Niedermolekulare Bestandteile reduzieren kurzkettige Hyaluronsäure-Moleküle |
20.03.2018 14:45 Uhr |
Von Jandirk Sendker1, Ines Böker1, Isabelle Lengers2, Simone Brandt1, Joachim Jose2, Timo Stark3, Thomas Hofmann3, Careen Fink4, Heba Abdel-Aziz4 und Andreas Hensel1 / Ein wässriger Eibischwurzelextrakt, aus dem die hochmolekularen Schleimstoffe entfernt worden waren, bewirkte eine signifikante Hemmung der humanen Hyaluronidase 1 (IC50 = 7,7 mg/ml) und damit die Entstehung kurzkettiger Hyaluronsäuremoleküle, die mit Entzündungsreaktionen assoziiert sind. Zudem konnte gezeigt werden, dass niedermolekulare Inhaltsstoffe von Eibischwurzel in Keratinozyten die Bildung von mRNA, die für Hyaluronidase 1 codiert, um etwa die Hälfte herabreguliert.
Extrakte aus den Wurzeln von Althaea officinalis L., einer Malvaceae, die im Englischen auch »marshmallow« genannt wird, haben einen festen Platz in der Phytotherapie. Beispielsweise gibt es für Eibischwurzel (Althaeae radix) eine positive ESCOP-Monographie (European Scientific Cooperative on Phytotherapy), die auf Untersuchungen, klinischen Angaben und pharmakologischen Eigenschaften basiert (1).
Foto: Ulrich Mies
Eibischwurzelextrakte werden zur symptomatischen Behandlung von Reizungen im Mund und Rachenraum, damit verbundenem trockenen Reizhusten sowie zur Linderung von leichten Magen-Darm-Beschwerden eingesetzt (2). Als wertbestimmender Inhaltsstoff des Eibischwurzelextraktes gilt ein wasserlösliches Polysaccharid-Gemisch, das mit einem Anteil von 5 bis 11 Prozent in der Wurzel enthalten ist (3). In wesentlich geringeren Mengen (etwa 0,2 Prozent) finden sich außerdem Flavonglykoside, Phenolsäuren, das Cumarin- Derivat Scopoletin, Stärke, Pektin und Tannine (4, 5).
Polysaccharide schützen die Schleimhaut
Im Vordergrund der pharmakodynamischen Wirkung der Polysaccharide des wässrigen Eibischauszuges stehen deren mucilaginose und bioadhäsive Effekte. Diese Daten basieren auf Untersuchungen mit wässrigem, polysaccharidangereichertem Eibischextrakt sowie pektinähnlichen Polygalacturonanen, die ähnliche strukturelle und physikochemische Eigenschaften aufweisen wie die Eibischwurzelpolymere. Im Ex-vivo-Versuch an isolierter Buccalschleimhaut des Schweins konnten typische bioadhäsive Auflagerungen der Polysaccharide histologisch gezeigt werden; in diversen in vitro Studien an Hautzellen (humane primäre Keratinozyten) konnte darüber hinaus signifikante stimulierende Effekte auf die Zellviabilität und Proliferation demonstriert werden; interessanterweise wurden auch gezeigt, dass auch antiapoptotische Prozesse auf Genebene induziert werden (6-8).
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Aus diesen Daten kann abgeleitet werden, dass die Polysaccharide zum einen eine bioadhäsive Schicht auf dem Epithelgewebe bilden, die zu einem besseren Schutz und zur Rehydratisierung des Gewebes führt, sowie eine verbesserte Abschirmung der Schleimhautbarriere gegen physikalische oder mikrobielle Belastungsnoxen gewährleistet. Weiterhin wird die zelluläre, epidermale Zellregeneration gesteigert. Dennoch könnte die Fokussierung ausschließlich auf die hochmolekularen Polysaccharide der Wurzeldroge zu stark vereinfacht sein. In der vorliegenden Untersuchung wurden deshalb auch niedermolekulare Verbindungen des Eibischwurzelextraktes untersucht.
Methoden und Resultate
Getrocknete und pulverisierte Wurzeln aus A. officinalis wurden mit einem Methanol-Wassergemisch (1:1) extrahiert. Aus dem Extrakt wurde hochmolekulares Material durch Fällung mit Ethanol entfernt. Der so erhaltene Rohextrakt (Ausbeute: 8,1 Prozent, bezogen auf das getrocknete Pflanzenmaterial) wurde zunächst analytisch detailliert charakterisiert und das relative komplexe Spektrum an Kohlenhydraten, Aminosäuren und hochpolaren Kaffeesäurederivaten untersucht. Im Rohextrakt fanden sich fünf N-Phenylpropenoyl-L-Aminosäureamide: N-(E)-Kaffeoyl-L-Dopa, N-(E)-Kaffeoyl-L-Tyrosin, N-(E)-Cumaroyl-L-Dopa, N-(E)-Cumaroyl-L-Tyrosin und N-(E)-Cinnamoyl-L-Aspartart (Abbildung 1; Nummern 1 bis 5). Darüber hinaus wurden im Rohextrakt eine Reihe an Mono- und Oligosacchariden identifiziert und quantifiziert. Den größten Anteil nahm dabei mit einem Anteil von 59 Prozent der Trockenmasse des Rohextraktes (entsprechend 4,7 Prozent der Trockenmasse des pflanzlichen Materials) die Saccharose ein. Darüber hinaus waren Glucose (1,4 Prozent) und Fructose (1 Prozent) sowie in geringen Mengen Raffinose, Xylose, Galactose und Rhamnose (jeweils < 0,5 Prozent) enthalten.
An Aminosäuren wurden im Rohextrakt Asparagin (3 Prozent bezogen auf die Rohextrakt-Trockenmasse), Arginin (2,4 Prozent) und Prolin (1 Prozent) notiert, sowie geringe Mengen an Glutamin, Alanin, Tryptophan, Asparaginsäure, Histidin, Threonin, Valin, Serin, Isoleucin, Leucin und Tyrosin (jeweils < 1 Prozent). Der Gesamt-Aminosäuregehalt im Rohextrakt betrug 9 Prozent (entsprechend 0,74 Prozent der Trockenmasse des pflanzlichen Materials).
Der Anteil an hochpolarem Glycinbetain im Rohextrakt betrug 8,2 Prozent (0,66 Prozent der Trockenmasse des pflanzlichen Materials, Abbildung 1; Nummer 6).
Abbildung 2. Extraktions- und Fraktionierungsschema des Eibischwurzel-Rohextraktes. Die chromatographische Auftrennung der Sephadex-LH-20-Fraktionen A bis N lieferte die Verbindungen 7-13. Die Sephadex LH20 Subfraktionen A, E-J und K sowie L wurden hinsichtlich einer potenziellen Hyal-1-Hemmung getestet.
Flavonoide: Mithilfe von Sephadex LH-20 als stationäre Phase und Methanol, Ethanol und Aceton als mobile Phase wurde der Rohextrakt anschließend sukzessive aufgetrennt. Daraus resultierten 14 Fraktionen (A bis N, Abbildung 2). Mengenmäßig größte Fraktionen waren A (61 Prozent des Rohextraktes) und B (2 Prozent des Rohextraktes). Mittels NMR und hochauflösender Massenspektroskopie konnten in den Fraktionen einige bisher nicht beschriebene Flavonoide (Hypolaetin-Glykoside mit sulfatierten Kohlenhydrat-Resten) identifiziert werden.
Die Fraktionierung ergab darüber hinaus das Vorliegen von Hypolaetin-8-O-β-D-(3''-O-sulfo)-Glucuronopyranosid (Abbildung 1, Nummer 11), welches bereits als Theograndin II aus Theobroma grandiflorum beschrieben wurde sowie von Hypolaetin-8-O-β-D-glucopyranosyl-(1''' → 4'')-β-D-glucuronopyranosid (Abbildung 1, Nummer 12) (9).
Außerdem wurde das Cumarin-Derivat Scopoletin-7-O-α-L-rhamnopyranosyl-(1'' → 6')-β-D-glucopyranosid (syn. Scopolin-6'-O-α-L-rhamnopyranosid; Abbildung 1, Nummer 13) identifiziert. Diese Verbindung ist in der Literatur bereits als Haploperosid A beschrieben (10).
Polysaccharide aus der Reihe der sogenannten Glycosaminglycane sind in erheblichem Ausmaß an der Bildung und Regulierung der extrazellulären Matrix in Haut- und Schleimhautgewebe beteiligt. Eine besondere Rolle bei der Regulierung der extrazellulären Matrix, insbesondere bei Wundheilung, Geweberegeneration und Entzündung, wird der Hyaluronsäure zugeschrieben.Hochmolekulare Hyaluronsäure (> 20 kDa) weist eine Vielzahl an physikochemischen Effekten auf das Gewebe auf, darunter Hydratation, Regulierung des osmotischen Drucks aber auch entzündungshemmende Effekte.
Außerdem wurde die Induktion von Wachstumsfaktoren der Epithelzellen, Zellproliferation und Differenzierung beschrieben (11). Gewebeständige Hyaluronidasen wie Hyaluronidase 1 (Hyal-1) können langkettige Hyaluronsäure in kürzere Ketten (< 20 kDa) spalten, die aber eine andere Wirkung auf die umgebenden Zellen ausüben können, darunter die Induktion inflammatorischer Effekte (12-14). Die Hemmung von Hyal mit spezifischen Inhibitoren könnte daher ein lohnendes Target für eine verbesserte Wundheilung und Geweberegeneration darstellen. Für ein besseres Verständnis seiner Wirkungsweise bei der Behandlung gereizter Schleimhautmembranen wurde deshalb neben der Charakterisierung der niedermolekularen Verbindungen in der vorliegenden Untersuchung auch der potenzielle Einfluss des Eibischwurzelextraktes auf die Aktivität von Hyal-1 untersucht.
Die potenzielle Hemmung von Hyal-1 wurde mithilfe eines Tests durchgeführt, der es sich zunutze macht, dass Hyal-1 auf der Oberfläche von E. coli unter Verwendung der sogenannten Autodisplay-Technik exprimiert werden kann (15). Untersucht wurde der Rohextrakt in unterschiedlichen Konzentrationen sowie ein Teil der Sephadex LH-20-Fraktionen (aufgrund begrenzter Mengen konnten nicht alle Fraktionen getestet werden). Als Referenzinhibitor diente Glycyrrhicinsäure. Parallel dazu wurden E. coli F470-Wirtszellen ohne das Hyal-1-Expressionssystem verwendet, um unspezifische zellaktivierende oder hemmende Effekte auszuschließen.
Aus den Wurzeln von Althaea officinalis wurde durch wässrige Extraktion und anschließende Fällung hochmolekularer Bestandteile ein Rohextrakt gewonnen. Die phytochemischen Untersuchungen dieses Rohextraktes ergaben das Vorliegen von fünf N-Phenylpropenoyl-L-Aminosäureamiden, Glycinbetain, etwa 9 Prozent Aminosäuren mit Arginin als Hauptverbindung und etwa 61 Prozent mono- und oligomere Kohlenhydrate – vor allem Saccharose. Eine weitere Fraktionierung zeigte die Anwesenheit eines Hypolaetin-Diglykosids sowie von vier Hypolaetin-Glykosiden mit sulfatierten Kohlenhydrat-Resten, die bisher noch nicht beschrieben waren. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass der Rohextrakt die enzymatische Aktivität von oberflächenorientierter humaner Hyaluronidase 1 hemmt und die mRNA-Expression von Hyaluronidase 1 in HaCaT-Keratinozyten herunterreguliert. Diese Daten tragen zu einem tieferen phytochemischen Verständnis von Eibischwurzelextrakten bei. Darüber hinaus stehen sie im Einklang mit dem positiven Einfluss von Eibischwurzelextrakten auf gereiztes und entzündetes bukkales Gewebe und Husten.
Es zeigte sich, dass mit zunehmender Konzentration des Rohextraktes eine Inhibition von Hyal-1 zu beobachten war (Abbildung 3). In den Fraktionen H, I und K wurde keine diesbezügliche Aktivität gefunden, wohingegen die Fraktion A die höchste Enzymhemmung (84 Prozent) zeigte. Eine relevante Anti-Hyal-1-Aktivität übten auch die Fraktionen E (73 Prozent), F (73 Prozent) und G (83 Prozent) aus.
Um zu untersuchen, ob der Rohextrakt auch die Genexpression von Hyal-1 in Epithelzellen beeinflusst, wurde die entsprechende Genexpression mittels quantitativer Real-Time PCR in HaCaT-Keratinozyten analysiert (8, 16). Die Behandlung der Zellen mit 125 und 250 μg/ml des Rohextraktes über einen Zeitraum von 24 h reduzierte die Bildung der entsprechenden mRNA im Vergleich zu unbehandelten Kontrollen um etwa die Hälfte (Abbildung 4).
Fazit
Der Rohextrakt hemmt die enzymatische Aktivität von Hyal-1 (und damit vermutlich auch seine destruktive Wirkung innerhalb der extrazellulären Matrix). Darüber hinaus ändert er die Zellphysiologie von Keratinozyten in Richtung einer reduzierten Expression von Hyal-1-mRNA. /
1. Institute of Pharmaceutical Biology and Phytochemistry and
2. Institute of Pharmaceutical and Medicinal Chemistry, University of Münster, Correnstrasse 48, D-48149 Münster, Germany
3. Chair of Food Chemistry and Molecular Sensory Science, Technical University of Munich, Lise-Meitner-Strasse 34, D-85354 Freising, Germany
4. Steigerwald Arzneimittelwerk GmbH, I&D Phytomedicines Development Center, Havelstrasse 5, D-64295 Darmstadt, Germany
Literatur
Kontakt
Dr. med. Jürgen Müller
Steigerwald Arzneimittelwerk GmbH
Havelstr. 5
64295 Darmstadt
E-Mail: juergen.mueller2@bayer.com