Impfen trotz Immunoseneszenz |
19.03.2013 16:29 Uhr |
Von Hannelore Gießen, München / Ältere Menschen sind anfälliger gegenüber Infektionskrankheiten als jüngere. Sie würden daher besonders von Schutzimpfungen profitieren. Doch diese wirken bei Senioren weniger gut. Über diese Problematik diskutierten Experten auf der zweiten Konferenz »Controversies in Vaccination in Adults (COVAC)« Mitte Februar in München.
Nach Herzkrankheiten, Krebs und Schlaganfall stellen Grippe und Lungenentzündung bei Senioren die vierthäufigste Todesursache dar. Wenn sie sich gesund fühlen, sehen sich ältere Menschen jedoch nicht als besonders infektionsgefährdet an. Meist ist ihnen nicht bewusst, dass auch ihr Immunsystem altert, ein Vorgang, der als Immunoseneszenz bezeichnet wird. Sowohl die zelluläre als auch die humorale Immunantwort nehmen ab. Wegen ihrer Anfälligkeit gegenüber Infektionen stellen Senioren eine Risikogruppe dar. Für Personen ab 60 Jahren empfiehlt die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) die jährliche Influenzaimpfung sowie eine Pneumokokken-Schutzimpfung.
Senioren profitieren am meisten von Impfungen, sprechen aber schlechter darauf an. Empfohlen werden Impfungen gegen Grippe und Pneumokkoken.
Foto: CDC/James Gathany
Dennoch wird der Nutzen einer jährlichen Grippeimpfung von Fachleuten wie Laien kontrovers diskutiert. Tatsächlich ist deren Wirksamkeit keineswegs befriedigend: Bei Über-65-Jährigen senkt die Impfung die Wahrscheinlichkeit, an einer Influenza zu erkranken, um 31 Prozent (für eine klinisch bestätigte Influenza) beziehungsweise um 58 Prozent (bei einer im Labor nachgewiesenen Grippe), berichtete Professor Dr. Åke Örtqvist vom schwedischen Gesundheitsministerium. Allerdings profitieren anscheinend ältere Menschen das ganze Jahr über von einer Grippeimpfung. Unter den Senioren, die eine Impfung erhalten hatten, starben in einem Jahr 46 Prozent weniger Menschen als in der Vergleichsgruppe ohne Impfschutz. Dies ergab eine Metaanalyse von Lamberto Manzoli und Kollegen, die 2012 im Fachjournal »Human Vaccines & Immunotherapeutics« veröffentlicht wurde (doi: 10.4161/hv.19917).
Die Wirksamkeit der Grippeimpfung sei bei denen am geringsten, die am meisten gefährdet sind, nämlich Kleinkinder und Senioren, bedauerte Professor Dr. Angelika Banzhoff von Novartis Behring. Gleichwohl sei ein moderater Impfschutz besser als keiner, zumal Personen, die sich regelmäßig gegen Grippe impfen lassen, einen besseren Schutz haben als nach nur einer einmaligen Immunisierung. Durch die jährliche Impfung gegen die jeweils zirkulierenden Viren wird ein breites Spektrum an Antikörpern angelegt, das die verschiedensten Erreger-Subtypen neutralisieren kann. Daher ist eine Impfung für Senioren empfehlenswert, so das Fazit. Sinnvoll sei es, nicht vor Mitte Oktober zu impfen, damit im Februar und März, wenn in Deutschland häufig eine Grippewelle auftritt, noch genügend Antikörper vorhanden sind, sagte Banzhoff.
Schutz vor Pneumokokken
Als Folge einer Influenzainfektion tritt häufig die bei Senioren gefürchtete Lungenentzündung auf. Erreger sind meist Bakterien der Gattung Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken), von denen mehr als 80 verschiedene Typen bekannt sind. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion, oft von Kindern auf Senioren. Die Hälfte aller Kinder und 2,5 Prozent der Erwachsenen tragen Pneumokokken im Nasen- oder Rachenraum, die jedoch erst gefährlich werden, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Schutz vor Erkrankungen bietet ein Polysaccharidimpfstoff, der Antigene von 23 humanpathogenen Pneumokokken-Stämmen enthält und für Senioren und chronisch Kranke empfohlen wird. Der Polysaccharidimpfstoff verleiht jedoch nur begrenzte Immunität, da Polysaccharide wenig immunogen sind und primär B-Zellen stimulieren.
Auf dem Markt ist zudem ein Konjugatimpfstoff, bei dem Kapselpolysaccharide an ein hoch immunogenes Protein gekoppelt sind. So wird eine zusätzliche T-Zell-Antwort hervorgerufen, die für die Bildung von Gedächtniszellen notwendig ist. Allerdings enthält der Konjugatimpfstoff nur Antigene gegen 13 Pneumokokkenstämme. Er ist für Kinder bis zum fünften Lebensjahr sowie seit einem Jahr auch für Personen über 50 Jahre zugelassen.
Die STIKO empfiehlt für Senioren weiterhin den Polysaccharidimpfstoff. Dessen Effektivität hängt von Alter und Gesundheitszustand des Patienten ab, wobei Schutzraten von 50 bis 80 Prozent gezeigt wurden.
Die Impfexperten diskutierten während der Konferenz, ob in Zukunft auch ältere Menschen den Konjugatimpfstoff erhalten sollten. Eine zukünftige Strategie könnte in der Kombination der beiden Impfkonzepte bestehen: zuerst mit dem Konjugatimpfstoff und frühestens ein halbes Jahr später mit dem Polysaccharidimpfstoff impfen, um so eine Immunisierung gegen möglichst viel Pneumokokkenstämme zu erzielen.
Der Gürtelrose zuvorkommen
Für Senioren sinnvoll wäre auch eine Schutzimpfung gegen Gürtelrose (Herpes Zoster). Erreger der Erkrankung ist das Varizella-Zoster-Virus, das bei einer Erstinfektion zu Windpocken führt. Nach der Infektion zieht sich das Virus in die Spinalganglien zurück und bleibt dort lebenslang. Lässt die Immunität im Lauf der Jahre nach, entwickelt sich bei vielen Menschen eine Gürtelrose, meist im Alter über 50 Jahren. Gefürchtet sind Komplikationen, wie postherpetische Neuralgien, die oft langwierig, sehr schmerzhaft und schwierig zu behandeln sind.
In den USA werden seit 1995 Kleinkinder gegen Windpocken, also gegen das Varizella-Zoster-Virus geimpft. Seither ging dort die Zahl der Gürtelrose-Erkrankungen um 90 Prozent zurück. Deutschland führte die Empfehlung für eine Windpockenimpfung erst 2004 ein. Hier sank die Zahl der Herpes-Zoster-Fälle inzwischen um 85 Prozent.
Auslöser der Gürtelrose ist das Varizella-Zoster-Virus, gegen das auch ein Impfstoff zugelassen ist.
Foto: imago/imagebroker
Eine spezielle Impfung gegen Herpes Zoster, die 14-mal mehr Varizella-Antigene enthält als die Windpockenimpfung, wurde in den USA bereits in den 1980er-Jahren entwickelt. Die Impfung biete mindestens fünf Jahre Schutz, berichtete Professor Dr. Michael Oxman von der Universität in Kalifornien. Oxman stellte seine 2005 publizierte Studie vor, die mehr als 38 000 Personen im Alter von über 60 Jahren einschloss und die bisher umfassendste Studie zur Wirksamkeit der Immunisierung gegen Herpes Zoster darstellt. Eine Hälfte der Probanden erhielt die Zoster-Vakzine, die andere Hälfte ein Placebo. Das Ergebnis: Die Impfung reduzierte die Häufigkeit der Gürtelrose um 51 Prozent. Die Probanden, die trotz Impfung an einer Gürtelrose erkrankten, hatten deutlich weniger Schmerzen als die Patienten in der Placebo-Gruppe.
Auch in der EU wurde bereits 2006 mit Zostavax® ein Impfstoff gegen Gürtelrose zugelassen, der jedoch aufgrund mangelnder Produktionskapazitäten bisher nicht auf dem Markt ist. In voraussichtlich einem halben Jahr sei der Impfstoff vermutlich auch in Deutschland verfügbar, berichtete Professor Dr. Peter Wutzler, Präsident der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten. In Europa ist der Impfstoff ab dem 50. Lebensjahr zugelassen, in den USA erst ab dem 60. Lebensjahr. Bisher hat STIKO noch keine Impfempfehlung ausgesprochen.
Wünschenswert sei es, das Varizella-Virus vollständig auszurotten. Dazu müssten jedoch mehr als 90 Prozent aller Kinder geimpft werden. Das sei in Deutschland aufgrund der weitverbreiteten Impfskepsis nicht möglich, bedauerte Wutzler. /