Deutschland muss mehr tun |
22.03.2011 17:19 Uhr |
Von Petra Eiden, Berlin / 650 000 Todesfälle sind in Europa jedes Jahr auf das Rauchen zurückzuführen. Der EQUIPP-Report, eine Analyse der Bekämpfung der Nikotinabhängigkeit in 20 europäischen Ländern, belegt: In Deutschland gibt es noch viel zu tun. Vor allem die Politik ist gefordert.
»Deutschland ist eines der tabakfreundlichsten Länder in Westeuropa«, sagte Professor Dr. Robert Loddenkemper, ehemaliger Präsident der European Respiratory Society (ERS), bei der Erstvorstellung des europaweiten EQUIPP-Reports in Berlin. Nach seinen Angaben rauchen hierzulande noch immer rund jeder dritte Mann und jede vierte Frau. 110 000 Tote pro Jahr seien in Deutschland auf das Rauchen zurückzuführen, das entspreche etwa 13 Prozent aller Todesfälle.
In Deutschland wird im europäischen Vergleich relativ viel geraucht. Die Anstrengungen der Politik, dies zu ändern, reichen einer aktuellen Analyse zufolge nicht aus.
Foto: Techniker Krankenkasse
Geschätzte 3300 Menschen würden zudem durch Passivrauchen sterben, sagte Loddenkemper. Die direkten Gesundheitskosten, die auf das Rauchen zurückzuführen sind, liegen seinen Angaben zufolge bei rund 8,7 Milliarden Euro, die indirekten bei fast 25 Milliarden Euro pro Jahr. Demgegenüber stünden 13,5 bis 14,4 Milliarden Euro Staatseinnahmen aus der Tabaksteuer, so Loddenkemper.
Auch der EQUIPP-Report (Europe QUItting: Progress and Pathways) stellt Deutschland basierend auf Interviews mit führenden Experten ein schlechtes Zeugnis aus. Er wurde mit Unterstützung von Pfizer von einem unabhängigen Forschungsinstitut durchgeführt, um die Anstrengungen und Fortschritte von 20 europäischen Ländern zum Nichtraucherschutz und zur Bekämpfung der Nikotinabhängigkeit zu analysieren.
Länder planen Leitlinien
Ziel war es, die Umsetzung der Framework Convention on Tobacco Control (FCTC) aus dem Jahr 2005 zu untersuchen, mit der die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Verbreitung des Tabakkonsums eindämmen will. Von den 192 WHO-Mitgliedstaaten haben 172 das Abkommen ratifiziert und sich damit verpflichtet, Leitlinien zur Bekämpfung der Nikotinabhängigkeit zu erarbeiten und Rauchentwöhnungsangebote zu gewährleisten.
Bei den Nichtraucherschutzgesetzen gibt es noch zu viele Ausnahmen, kritisieren Experten.
Foto: Fotolia
Laut Loddenkemper setzen sich in Deutschland zehn größere Organisationen wie das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), die Bundesärztekammer (BÄK), die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP) und die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGP) dafür ein, den Einstieg in den Tabakkonsum zu verhindern, den Ausstieg zu fördern und den Schutz vor Passivrauchen zu verbessern.
Daher gibt es erste positive Entwicklungen. So ist die Zustimmung zum Rauchverbot in der Öffentlichkeit von 53 Prozent im Jahr 2005 auf 73 Prozent im Jahr 2009 gestiegen. »Der Druck auf die Politik wächst«, hob Loddenkemper hervor. Zugleich nahm die Zahl der Raucher im Alter von 15 bis 17 Jahren im letzten Jahrzehnt auf derzeit rund 16 Prozent ab. Außerdem wurden auf Länderebene Nichtraucherschutzgesetze eingeführt.
Umfassendes Rauchverbot fehlt
Doch die Anstrengungen reichen nach der Analyse des EQUIPP-Reports bei Weitem nicht aus (siehe Kasten). Bei den Nichtraucherschutzgesetzen gibt es beispielsweise große Unterschiede zwischen den Bundesländern und zu viele Ausnahmen: Ein umfassendes Rauchverbot steht noch aus. Insbesondere am Arbeitsplatz müsse der Schutz weiter verbessert werden, sagte Loddenkemper.
Allgemeines Rauchverbot in der Öffentlichkeit
Erhöhung der Tabaksteuer
Erstattung von Rauchentwöhnungsprogrammen und -therapien
Hausärzte als Zentrum der Rauchentwöhnung
Aufbau von regionalen Rauchentwöhnungsnetzwerken
Aufnahme der Rauchentwöhnung in die Ausbildung von Medizinstudenten und medizinischem Fachpersonal
Werbeverbot für Tabakprodukte
Zudem werden zwar Aufklärungsprogramme angeboten, um insbesondere Jugendliche zu motivieren, nicht mit dem Rauchen zu beginnen beziehungsweise aufzuhören. Der Report kritisiert jedoch die unzureichende Unterstützung derartiger Programme. »Die Ergebnisse für Deutschland sind im europäischen Vergleich bedauerlich. Offenbar muss gerade hier noch sehr viel Überzeugungsarbeit geleistet werden«, erklärte Dr. Thomas Hering, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Pneumologen (BDP).
Die Politik reagiert nicht
Professor Dr. Bertrand Dautzenberg, Präsident der Office Fançis du Tabagisme (OFT) in Paris, sieht vor allem Politiker – und nicht Ärzte – gefordert, da diese viele der geforderten Maßnahmen umsetzen und sich gegen die Tabaklobby durchsetzen müssten. Als positives Beispiel nannte er die finnische Staatspräsidentin Tarja Halonen, die angekündigt hat, dass ihr Land bis 2040 vollständig tabakfrei sein werde. Eine wichtige Voraussetzung ist nach seinen Angaben, die Nikotinabhängigkeit nicht als Lebensstil, sondern als chronische Erkrankung anzusehen.
Auch Hering erklärte, Wissenschaftler und Ärzte stünden hinter ihm, aber die Politik reagiere nicht. So habe der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) bereits vor 18 Monaten die Erstattung der medikamentösen Rauchentwöhnung durch die Krankenkassen für Patienten empfohlen, die in einem Disease-Management-Programm COPD eingeschrieben sind.
Dennoch sei diese effektive Behandlungsoption nach wie vor nicht erstattungsfähig, was den Studiensponsor Pfizer verärgern dürfte. Professor Dr. Martin Jarvis vom UCL Epidemiology & Public Health in London sah hierin europaweit einen großen Mangel: Seit den 1980er-Jahren sei klar, dass Nikotin die treibende Ursache für Tabaksucht darstelle und die medikamentöse Rauchentwöhnung Erfolge erziele, aber Politiker und Medien hätten dies nur zögerlich aufgenommen.
Der EQUIPP-Report soll dazu beitragen, die notwendigen weiteren Schritte für die Umsetzung des FCTC zu planen. »Das Zukunftsmodell für eine erfolgreiche Behandlung der Nikotinsucht ist die Kombination aus kognitiver Verhaltenstherapie und medikamentöser Unterstützung«, erklärte Hering. Vor allem aber gelte es, durch geeignete gesetzliche und steuerliche Maßnahmen den Zugang zu Zigaretten zu erschweren und damit Anreize gegen das Rauchen zu setzen. /