Medizin zieren. Ein fehlendes Bein wächst ihm in wenigen Wochen nach. Von diesem Phänomen berichtete Professor Dr. Klaus Burger von Novartis Pharma kürzlich in Berlin bei einer gemeinsamen Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller. In ähnlicher Weise wolle die regenerative Medizin kranke oder zerstörte Gewebe und Organe durch gesunde Zellen ersetzen, also von Grund auf erneuern. Burgers Auflistung der möglichen Ziele reichte weit: »Wir denken an Diabetes, Leber-, Herz- und Nervenerkrankungen, Haut-, Knochen-, Knorpeldefekte, Muskelersatz und vieles mehr.«
Als idealer Rohstoff dafür gelten seit 1998 humane embryonale Stammzellen. Damals gelang es Professor Dr. James Thomson von der US-amerikanischen University Wisconsin-Madison erstmals, sie zu gewinnen und in Kulturschalen zu vermehren. Sie entstammen dem Innern der Blastozyste, einer Kugelgestalt aus 100 bis 200 Zellen, zu der sich eine Eizelle kurz nach der Befruchtung entwickelt. Bis heute werden die meisten humanen embryonalen Stammzellen mithilfe von Thomsons Methode erzeugt. »Im frühen Entwicklungsstadium verfügen die Zellen über die Fähigkeit, sich unbegrenzt identisch zu vermehren«, sagte Burger. Noch haben sie sich nicht festgelegt, zu welchem der mehr als 200 Zelltypen des menschlichen Körpers sie heranreifen werden. Sie sind pluripotent, sie können alles.
Den Anfang machten Mäuse
Grundlegende Erkenntnisse über diese Eigenschaften und Fähigkeiten lieferten embryonale Stammzellen der Maus, die sich bereits 1981 erstmals isolieren ließen. Mit ihrer Hilfe entwickelte das Team um Professor Dr. Jürgen Hescheler, Direktor des Instituts für Neurophysiologie am Universitätsklinikum Köln, eine Zelltherapie, um Herzgewebe nach einem Infarkt zu erneuern. Auf der Fachtagung erläuterte er die Methode. Demnach entwickeln sich Stammzellen unter geeigneten Kulturbedingungen zu embryonalem Grundgewebe. »Darin bilden sich, gesteuert durch Wachstumsfaktoren, immer spezialisiertere Stamm-, Vorläufer- und schließlich Körperzellen«, sagte er. Mit genetischen Methoden lässt sein Team ausschließlich Herzvorläuferzellen überleben, die bereitsrhythmisch schlagen. Sie eignen sich besonders gut für eine Zelltherapie, weil sie sich noch recht häufig teilen, aber nur Herzgewebe erzeugen. Rund 100.000 dieser Zellen spritzen die Forscher in das Herz einer narkotisierten Maus, in dem sie zuvor einen Infarkt auslöst hatten. Die Zellen fügen sich in das Gewebe ein und unterstützen es messbar bei seiner Pumparbeit. Die Tiere überleben länger als Kontrollmäuse, die ebenfalls einen Infarkt erlitten hatten. Was Hescheler in wenigen Minuten präsentierte, ist das Ergebnis langjähriger Forschungsarbeit. Die erste Studie zum Thema veröffentlichte er bereits 1991 im Fachjournal »Differentiation«.
Auch in andere Zell- und Gewebetypen lassen sich murine embryonale Stammzellen verwandeln. Und seit ihre humanen Gegenstücke zur Verfügung stehen, scheint der Einsatz am Menschen greifbarer. Heute konkurrieren immer mehr wissenschaftliche Institute und kommerzielle Firmen auf dem Forschungsfeld. Als »international aufstrebend und hoch kompetitiv« bezeichnete es die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 2006 in einer Stellungnahme. Burger nannte die Haupteinsatzgebiete der Stammzellen: »In der Grundlagenforschung dienen sie dazu, Prozesse der Embryonalentwicklung und Zelldifferenzierung zu untersuchen.« Selbst krankheitsspezifische Zellinien stehen laut DFG-Stellungnahme bereits zur Verfügung. Sie dienen als Modellsysteme, etwa für Thalassämie, Morbus Huntington, Muskeldystrophie und andere genetischer Krankheiten.
Ferner arbeiteten Forscher Burger zufolge an stammzellgestützten Screening-Methoden. »Diese Testmodelle spiegeln die Effekte von Arzneistoffen oder chemischen Substanzen auf den Menschen besser wider als Tierversuche.« Und im Bereich der regenerativen Medizin seien mit humanen embryonalen Stammzellen bereits ähnliche Erfolge gelungen wie seinerzeit mit murinen.
Unter anderem führte eine israelischen Arbeitsgruppe Heschelers Experimente mit humanen embryonalen Stammzellen durch und erzielte dabei vergleichbare Ergebnisse. Damit rückt die Zelltherapie für Infarktpatienten ein Schrittchen näher. »Vereinzelt«, sagte Burger, »ließen sich auch schon Nervenzellen erzeugen, die Dopamin freisetzen und damit womöglich Parkinsonsymptome lindern.« Geschafft haben das unter anderem Wissenschaftler der kalifornischen Firma Geron. Weiterhin erzeugten sie menschliche Vorläuferzellen von Oligodendrozyten, die Stützfunktionen im Nervensystem erfüllen und Neuronen mit einer Isolierschicht aus Myelin umhüllen. Nach ihrer Transplantation in das Rückenmark querschnittgelähmter Ratten bildete sich dort neues Myelin; die Tiere konnten sich wieder deutlich besser bewegen.
Den jüngsten Erfolg veröffentlichte »Nature Biotechnology« online vor wenigen Wochen, just am Tag der Fachtagung. Demnach haben Forscher der kalifornischen Firma Novocell aus Stammzellen abgeleitete menschliche Vorläuferzellen der Bauchspeicheldrüse in Mäusen angesiedelt. Nach ihrer Reifung produzierten die Zellen Insulin und vermochten den Blutzuckerspiegel diabetischer Mäuse zu normalisieren. »Heute ist es möglich, mit embryonalen Stammzellen praktisch jedes beliebige Körpergewebe zu züchten«, bilanzierte Hescheler. »Die gezüchteten Zellen lassen sich in geschädigtes Gewebe transplantieren, wodurch dessen Regeneration erreicht wird.« Dieser »Proof of Principle« sei im Tierexperiment erbracht.
Hürden auf dem Weg zur Therapie
Aber Maus heißt nicht automatisch gleich Mensch. Um eine Zulassung zu erhalten, müssen die neuen Therapien nun ihre Wirksamkeit und Sicherheit in klinischen Studien beweisen. Vereinzelte Vorreiterfirmen kündigten entsprechende Pläne bereits an. Doch bislang ist weltweit keine klinische Studie angelaufen, wie die Experten auf der Fachkonferenz übereinstimmend berichteten. Bestätigen ließ sich diese Aussage durch Recherchen im »Meta-Register«, das klinische Studien aus international verfügbaren Datenbanken bündelt. »Es dauert mehrere Jahre, alle Phasen des klinischen Prüfungsprozesses erfolgreich zu durchlaufen«, sagte Hescheler. »Realistischerweise können wir also frühestens in 10 bis 15 Jahren mit einer therapeutischen Anwendung von Produkten rechnen, die auf humanen embryonalen Stammzellen basieren.«
Kein Grund zur Verwunderung, befand Dr. Christof Tannert vom Max-Delbrück-Zentrum für molekulare Medizin Berlin-Buch, der die Fachtagung moderierte. Schließlich seien viele Hürden zu überwinden, um die neuen Technologien am Krankenbett zu etablieren. Tannert zählte sie einzeln auf. Eins seiner Stichworte lautete »Fehldifferenzierung«. Denn Menschen dürfen nur eine genau definierte, einheitliche Sorte Zellen verabreicht bekommen, und nicht etwa ein Gemisch. Insbesondere hinterbliebene embryonale Stammzellen gelten als hochriskant. Denn auch nach der Transplantation würden sie weiter ihrer Bestimmung nachgehen, sich intensiv teilen, alle möglichen Zelltypen erzeugen, womöglich also sogar Krebs auslösen. »Tumorbildung«, nannte Tannert denn auch ausdrücklich als Problem, weiterhin »falsches Targeting«. Schließlich müssen Wissenschaftler Wege finden, um Zelltherapien in den gewünschten Körperregionen anzureichern - und zwar nur dort.
Zellprodukte für die Anwendung bei Menschen dürfen ferner keine Krankheitserreger und tierischen Begleitsubstanzen enthalten. Doch die meisten embryonalen Stammzellen wachsen auf einer Schicht tierischer Nährzellen (Feeder cells) und bekommen Nährflüssigkeiten mit tierischen Zusätzen. Mittlerweile lassen sich aber schon einige Linien ohne Nutzung tierischer Produkte erzeugen und kultivieren.
Auch die Abstoßung der Präparate durch das Immunsystem des Empfängers ist womöglich in Zukunft vermeidbar. Gelingen könnte das durch neue Verfahren, um humane embryonale Stammzellen zu erzeugen. Beim therapeutischen Klonen etwa wird das Erbgut einer Körperzelle des Patienten in eine entkernte Eizelle überführt. Daraus entsteht eine Blastozyste, die genetisch, also auch in ihren Immuneigenschaften, mit dem Patienten übereinstimmt und aus der sich embryonale Stammzellen gewinnen lassen. Die Methode gelang bereits bei Affen, wenn auch nur mit äußerst geringen Ausbeuten an Embryonen und Stammzelllinien (siehe dazu Therapeutisches Klonen bei Primaten, PZ 47/07). Und kürzlich erzeugten amerikanische Forscher mithilfe der Technik erstmals Embryonen aus Hautzellen (siehe dazu Therapeutisches Klonen: Durchbruch mit zweifelhaftem Nutzen, PZ 04/08).
Einen alternativen Weg zur »Immunverträglichkeit«, Stichwort Tannert, könnte die Reprogrammierung eröffnen. Sie gelang vergangenen Herbst zwei Teams parallel, einem um Dr. Shinya Yamanaka von der Universität Kyoto und einem um James Thomson, dem Schöpfer der ersten humanen embryonalen Stammzelllinie. Beide Gruppen schleusten vier Steuerungsgene in menschliche Hautzellen ein und verwandelten sie dadurch in ein pluripotentes Stadium zurück. Allerdings enthält der Verjüngungs-Cocktail ein Krebsgen, und zudem erfordert der Transport der Gene ins Zellinnere den Einsatz von Viren. Diese Sicherheitsbedenken gilt es zu beheben und die Ausbeute an Stammzellen zu steigern. Und selbst wenn das gelingt, behindern noch die üblichen Probleme den Weg zur zugelassenen regenerativen Therapie. »Wir dürfen nicht die Geduld verlieren«, mahnte Tannert.
Regeneration braucht Geduld
Das ist übrigens bei der Entwicklung regenerativer Therapie nichts Neues, wie das Beispiel der adulten Stammzellen im Knochenmark zeigt. Anders als embryonale Stammzellen, verwandeln sie sich zwar nicht mehr in alle Typen von Körperzellen, aber immerhin in viele verschiedene Blutkörperchen. Seit etwa 15 Jahren dienen sie als Standardtherapie bei Leukämien und anderen bösartigen Erkrankungen des blutbildenden Systems. Wie lange die Knochenmarkszellen zuvor erforscht wurden, zeigt sich am Jahr ihrer ersten Entdeckung in Mäusen: 1963.