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Vitamin K

Vielseitiger als ­angenommen

27.02.2018  10:32 Uhr

Von Burkhard Kleuser / Die Bedeutung von Vitamin K für die ­Blutgerinnung ist bekannt. Das Vitamin scheint jedoch noch mehr zu können und unter anderem auch die Knochen- und Gefäß­gesundheit positiv zu beeinflussen. Für die pharmazeutische Praxis wichtig zu wissen ist, dass große pharmakokinetische ­Unterschiede bei den K-Vitameren existieren.

Bei Vitamin K handelt es sich nicht um eine einzelne Verbindung, sondern vielmehr um eine Vielzahl chemisch verwandter Moleküle, sogenannter Vitamere mit ähnlicher biologischer Vitaminwirkung. Alle Verbindungen besitzen als gemeinsames Strukturmerkmal ein 2-Methyl-1,4-Naphtochinon-Grundgerüst, das auch als Menadion oder Vitamin K3 bezeichnet wird (1).

Zur näheren Erläuterung: Vitamin K1, auch Phyllochinon genannt, besitzt in Position 3 des Grundgerüstes eine Phytylseitenkette, einen einfach ungesättigten acyclischen Kohlenwasserstoff-Rest aus 20 C-Atomen (siehe Formeln). Mitglieder der Vitamin K2-Familie, auch als Menachinone bekannt, wiederum haben eine Seitenkette, die aus Isoprenoid-Einheiten aufgebaut ist. Die Anzahl der Isoprenoid-Einheiten kann von 1 bis 14 variieren. Es wurde daher die Abkürzung »Menachinon n« (MK-n) eingeführt, wobei sich »n« nach der Zahl der Isoprenoid-Einheiten richtet. Prominente Vertreter der Menachinone sind MK-4 und MK-7 mit vier ­beziehungsweise sieben Isoprenoid-Einheiten (2).

Diverse Vitamere

 

Im Gegensatz zu Menadion, also Vitamin K3, das lediglich chemisch synthetisiert werden kann, kommt Phyllochinon (Vitamin K1) als Bestandteil des Photosynthese-Apparates vor allem in den Chloroplasten von Pflanzen und Algen vor. Besonders reich an Vitamin K1 sind daher grüne Blattgemüse wie Spinat, Salate und Kohl. Als fettlösliches Vitamin ist Phyllochinon auch in pflanzlichen Ölen enthalten (siehe Tabelle unten).

 

Menachinone, also Mitglieder der K2-Familie, werden von Bakterien gebildet. Man findet sie daher häufig in fermentierten Lebensmitteln wie Joghurt und Käse. Daneben stellt auch Rinderleber eine Menachinon-Quelle dar.

 

Kommt es auch im menschlichen Kolon zur Synthese von Menachinonen durch Bakterienstämme wie Bacteriodacea oder Enterobacteriacea, so wurde lange Zeit angenommen, dass diese im Dickdarm gebildeten Menachinone zur Vitamin K-Versorgung beim Menschen beitragen (2). Heute geht man aber eher von einer untergeordneten Rolle dieser Vitamere aus (3). Vitamin K bedarf einer Mizellenbildung mit Gallensäuren, um von den Enterozyten aufgenommen zu werden. Die im Kolon gebildeten Vitamin K-Verbindungen werden daher schlecht resorbiert (4).

 

Den größten Teil an Vitamin K mit mehr als 70 Prozent nehmen die Deutschen über grüne Blattgemüse auf. Daher ist Vitamin K1 das prominentere Molekül in der Vitamin K-Versorgung durch Nahrungsmittel (5). Der Menachinon-Anteil an der Vitamin K-Versorgung über fermentierte Produkte beträgt meist weniger als 25 Prozent (6). Etwas anders sieht das in Japan aus. Hier existiert mit Natto ein traditionelles japanisches Lebensmittel aus Sojabohnen, das durch Bacillus subtilis fermentiert wird und sehr hohe Gehalte an MK-7 enthält (7).

Tabelle: Ausgewählte Lebensmittel mit hohem Vitamin K-Gehalt

Broccoli gekocht 270
Broccoli roh 155
Brunnenkresse 250
Fenchel 240
Grünkohl 817
Kichererbsen 264
Kopfsalat 109
Kürbiskernöl 112
Linsen (trocken) 122
Spinat 309
Rapsöl 150
Rosenkohl 236
Rinderleber (Vitamin K2) 74

(Durchschnittswerte in µg pro 100 Gramm Nahrungsmittel)

Zahlreiche Funktionen

 

Die Bioverfügbarkeit von Vitamin K1 variiert je nachdem, ob es über grünes Blattgemüse oder über pflanzliche Öle aufgenommen wird, stark. Die Resorption aus grünem Blattgemüse erfolgt sehr viel schlechter, da Phyllochinon sehr fest in den Chloroplasten verankert ist (4).

 

Die pharmakokinetischen Eigenschaften von Vitamin K1 unterscheiden sich erheblich zum Beispiel von denen von MK-7. MK-7 hat aufgrund seiner höheren Lipophilie eine deutlich längere Halbwertszeit und reichert sich in verschiedenen Geweben signifikant besser an. Vitamin K1 ist dagegen hauptsächlich in der Leber zu finden. Diese Verteilungsunterschiede scheinen für die extrahepatischen Wirkungen von Vitamin K sehr wichtig zu sein (4).

Vergleicht man die beiden Menachinone MK-7 und MK-4, so sieht man eine deutlich schlechtere Resorption des weniger lipophilen MK-4. Trotzdem ist MK-4 im menschlichen Organismus zu finden. Erst seit kurzem ist bekannt, dass der Mensch Vitamin K1 in MK-4 umwandeln kann (8).

 

Bei circa 5 bis 25 Prozent des mit der Nahrung aufgenommenen Vitamin K1 kommt es im Dünndarm zu einer Abspaltung der Phytyl-Seitenkette. Das so gebildete Menadion wird resorbiert und in Zielzellen durch das Enzym »UbiA prenyltransferase-containing domain protein 1« (UBIAD1) zu MK-4 metabolisiert (9). Die gewebespezifische Expression des Enzyms führt dazu, dass MK-4 im Gegensatz zu Vitamin K1 und auch MK-7 vor allem in Gehirn, Niere und Pankreas präsent ist (10). Die Bedeutung des Vitamers in diesen Organen ist bisher nur wenig erforscht.

 

Pro- und antikoagulatorisch

 

Vitamin K ist an der posttranslationalen Modifikation vieler Proteine beteiligt. Benötigt unter anderem die γ-Glutamylcarboxylase zur Einführung einer Carboxylgruppe neben CO2 und O2 als Kofaktor Vitamin K, so wird das Vitamin im Rahmen dieser Reaktion in seiner Hydrochinonform zum Vitamin K-2,3-epoxid oxidiert. Wichtig ist, dass das Epoxid durch die Vitamin K-Epoxid- sowie die Chinon-Reduktase wieder recycelt werden kann (11).

 

Von besonderer Bedeutung ist die Epoxid-Reduktase durch Vitamin K-Ant­agonisten wie Warfarin oder Phenprocoumon, die im Rahmen einer Antikoagulationstherapie eingesetzt werden. Die γ-Carboxylierung ist essentiell für die Funktion der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X. Weiterhin werden auch Protein C, Protein S und Protein Z carboxyliert. Alle drei Proteine wirken antikoagulatorisch. Vitamin K besitzt somit eine pro- und antikoagulatorische Wirkung. Dies erklärt, warum eine hohe Aufnahme an Vitamin K generell nicht zu einer verstärkten Blutgerinnung und Thromboseneigung führt.

 

Die gleichzeitige Einnahme von Vitamin K und Vitamin K-Antagonisten birgt jedoch die Gefahr einer pharmakodynamischen Interaktion. Studien belegen, dass bei einer täglichen Aufnahme von mehr als 300 µg Vitamin K1 der INR-Wert deutlich gesenkt wird (12). Aufgrund der wesentlich besseren Bioverfügbarkeit von MK-7 kann es bei diesem Vitamer schon zu einer Störung der Blutgerinnung kommen, wenn eine tägliche Supplementierung von weniger als 10 μg MK-7 erfolgt. Daher sollten Patienten unter einer Therapie mit Vitamin K-Antagonisten ohne ärztliche Kontrolle kein MK-7 supplementieren.

Inzwischen sind neben den hepatischen Proteinen, die die Blutgerinnung beeinflussen, weitere extrahepatische Proteine identifiziert worden, die Vitamin K-abhängig posttranslational modifiziert werden.

 

Osteocalcin und Matrix-Gla-Protein sind hier zwei typische Vertreter. Da bekannt ist, dass diese Proteine am Knochenaufbau beziehungsweise der Verhinderung einer Gefäßkalzifizierung beteiligt sind, ist davon auszugehen, dass Vitamin K auch hier physiologische Funktionen besitzt.

 

Verbesserter Knochenaufbau

 

Zur Erinnerung: Osteocalcin ist ein Peptidhormon, das spezifisch von Osteoblasten der Knochen oder den Odontoblasten der Zähne gebildet wird. Es ist Bestandteil der extrazellulären nicht kollagenen Knochenmatrix und bindet an Calciumionen und Hydroxylapatit des Knochens. Es scheint eine überschießende Mineralisierung des Knochens zu verhindern, die mit einer erhöhten Brüchigkeit verknüpft sein kann. Osteocalcin trägt damit zu einer guten Knochenstruktur mit höherer Belastbarkeit bei (14).

 

Osteocalcin steht unter der transkriptionellen Kontrolle des aktiven Metaboliten von Vitamin D3. Es kann seine Funktion beim Knochenaufbau jedoch nur ausüben, wenn es durch Vitamin K posttranslational carboxyliert vorliegt. Folglich ergänzen sich Vitamin D und Vitamin K beim Knochenaufbau in synergistischer Weise (14). Darüber hinaus wird diskutiert, dass Vitamin K, vor allem MK-7, auch den Transkrip­tionsfaktor NFκB inhibiert und so zu einem verbesserten Knochenaufbau beiträgt (15).

 

Mehrere Studien belegen, dass ein subklinischer Vitamin K-Mangel mit einem erhöhten Frakturrisiko verknüpft ist (16,17). Vor allem der Quotient von uncarboxyliertem und carboxyliertem Osteocalcin weist auf einen subklinischen Vitamin K-Status hin und gilt als ein sehr guter Biomarker für die Knochengesundheit. Ein hoher Anteil an uncarboxyliertem Osteocalcin ist mit einem erhöhten Frakturrisiko verbunden (18).

 

Bei einer nationalen Erhebung zum Gesundheitszustand der Bevölkerung in Japan 2002 wurden mehr als 118 000 Hüftgelenkfrakturen gezählt (19). Dabei zeigte sich eine sehr hohe Korrelation zwischen niedrigen Vitamin K-Spiegeln und Hüftgelenkfrakturen. Diese Korrelation war ausgeprägter als der inverse Zusammenhang zwischen dem Vitamin D3-Status und dem Auftreten von Hüftgelenkbrüchen. Interessanterweise wurden signifikant weniger Frakturen des Hüftgelenkes im östlichen Japan, einer Region mit traditionell hohem Natto-Verzehr, registriert.

In der ›Nurses Health Study‹, einer in Harvard durchgeführten prospektiven Kohortenstudie, wurde der Einfluss einer täglichen Vitamin K-Aufnahme auf die Knochengesundheit über mehr als zehn Jahre bei mehr als 72 000 Krankenschwestern im Alter von 38 bis 63 Jahren untersucht (20). Es konnte nachgewiesen werden, dass Frauen mit einer täglichen Vitamin K-Aufnahme von ≥ 109 μg im Vergleich zu jenen mit einer Aufnahme von < 109 μg ein um 30 Prozent verringertes Risiko für Hüftgelenkfrakturen zeigten.

 

Eine aktuelle dreijährige niederländische placebokontrollierte Studie an 244 gesunden postmenopausalen Frauen, die täglich 180 μg Vitamin K2 als MK-7 erhielten, zeigte eine signifikante Verbesserung der Knochengesundheit (21). Die Supplementierung mit MK-7 war auch mit einer deutlichen Zunahme an carboxyliertem Osteocalcin verknüpft.

 

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch eine kanadische vierjährige randomisierte placebokontrollierte Studie an 440 postmenopausalen Frauen mit Osteopenie (22). Dabei zeigten sich signifikant weniger Frakturen in der Gruppe der Frauen, die täglich mit 5 mg Vitamin K1 behandelt wurden (9 Frakturen gegenüber 20 in der Placebogruppe).

 

Obwohl diese kleineren Studien belegen, dass Vitamin K in der Lage ist, das Frakturrisiko zu senken, fehlen größere Untersuchungen, die diesen Effekt verifizieren. In den Leitlinien der Fachgesellschaften zur Osteoporose-Behandlung wird Vitamin K daher nicht zur Supplementation empfohlen. Ganz anders sieht dies in Japan aus. Hier zählt Vitamin K zu den meistverordneten Wirkstoffen bei Osteoporose.

 

Weniger Gefäßverkalkungen

 

Ein weiteres extrahepatisches Protein, das durch Vitamin K posttranslational verändert wird, ist das Matrix-GLA-Protein. Es wird ständig von vaskulären glatten Muskelzellen exprimiert und beugt einer vaskulären Kalzifizierung vor. Dies konnte eindrucksvoll in Tierstudien an Knockout-Mäusen gezeigt werden, die nicht in der Lage waren, Matrix-Gla-Protein zu bilden (27). Diese Tiere entwickelten massive Gefäßverkalkungen und verstarben bereits nach acht Wochen.

 

Seine Wirkung als Kalzifizierungs-Hemmer kann das Protein nur in seiner carboxylierten Form entfalten. Carboxyliertes Matrix-Gla-Protein kann im Gefäß Calciumionen komplexieren und damit einer Bildung von Calciumkristallen entgegenwirken. Auch weiß man, dass das carboxylierte Matrix-Gla-Protein ein Inhibitor des knochenmorphogenetischen Proteins 2/4 ist, das die Transdifferenzierung von glatten Muskelzellen zu Osteoblasten induziert. Ein Prozess, der bei der Gefäßverkalkung eine zentrale Rolle spielt (28).

Kombination Vitamin K und D sinnvoll?

Der aktive Metabolit von Vitamin D erhöht die Bildung von Osteocalcin, das anschließend durch Vitamin K carboxyliert wird. Daraus ergibt sich die Fragestellung, ob eine Kombina­tion beider Substanzen sinnvoll ist.

 

In einem Tiermodell, bei dem Osteoporose induziert wurde, war die Kombination beider Substanzen auf die Knochengesundheit der jeweils einzelnen Zufuhr deutlich überlegen (23). Jedoch sind bisher nur wenige entsprechende Interventionsstudien durchgeführt worden. Diese zeigten größtenteils keinen Effekt auf eine verbesserte Mineralisation. Lediglich eine Studie an 440 postmenopausalen Frauen mit Osteopenie zeigte ein geringeres Frakturrisiko, wenn Vitamin D und Vitamin K kombiniert wurden (24). In der Therapie von Erkrankungen wie Osteoporose erscheint eine Kombination beider Vitamine jedoch sinnvoll.

 

Noch weniger Studien existieren, die eine Kombinationstherapie zur Verhinderung von Gefäßverkalkungen untersucht haben. Bei zwei Interventionsstudien, in denen die Verkalkung der Koronargefäße untersucht wurde, zeigte sich in einer Studie eine verbesserte Gefäßelastizität bei Kombina­tionstherapie (25,26). Einschränkend ist zu betrachten, dass in beiden Studien Vitamin K1 und nicht MK-7 eingesetzt wurde, das, wie oben erläutert, einer Gefäßverkalkung sehr viel besser entgegenwirkt. Daher sind auch hier weitere Studien notwendig. Die Diskussion, dass die Gabe von Vitamin D plus Calcium ohne Vitamin K eine Gefäßverkalkung fördert, entbehrt bisher jedoch jeder wissenschaftlichen Evidenz.

Histologische Untersuchungen belegen, dass carboxyliertes Matrix-Gla-Protein in nicht kalzifizierten gesunden Arterien zu finden ist, während die uncarboxylierte Form nur in kalzifizierten arteriosklerotischen Plaques vorkommt (29). Dabei korreliert das Ausmaß der Kalzifizierung mit der Menge an nicht aktivem Matrix-Gla-Protein. Uncarboxyliertes Matrix-Gla-Protein ist dementsprechend ein eigenständiger Risikofaktor für Arteriosklerose.

 

Mehrere epidemiologische Studien belegen eine inverse Korrelation zwischen der Vitamin K-Aufnahme und dem Auftreten von Gefäßverkalkungen sowie Folgeerkrankungen und hier insbesondere kardiovaskulären Ereignissen.

 

In der ›Rotterdam-Studie‹, einer Bevölkerungsstudie mit mehr als 4800 älteren holländischen Frauen und Männern, wurde die Bedeutung des mit der Nahrung aufgenommenen Vitamin K auf das Risiko der Entwicklung von Gefäßverkalkungen und/oder koronarer Herzerkrankungen untersucht (30). Dabei zeigte sich über einen Untersuchungszeitraum von zehn Jahren, dass eine erhöhte Zufuhr von Vitamin K mit einer verringerten Mortalität verknüpft war. Bei Personen mit höherer Vitamin K-Zufuhr traten wesentlich weniger koronare Herzerkrankungen (41 Prozent) und Gefäßverkalkungen auf. Allerdings waren die Effekte nur bei einer Zufuhr von Menachinonen, nicht jedoch von ­Vitamin K1 nachweisbar.

 

Ähnliche Ergebnisse zeigte die »European Prospective Investigation Into Cancer and Nutrition (EPIC)«-Studie mit mehr als 16 000 Frauen im Alter von 49 bis 70 Jahren (31). Ihr Risiko, eine koronare Herzerkrankung zu entwickeln, war bei einer höheren Zufuhr an MK-7 signifikant erniedrigt. Das Krankheits­risiko sank um 9 Prozent pro 10 µg/Tag Vitamin K2-Einnahme. Auch in dieser Studie zeigte Vitamin K1 keinen ­Effekt.

 

Besonders bei Dialysepatienten kommt es häufig zu einer vorzeitigen Gefäßverkalkung und damit zu einem erhöhten kardiovaskulären Risiko (32). Diese weisen sehr oft hohe Gehalte an uncarboxyliertem Matrix-Gla-Protein auf. Dass kann an einer verminderten Zufuhr an Vitamin K liegen, denn Dialysepatienten müssen sich kaliumarm ernähren. Gerade grüne Blattgemüse sind häufig kaliumreich und werden von diesen Patienten gemieden. Eine Supplementierung mit MK-7 könnte daher bei Dialysepatienten besonders sinnvoll sein.

Messung von Vitamin K

Für die Ermittlung des Vitamin K-Status ist eine direkte Messung der Vitamin K-Plasmaspiegel wenig aussagekräftig. Zum einen handelt es sich um eine Vielzahl von Verbindungen, zum anderen ist die Halbwertszeit gerade von Vitamin K1 sehr gering und variiert sehr stark in Abhängigkeit des Triglyceridspiegels.

 

Da sich ein Vitamin K- Mangel klinisch durch eine Störung der Blutgerinnung bemerkbar macht, werden für den Vitamin K-Status meist Laborparameter aus der Gerinnungsdiagnostik verwendet, da die Plasmawerte von Vitamin K1 stark variieren und der Normbereich zwischen 50 und 900 ng/l liegen kann. Laborchemisch kommt es bei einem Vitamin K-Mangel zu einem Absinken des Quick-Wertes mit entsprechendem Anstieg des INR aufgrund der verminderten posttranslationalen Modifikation der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X in der Leber. In Abhängigkeit von der Plasma-Halbwertszeit der Gerinnungsfaktoren sinken zunächst die Spiegel der Faktoren VII und Protein C ab, gefolgt von den Faktoren X, IX und II.

 

Ein nahrungsbedingter Mangel an Vitamin K1, der zu Blutungsstörungen führt, ist meist sehr selten. Bei Therapie mit Vitamin K-Antagonisten, Obstruktionen der Gallenwege und gastrointestinalen Anomalien wie Zöliakie oder Malabsorption sind Mangel­zustände möglich.

Dies belegt auch eine kürzlich durchgeführte Studie. Dialysepatienten, die dreimal wöchentlich mit 1080 μg MK-7 supplementiert wurden, zeigten eine Reduktion des uncarboxylierten Matrix-Gla-Proteins um 46 Prozent (33). Vor allem MK-7 scheint eine positive Wirkung auf die vaskuläre Kalzifizierung und damit einhergehende kardiovaskuläre Erkrankungen zu besitzen. Bis heute fehlen allerdings größere randomisierte klinische Studien, die diesen Effekt eindeutig bestätigen.

 

Essenziell bei Diabetes?

 

Die Generierung der Osteocalcin-Knockout-Mäuse zeigte eine unerwartete phänotypische Erscheinung. Bei diesen war nicht nur eine veränderte Knochenmineralisierung, sondern auch eine deutliche Zunahme von viszeralem Fettgewebe zu registrieren (34). Zudem entwickelten sie bei einer Hochfett-Diät sehr schnell eine Insulinresistenz bis hin zum Diabetes mellitus. Umgekehrt entwickeln Mäuse mit hohem Osteocalcin-Spiegeln keine Fettleibigkeit und sind vor Diabetes mellitus geschützt (35).

 

Heute weiß man, dass die Glucose-Senkung durch Osteocalcin mehrere Ursachen hat. Zum einen kann Osteocalcin eine Insulinausschüttung in den Langerhansinseln induzieren. Zum anderen erhöht es die Insulinwirksamkeit indirekt durch Stimulierung des Hormons Adiponektin, ein Hormon, das die Empfindlichkeit der Zielgewebe auf Insulin erhöht (36). Diese Erkenntnisse führten zu der Vermutung, dass Vitamin K auch eine Bedeutung im Glucose- und Lipidstoffwechsel besitzt und vor Insulinresistenz schützt.

 

Eine in den Niederlanden durchgeführte prospektive Kohortenstudie mit 38 094 Erwachsenen deutete darauf hin, dass eine höhere Vitamin K-Zufuhr mit einem verringerten Risiko der Entwicklung eines Typ 2-Diabetes verknüpft ist (37).

Vitamin K–Nobelpreis für die Entdeckung

Für die Entdeckung des Vitamin K und für seine Strukturaufklärung wurde 1943 der Nobelpreis für Medizin an den Dänen Carl Peter Henrik Dam und den US-Amerikaner Edward Adelbert Doisy verliehen. Henrik Dam hatte sich in den späten 1920er Jahren der Erforschung der physiologischen Bedeutung von Steroiden gewidmet. In seinen tierexperimentellen Arbeiten an Hühnerküken konnte er nachweisen, dass eine cholesterol- und fettfreie Diät mit Blutungsstörungen einhergeht. Bei den Tieren kam es unter dieser Diät zu Einblutungen in Haut und Muskeln. Durch entsprechende Supplementation konnte Dam ausschließen, dass die Blutungsstörung auf das Fehlen zu dieser Zeit bereits bekannter fettlöslicher Vitamine wie A und D oder aber des wasserlöslichen Vitamin C zurückzuführen ist. Dam postulierte daher die Existenz eines weiteren fettlöslichen Vitamins, das er in Anlehnung an das Wort »Koagulation« als Vitamin K bezeichnete. 1939 isolierte Doisy Vitamin K1 aus der Luzerne, einer Pflanze der Gattung Schneckenklee, und synthetisierte es auch. Der molekulare Wirkmechanismus von Vitamin K wurde erstmalig 1974 näher beschrieben.

Daher wurden mehrere kleine Studien initiiert, die den Einfluss einer Vitamin K-Supplementierung auf die Insulinresistenz untersuchten. In einer kürzlich publizierten Metaanalyse wurden die Ergebnisse zusammengefasst (38).

 

Es zeigte sich, dass Vitamin K keinen Einfluss auf die Insulinresistenz ausübt. Dieses auf den ersten Blick enttäuschende Ergebnis lässt sich wissenschaftlich inzwischen recht gut erklären. In der Tat besitzt Osteocalcin einen großen Einfluss auf den Glucose-Haushalt. Doch konnte gezeigt werden, dass hierfür keine posttranslationale Veränderung notwendig, sondern vor allem das uncarboxylierte Osteocalcin verantwortlich ist (39).

 

Trotzdem könnte Vitamin K für eine begleitende Therapie des Diabetes mellitus von Bedeutung sein. Bei Patienten mit Typ 2-Diabetes kann eine Supplementierung mit Vitamin K2 möglicherweise die Knochenqualität verbessern und einer Gefäßkalzifizierung entgegenwirken. Diabetes-Patienten haben ein erhöhtes Risiko für Frakturen. Dieses ist weniger auf eine zu geringe Knochendichte (meist normal bis erhöht) als vielmehr auf eine schlechte Knochenqualität durch mangelhafte Kollagen-Querverbindungen zurückzuführen (40). Vitamin K2 könnte therapeutisch auch sinnvoll zur Verhinderung einer bei Diabetikern meist ausgeprägten Gefäßverkalkung sein. Tatsächlich weisen diese häufig niedrige Spiegel an carboxyliertem Matrix-Gla-Protein auf (41). Vitamin K2 könnte den Anteil der protektiven carboxylierten Form erhöhen.

 

Last but not least: Epidemiologische Studien weisen darauf hin, dass eine inverse Korrelation zwischen der Vitamin K2-Aufnahme und dem Auftreten von Krebserkrankungen besteht. Die EPIC-Heidelberg-Studie mit fast 25 000 Teilnehmern im Alter zwischen 35 und 64 Jahren zeigte ein geringeres Krebs­risiko bei höherer Vitamin K2-, aber nicht Vitamin K1-Zufuhr (42). Bei Männern war der Effekt stärker als bei Frauen. Auch einige Zell- und Tierstudien deuten auf einen antikanzerogenen ­Effekt von Vitamin K hin. Dies muss aber in weiteren Experimenten näher untersucht werden (43, 44).

 

Fazit für die Praxis

 

Ob Blutgerinnung oder Knochenaufbau oder Verhinderung von Gefäßverkalkungen oder Diabetes mellitus: Vitamin K beziehungsweise seine Vitamere besitzen zahlreiche Effekte in der Prävention und möglichen Therapie der beschriebenen Krankheitsbilder. Doch sind noch sehr viele Fragen offen.

 

Empfehlungen der Fachgesellschaften für die tägliche Vitamin K-Aufnahme sind weltweit recht unterschiedlich und orientieren sich meist am hepatischen Bedarf der Gerinnungsfaktoren. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt die tägliche Aufnahme an Vitamin K für Erwachsene von 70 µg bei Männern beziehungsweise 60 µg bei Frauen. Ab dem 51. Lebensjahr sollte die tägliche Aufnahme auf mindestens 80 µg beziehungsweise 65 µg erhöht werden. Diese Zufuhr scheint ausreichend, um eine vollständige Carboxylierung der Gerinnungsfaktoren zu erzielen.

 

Anders sieht dies jedoch bei weiteren nicht hepatischen Proteinen aus. Ein Großteil an Osteocalcin und Matrix-Gla-Protein liegt noch in der uncarboxylierten Form vor, wenn bereits alle Gerinnungsproteine posttranslational modifiziert sind. Gerade im Hinblick auf die Knochen- und Gefäßgesundheit wird daher in den USA und Kanada eine weitaus höhere tägliche Zufuhr von 90 µg bei Frauen und 120 µg bei Männern empfohlen. Die Vitamin K-Supplementation zur Prävention von Gefäß- und Knochenerkrankungen sollte durchaus in Betracht gezogen werden. Insbesondere die Nahrungsergänzung mit MK-7 kann sinnvoll sein. Patienten unter einer Therapie mit Vitamin K-Antagonisten sollten allerdings auf eine MK-7-Supplementation verzichten.

 

Literatur beim Verfasser

Der Autor

Burkhard Kleuser studierte von 1984 bis 1988 Chemie und Lebensmittelchemie sowie von 1990 bis 1994 Biochemie und Molekularbiologie an den Universitäten Wuppertal und Hamburg. Nach seiner Promotion 1994 und seiner Postdoktorandenzeit am Medical Center, Georgetown University, Washington D.C., USA, war er von 1997 bis 2002 als wissenschaftlicher Assistent und Oberassistent am Institut für Pharmazie der Freien Universität Berlin tätig, bevor er sich 2002 habilitierte und im selben Jahr auch die Lehrbefähigung für das Fach Pharmakologie und Toxikologie erhielt. Kleuser wurde 2006 zum Professor (W2) für Pharmakologie und Toxikologie an der Freien Universität Berlin berufen. Seit 2009 bekleidet er den Lehrstuhl für ­Toxikologie am Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Potsdam.

 

Professor Dr. Burkhard Kleuser

Lehrstuhl für Toxikologie

Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät

Universität Potsdam

Arthur-Scheunert Allee 114-116

14558 Potsdam

E-Mail: kleuser@uni-potsdam.de

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