Parodontitis schadet dem Gesamtsystem |
07.03.2011 14:12 Uhr |
Von Gudrun Heyn, Berlin / Parodontitis ist keineswegs harmlos. Der chronischen Entzündung fallen mehr Zähne zum Opfer als der gefürchteten Karies. Doch die schleichend verlaufende Erkrankung des Zahnhalte-apparats beeinflusst nicht nur die Gesundheit der Mundhöhle. Immer mehr Studien weisen darauf hin, dass sie ein bedeutender Risikofaktor für Systemerkrankungen sein kann.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, Pneumonie und zahlreiche weitere Erkrankungen stehen in dem Verdacht, durch Parodontitis begünstigt zu werden. »Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen klare Zusammenhänge«, sagte der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Dietmar Oesterreich, vor Journalisten in Berlin. Nachgewiesen ist zudem, dass gute Mundhygiene eine Parodontitis wirksam verhindern kann. Eine Beratungsaufgabe für die Apotheke.
Kurz zur Begriffsklärung: Die Parodontitis ist eine bakteriell bedingte Entzündung des Zahnhalteapparats, die schleichend verläuft. Es kommt zu einem fortschreitenden Verlust an Zahnhalte- und -stützgewebe. Dagegen bezeichnet man einen nicht-entzündlichen Rückgang des Zahnhalteapparats, vor allem des Zahnfleischs, als Parodontose. Meist wird dieser Begriff (fälschlich) für alle Formen der Zahnbetterkrankungen verwendet.
Sorgfältige Mund- und Zahnpflege kommt dem ganzen Körper zugute.
Foto: TK
Am besten untersucht ist der Einfluss der Parodontitis auf Diabetes mellitus Typ 2. Mittlerweile ist sogar belegt, dass zwischen beiden Erkrankungen ein unheilvolles Wechselspiel besteht. Die Stoffwechselerkrankung fördert das Fortschreiten der chronischen Entzündung in der Mundhöhle, und diese wiederum kann die Insulinresistenz der Gewebe deutlich verstärken. Dies hat Folgen. Bei Diabetikern mit Parodontitis lässt sich der Blutzuckerspiegel schwerer einstellen, die Stoffwechselerkrankung schreitet schneller voran und das Mortalitätsrisiko steigt. »So haben Diabetiker mit einer fortgeschrittenen Parodontitis ein 8,5-fach höheres Risiko, an einer Nierenerkrankung und ein 2,3-fach höheres Risiko, an einer ischämischen Herzerkrankung zu versterben als Diabetiker, die unter keiner oder nur einer milden parodontalen Erkrankung leiden«, erklärte Oesterreich anlässlich des Monats der Mundgesundheit 2010.
Während die Bundeszahnärztekammer und die Initiative »Gesund im Mund« seit einigen Jahren mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf die kausale Beziehung zwischen Parodontitis und Diabetes aufmerksam machen, ist der Einfluss auf kardiovaskuläre Erkrankungen und Pneumonie weniger bekannt. Wie hängen Parodontitis und Allgemeinerkrankungen zusammen?
Fast jeder Ältere ist betroffen
Parodontalerkrankungen sind häufig und weitverbreitet. Allein in Deutschland kann bei rund 40 Prozent der Durchschnittsbevölkerung eine moderate Parodontitis festgestellt werden. »Bei den Älteren ist fast jeder betroffen«, konstatiert Professor Dr. James Deschner von der Poliklinik für Parodontologie der Universität Bonn. In der Altersgruppe der 65- bis 74-jährigen leiden 48 Prozent unter einer mittelschweren und rund 40 Prozent unter einer schweren Ausprägung der Erkrankung. Damit hat sich die Situation deutlich verschlechtert, wie ein Vergleich der Zahlen aus dem Deutschen Mundgesundheitsbericht 1997 mit dem letzten, immer noch aktuellen Bericht von 2005 zeigt. In diesen acht Jahren stieg die Zahl der Erwachsenen und Senioren mit einer mittelschweren bis schweren Parodontalerkrankung um fast 27 beziehungsweise 24 Prozentpunkte (1).
Der Grund für diese Negativentwicklung ist eigentlich ein positiver. Dank einer besseren Kariesprophylaxe, aber auch durch einen Versorgungsgrad mit Füllungen (Kariessanierungsgrad) von inzwischen mehr als 95 Prozent gehen immer weniger Zähne durch Karies verloren. So kommt es, dass zunehmend mehr Menschen über mehr natürliche Zähne verfügen und daher verstärkt unter schweren Parodontalerkrankungen leiden können.
Zudem steigt mit dem Lebensalter das Risiko für die chronische Entzündung. »Warum dies so ist? Dafür gibt es noch keine wissenschaftliche Erklärung«, sagte Oesterreich. Möglicherweise hängt das höhere Erkrankungsrisiko mit einer veränderten Immunlage im Alter zusammen. Es könnte aber auch sein, dass ältere Menschen aufgrund ihrer nachlassenden Sehleistung bei der täglichen Zahnpflege einfach den Reinigungszustand der Zahnzwischenräume nicht mehr erkennen.
Über Jahre unbemerkt
Unter einer chronischen Parodontitis verstehen Zahnmediziner den entzündlichen Abbau des Zahnhalteapparats (Parodont), also von Zahnfleisch (Gingiva), Wurzelhaut (Desmodont, Periodont), Zahnzement und Alveolarknochen mit einem fortschreitenden Verlust von Stützgewebe (2) (Grafik 1). Die klinischen Symptome können einzelne, mehrere oder alle Zähne eines Gebisses betreffen. Zu Beginn leidet der Patient an typischen Beschwerden wie Zahnfleischbluten, Rötungen und Schwellungen der Gingiva sowie Mundgeruch. Trotzdem kann die Erkrankung über Jahre unbemerkt bleiben. In der Regel schreitet sie nur sehr langsam voran und verursacht keine Schmerzen. Erst spät kommt es zu Zahnschmerzen, Eiteraustritt und Zahnausfall.
Obwohl die Parodontitis heute der häufigste Grund für Zahnverluste bei Menschen über 40 Jahren ist, gibt es noch keine einheitliche Definition der Erkrankung und ihrer Schweregrade. So wird in Deutschland zwischen einer generalisierten und einer lokalisierten Form unterschieden. Bei der lokalisierten Form sind weniger als 30 Prozent der Flächen betroffen, bei der generalisierten mehr (3). Die Schwere der Erkrankung richtet sich nach dem Attachmentverlust, also dem Verlust an bindegewebiger Verankerung des Zahns im Alveolarknochen. Als leicht gilt ein Verlust von 1 bis 2 mm, als mäßig von 3 bis 4 mm und als schwer, wenn der Schwund mehr als 5 mm beträgt.
Andere Definitionen berücksichtigen die Sondierungstiefe, also die Tiefe von Zahnfleischtaschen zwischen Zahn und Zahnfleisch. Mit ihrer Hilfe beurteilen Zahnmediziner das Ausmaß der gegenwärtigen Entzündung und meist auch die Prävalenz der Parodontitis in der Bevölkerung (4).
Pathogene brauchen Plaque
Eine Parodontitis entsteht in der Regel durch die Verschiebung des bakteriellen Gleichgewichts in der Mundhöhle hin zu einem Übergewicht pathogener Bakterienarten. Hierzu gehören vor allem gramnegative Anaerobier wie Bacteroides, Prevotella, Porphyromonas und Agregobacter-Spezies (4). In kleinen Mengen sind sie immer im Mund präsent. Damit sie sich überproportional vermehren können, benötigen sie geschützte Areale mit spezifischen Milieubedingungen.
Die Tiefe von Zahnfleischtaschen ist ein Kriterium für den Grad einer Parodontitis.
Foto: DAK/Wigger
Besonders günstige Verhältnisse finden die Bakterien in einer ausgereiften Plaque in tiefen Zahnfleischtaschen. Wie entstehen diese harten Auflagerungen auf dem Zahnschmelz?
Jede Plaque beginnt zunächst völlig harmlos mit der Bildung eines dünnen Häutchens auf einer gereinigten Zahnoberfläche. Dieses besteht aus Proteinen des Speichels, befeuchtet den Zahn und schützt ihn beim Essen vor Abrasion. Mithilfe von Van-der-Waals-Kräften können Mikroben an dieses Häutchen binden (2). Um noch besser zu haften, scheiden sie klebrige Polysaccharide aus. So entsteht auf den Zahnoberflächen ein Belag, der sich vorwiegend aus Bakterien zusammensetzt (Grafik 2). Speisereste, Proteine und abgestorbene Hautzellen bilden den Nährboden für ihr Wachstum.
Bei einer mangelhaften Mundhygiene bildet sich daraus innerhalb weniger Tage ein hoch organisierter Biofilm. Er besteht aus Feldern mit Mikrokolonien koexistierender Bakterien, die im Ökosystem Plaque unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Sie bauen Nahrungsketten auf und nutzen wasserführende Kanäle zwischen den Einzelkolonien zum Austausch von Stoffwechselprodukten, Nähr- und Botenstoffen (2). Ein dreidimensionales Netz aus Exopolysacchariden schützt den Biofilm vor dem leichten mechanischen Druck der Zahnbürste. Auch antibakteriell wirkende Substanzen kann er abwehren (5). Dann hilft meist nur noch die professionelle Zahnreinigung bei Zahnarzt.
In einer mehrere Wochen alten, ausgereiften Plaque ist der prozentuale Anteil der unterschiedlichen Bakterien deutlich verschoben. Im Vergleich zur Zusammensetzung des Speichels dominieren nun gramnegative Spezies. Vor allem ihre als Endotoxine wirkenden Zellwandbestandteile (Lipopolysaccharide) führen zu einer verstärkten Ansammlung von neutrophilen Granulozyten und damit zu ersten entzündlichen Reaktionen im Zahnfleisch.
Dabei steigen die Spiegel von proinflammatorischen Zytokinen wie TNF-α und Interleukin-6, Prostaglandinen (PG) wie PGE2 und Enzymen wie Metalloproteasen, Kollagenasen und Elastasen.
Durch die Bakterientoxine und den Entzündungsprozess werden die Zahnhälse freigelegt, und es entstehen tiefe Zahnfleischtaschen. In dem dort herrschenden anaeroben Milieu fühlen sich Mikroben wie Porphyromonas gingivalis besonders wohl (Grafik, unten rechts). Letztlich wird Bindegewebe abgebaut, und Knochen und Zähne verlieren ihren Halt.
Studien zeigen Gefahr fürs Herz
Zahlreiche Studien und Metaanalysen weisen inzwischen darauf hin, dass Parodontalerkrankungen ein wichtiger Risikofaktor für Entstehung und Verlauf von Allgemeinerkrankungen sind. Neugierig wurden Forscher bereits Ende der 1980er-Jahre. Damals hatte eine Studie gezeigt, dass Patienten mit akutem Myokardinfarkt eine deutlich schlechtere Mundgesundheit aufwiesen als gleichaltrige gesunde Kontrollpersonen (6, 7, 8).
Da Entstehung und Fortschreiten kardiovaskulärer Erkrankungen durch »traditionelle« Risikofaktoren wie Rauchen, erhöhte Blutfettwerte und Übergewicht nur teilweise erklärt werden können, begannen die Wissenschaftler weltweit, auch nach oralen Ursachen zu fahnden (9, 10). Derzeit gehen sie von einem moderaten, aber signifikanten Zusammenhang zwischen parodontalen und kardiovaskulären Erkrankungen aus (9, 11).
So zeigen Metaanalysen, dass Parodontitis-Patienten im Vergleich zu Mundgesunden ein um 14 bis 15 Prozent höheres Risiko für eine koronare Herzkrankheit (KHK) haben. In Studiendesigns mit einem niedrigeren Evidenzgrad war dieses Risiko sogar deutlich höher. Dabei wiesen parodontal Erkrankte mit weniger als zehn Zähnen sogar ein 24 Prozent höheres KHK-Risiko auf (6). Vermutet wird, dass die weitgehend Zahnlosen bereits früher an einer Parodontitis erkrankt waren, deren Folgen für das Gefäßsystem möglicherweise irreversibel sind. Eine weitere Metaanalyse konnte zudem nachweisen, dass Parodontitis-Patienten ein 2,8-fach erhöhtes Schlaganfallrisiko haben (11).
Der gemeinsame Nenner
Weitaus weniger Studien liegen vor zum Einfluss der Mundgesundheit auf die Entstehung und Progression von Lungenerkrankungen. Dennoch gilt der Zusammenhang zwischen oraler Plaque und dem Risiko, an einer Pneumonie zu erkranken, inzwischen als gesichert (10). So wurde in Querschnittsstudien bei Patienten mit schlechter Mundhygiene ein 4,5-fach erhöhtes relatives Risiko für Pneumonien gefunden (8, 10).
Noch sind die genauen Zusammenhänge zwischen Parodontal- und Allgemeinerkrankungen nicht endgültig erforscht. Inflammatorische Prozesse kristallisieren sich jedoch immer mehr als gemeinsamer Nenner heraus. Bei der Pneumonie ist dies offensichtlich. Sie gehört laut Weltgesundheitsorganisation gemeinsam mit der Influenza zu den zehn häufigsten tödlichen Infektionskrankheiten der Welt. Besonders betroffen sind Menschen in Altenheimen und auf Intensivstationen (12).
Bakterien, Mykoplasmen, Viren, Pilze oder Parasiten können eine Lungenentzündung auslösen. Während Erreger wie Streptococcus pneumoniae oder Haemophilus influenzae zu den typischen Verursachern einer ambulant erworbenen Pneumonie gehören, werden nosokomiale Pneumonien häufig auch durch die Flora des eigenen Mund-Rachen-Raums verursacht (12). Das Risiko ist besonders groß, wenn Patienten unter vermindertem Speichelfluss leiden und ihr Hustenreflex reduziert ist oder wenn sie keine gute Mundhygiene mehr betreiben können. Daher sind beatmete Patienten auf Intensivstationen besonders gefährdet. Mit der Dauer der Intubation steigt die Bakterienlast in der Mundhöhle, dentale Plaque breitet sich aus und erhöht damit die Gefahr einer Pneumonie.
Auch in Altenheimen ist die Bakterienbelastung der Mundhöhle ein wichtiger Risikofaktor. So konnte eine Studie mit 613 Altenheimbewohnern zeigen, dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Pneumonie und einer inadäquaten Mundhygiene gibt (13). Unabhängig davon stellten Schluckbeschwerden einen weiteren Risikofaktor dar (sogenannte Aspirationspneumonie).
Mit dem Blut ins System
Dagegen haben Parodontitis-Patienten und Menschen mit einer kardiovaskulären Erkrankung auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Nur wenige Risikofaktoren wie Lebensalter oder Rauchen stimmen überein. Die moderne Sichtweise der Atherosklerose betont jedoch den Einfluss von Hypercholesterolämie und Inflammation auf die Gefäße. Atherosklerose ist die wichtigste und häufigste krankhafte Veränderung innerhalb der kardiovaskulären Erkrankungen. Fast 40 Prozent der Todesfälle in den Vereinigten Staaten gehen darauf zurück.
Doch wie hängt eine Atherosklerose mit der Plaque im Mund zusammen? Die Pathomechanismen, wie Bakterien aus dem Mund ins System gelangen, sind inzwischen relativ gut erforscht.
Eine optimale Mundhygiene ist nach wie vor die beste Maßnahme, um einer Parodontitis vorzubeugen. Da Bakterien in ihren hoch organisierten Biofilmen vor chemischen Angriffen und den Attacken des Immunsystems weitgehend geschützt sind, gilt es zunächst, den Biofilm physikalisch zu zerreißen und soweit wie möglich zu entfernen. Das Apothekenteam sollten dem Kunden dazu gründliche und zugleich schonende Werkzeuge empfehlen: eine Zahn- oder Aufsteckbürste mit kurzem Kopf und weichen bis mittelharten abgerundeten Kunststoffborsten. Speziell für Parodontitis-Patienten gibt es Produkte, mit denen sich die Plaque am Zahnfleischsaum besonders gründlich beseitigen lässt (Beispiele: Meridol® Zahnbürste mit mikrofeinen Borstenenden, Oral-B® Sulcus). Zungenschaber und -bürsten sind zur Beseitigung von Bakterien auf Zunge und Wangen besonders geeignet (Beispiele: Meridol® Halitosis, Colgate® 360°). Mit Zahnseide, Zahnhölzchen und Interdentalbürstchen können die Zahnzwischenräume besser gepflegt werden (Beispiele: Dr. Best® Interdent Aktiv, blend-a-dent® Complete V-Interdental).
»Die zusätzliche Reinigung des Interdentalraums ist ein absolutes Muss«, betont der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Dietmar Oesterreich. Zumindest für Kanada sei inzwischen nachgewiesen, dass Parodontalerkrankungen deutlich abnehmen, wenn die Menschen mindestens einmal am Tag Zahnseide anwenden (Flossing). Wer keine Zahnseide benutzen möchte oder kann, für den ist eine Munddusche empfehlenswert (Beispiele: Waterpik, Oral-B). Auch an schwer zugänglichen Stellen ist sie bei der Entfernung von Plaque-Biofilmen nachweislich effektiv.
Zahnpasten unterstützen die Reinigungswirkung. Die Bundeszahnärztekammer empfiehlt die Verwendung von Zahnpasten mit einem Fluoridgehalt von 1000 bis 1500 ppm. Da Kleinkinder beim Zähneputzen häufig größere Mengen Zahnpasta verschlucken, sollten bis zum sechsten Lebensjahr nur Kinderzahnpasten mit bis zu 500 ppm Fluorid angewendet werden. Fluoride härten nicht nur den Zahnschmelz, sondern hemmen verschiedene Enzyme des bakteriellen Stoffwechsels und können so das Bakterienwachstum ausbremsen.
Zur Parodontitis-Prophylaxe sind Zahnpasten mit antibakteriellen Zusätzen wie Triclosan/Copolymer oder Zinnfluorid besonders empfehlenswert (Beispiele: Colgate® Total, blend-a-med Pro-Expert® Zahnfleischschutz). Zusätzlich können antibakteriell wirksame Mundspüllösungen, etwa mit Chlorhexidin oder Triclosan, sinnvoll sein. Um ein gesundes bakterielles Gleichgewicht in der Mundhöhle wieder herzustellen, gibt es Probiotika aus der Apotheke, die bei der täglichen Mundpflege eingesetzt werden können (Beispiel: GUM® PerioBalance Lutschtabletten).
Jede Mundhöhle stellt eine bedeutende potenzielle Quelle für Bakterien dar. So kann ein Kubikmilliliter dentaler Plaque mehrere 100 Millionen Bakterien enthalten. Aus entzündeten subgingivalen Bereichen können die Keime, ihre Bestandteile und Stoffwechselprodukte direkt in den Blutkreislauf und von dort aus an alle Stellen des Körpers gelangen.
Inzwischen wurden parodontalpathogene Keime auch in arteriosklerotischen Plaques in Hals- und Koronararterien sowie in Aorten nachgewiesen (11). Dort sind sie am Krankheitsgeschehen direkt beteiligt. So konnte im Tierversuch gezeigt werden, dass die Gabe von Porphyromonas gingivalis atheromatöse Gefäßveränderungen provozieren kann. Dies gelang auch dann, wenn die Blutfettwerte nicht erhöht waren (10). Bakterien wie Porphyromonas gingivalis können in Endothelzellen eindringen, die Bildung von Entzündungsmediatoren induzieren, die Umwandlung von Makrophagen in Schaumzellen fördern und die Aggregation von Thrombozyten ankurbeln.
Zahlreiche Studien belegen zudem, dass Patienten mit chronischer Parodontitis in der Flüssigkeit ihrer Zahnfleischtaschen und im Blut erhöhte Spiegel von Entzündungsmediatoren aufweisen. Dazu gehören vor allem TNF-α und die Interleukine IL-1β, IL-6 und IL-8. Sowohl in der Mundhöhle als auch im Körper spielen sie bei entzündlichen Prozessen eine große Rolle. Möglicherweise gelangen die Entzündungsmediatoren über den Blutkreislauf auch in die Lunge, wo sie lokale entzündliche Prozesse fördern können (12).
Bakterien und ihre Produkte können auch auf anderem Weg in die Atmungsorgane eindringen. So breiten sich Mikroorganismen aus oralen Biofilmen wahrscheinlich auch im Speichel aus. Von dort werden sie beim Einatmen in den Respirationstrakt eingesaugt oder können dorthin gelangen, wenn der Patient sich am Speichel verschluckt. In der Lunge können sie eine Pneumonie auslösen oder deren Progression begünstigen (12).
Mundhygiene mindert das Risiko
Neben epidemiologischen Studien und den teilweise gut aufgeklärten Pathomechanismen stärken inzwischen auch Interventionsstudien die These, dass kardiovaskuläre Erkrankungen, Pneumonien und chronische Parodontitis kausal zusammenhängen. So konnten Studien zeigen, dass sich infolge einer Parodontitistherapie auch die durch Atherosklerose eingeschränkte endotheliale Gefäßfunktion verbessern kann (11). Zugleich sank die Konzentration des Entzündungsmarkers C-reaktives Protein im Serum der Patienten (9). Ob eine Parodontitisbehandlung auch Herzinfarkt und Schlaganfall verhindern kann, müssen zukünftige Untersuchungen zeigen.
Ziel jeder Parodontitistherapie ist die Elimination der Entzündung. Sie beginnt daher mit einer professionellen Zahnreinigung, bei der die anhaftenden Beläge mechanisch entfernt werden. Zur Reduktion der Bakterienlast erhält der Patient gegebenenfalls begleitend eine systemische Antibiotikatherapie. Anschließend erfolgt eine Sanierung der Zahnfleischtaschen. Je nach Befund kann zudem eine kieferorthopädische Behandlung sinnvoll sein.
Ferner belegen Studien in Altenheimen, dass Parodontitis-Patienten von einer täglichen gründlichen Mundhygiene profitieren. Sie weisen eine geringere orale Bakterienlast auf und leiden weniger häufig unter einer Pneumonie (13). Eine vergleichbare Wirkung hat die einmal wöchentliche professionelle Mundreinigung mit Zahnbürste, Zahnseide und Zungenbürste durch geschulte Pflegekräfte. Selbst die Influenza lässt sich dadurch reduzieren (14).
Auch Patienten auf Intensivstationen profitieren von der täglichen Mundhygiene. So ergab eine Metaanalyse, dass die Inzidenz nosokomialer Pneumonien durch eine mechanische Zahnreinigung, eine chemische Desinfektion oder die Gabe von Antibiotika im Durchschnitt um 40 Prozent gesenkt werden kann (15). Gute Erfolge gibt es etwa mit Chlorhexidin (CHX). Studien zeigen, dass die topische Anwendung bei beatmeten Patienten die Inzidenz von Pneumonieepisoden reduzieren, die Notwendigkeit von Antibiotika vermindern und die Dauer der Beatmung verkürzen kann (12). Eine klare Reduktion der Mortalität durch Chlorhexidin oder andere mundhygienische Maßnahmen ist bislang jedoch nicht nachgewiesen. Somit fehlt auch bei der Pneumonie der endgültige Beweis für einen kausalen Zusammenhang mit der Parodontitis.
»Wir wissen, dass wir die Kausalität weiter untersuchen müssen«, sagte Zahnärzte-Vizepräsident Oesterreich. Trotzdem gebe es bereits jetzt gute Gründe dafür, Parodontalerkrankungen zahnärztlich zu behandeln und einer Parodontitis durch eine gute Mundhygiene vorzubeugen. Zumindest lasse sich der Verlust von Zähnen vermeiden. Wahrscheinlich trage die Mundpflege jedoch auch dazu bei, das Risiko und die Progression von Infektions-getriggerten Allgemeinerkrankungen zu verringern. Im Kundengespräch können Apotheker und PTA auf den erheblichen gesundheitlichen Nutzen einer fachgerechten Zahnpflege aufmerksam machen. /
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Gudrun Heyn arbeitete nach der Promotion in verschiedenen Forschungseinrichtungen, darunter am Kernforschungszentrum Karlsruhe und beim Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung. Sie erfüllte Lehraufträge an der Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg, und der Freien Universität, Berlin. In Fachpublikationen veröffentlichte sie Ergebnisse eigener Forschungen. Seit ihrer Ausbildung als Journalistin ist Dr. Heyn als freie Wissenschaftsjournalistin in Berlin tätig und behandelt vor allem Themen aus Medizin und Pharmazie.
Dr. Gudrun Heyn
Ferbitzer Weg 33 B
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