Vaginales Impfen für Kaiserschnitt-Kinder |
01.03.2016 16:24 Uhr |
Von Christina Hohmann-Jeddi / In den USA ist bei Müttern, die ihr Kind per Kaiserschnitt zur Welt bringen, ein neuer Trend zu beobachten: Vaginal Seeding. Das bewusste »Aussäen« von Vaginalkeimen der Mutter nach Kaiserschnitt-Entbindung auf der Haut des Neugeborenen soll die Entwicklung der Darmmikrobiota fördern. Eine US-Studie belegt, dass es funktioniert.
Mittlerweile wird in Industrienationen etwa ein Drittel aller Kinder per Kaiserschnitt entbunden. Die Kinder passieren somit nicht den Geburtskanal und kommen nicht mit der dortigen Bakterienbesiedlung der Mutter in Kontakt. Dadurch entwickeln sie eine mikrobielle Darmbesiedlung (Darmmikrobiota) mit eingeschränkter Diversität, die eher der Hautbesiedlung der Mutter gleicht.
In den Industrienationen kommt etwa jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt – und muss somit nicht den Geburtskanal passieren.
Foto: Shutterstock/Martin Valigursky
Das könnte negative Auswirkungen haben. So haben frühere Studien gezeigt, dass Kaiserschnitt-Kinder im späteren Leben ein erhöhtes Risiko für eine Reihe von Erkrankungen wie Typ-1-Diabetes, Asthma, Allergien und Adipositas aufweisen. Wissenschaftler vermuten, dass die eingeschränkte Darmbesiedlung eine Ursache hierfür sein könnte.
Nach ersten Medienberichten in den USA zu diesem Thema setzte eine verstärkte Nachfrage bei werdenden Müttern nach einer »vaginalen Impfung« ihrer per Kaiserschnitt geborenen Kinder ein. Hierbei wird vor der Geburt mit sterilem Mull Scheidensekret der Mutter aufgefangen, mit dem dann das Neugeborene nach dem Kaiserschnitt eingerieben wird – und zwar im Mund, in den Augen und auf der Haut.
Auch in Deutschland viel Interesse
»Auch in Deutschland ist ein großes Interesse seitens der werdenden Eltern zu verzeichnen«, berichtet Professor Dr. Frank Louwen, Leiter der Geburtshilfe und Pränatalmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung. »Auf jeder zweiten Informationsveranstaltung für die Geburt stellen Schwangere die Frage nach den Geburtskeimen.«
Ob die Methode funktioniert, ist bislang nicht bewiesen. »Das Verfahren ist bereits Gegenstand wissenschaftlicher Forschung«, sagt Louwen, der dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) angehört. Erste Ergebnisse liefert nun ein Team um Dr. Maria Dominguez-Bello von der New York University. Für ihre Pilotstudie rekrutierten die Forscher sieben Mütter, die vaginal entbinden wollten, sowie elf Schwangere, bei denen ein Kaiserschnitt geplant war. Vier von diesen stimmten zu, ihr Kind vaginal impfen zu lassen. Die Mediziner nahmen mehr als 1500 Mikrobiota-Proben zu verschiedenen Zeitpunkten von verschiedenen Körperstellen sowohl der Mütter als auch der Kinder in deren erstem Lebensmonat.
Es zeigte sich, dass die Darmmikrobiota der vaginal geimpften Kaiserschnitt-Kinder angereichert war mit Lactobacillus- und Bacteroides-Stämmen, die auch bei den normal entbundenen Kindern zu finden waren. Das berichten die Forscher im Fachjournal »Nature Medicine« (DOI: 10.1038/nm.4039). Diesen Mikroben, die bei unbehandelten Kaiserschnitt-Kindern dagegen kaum vorhanden waren, wird eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Immunsystems zugeschrieben.
Größere Studien geplant
Damit konnten die Forscher an einer kleinen Kohorte zeigen, dass sich die Mikrobiota bei Kaiserschnitt durch Vaginal Seeding an die Mikrobiota nach natürlicher Geburt angleichen lässt. Inwieweit sich dadurch das Erkrankungsrisiko reduzieren lässt, ist allerdings unklar. »Wir wissen noch nicht, ob sich allein durch die Prozedur die Gesundheitsvorteile einer natürlichen Geburt erreichen lassen«, sagt Dr. Jose Clemente vom Mount Sinai Hospital, der an der Untersuchung beteiligt war, in einer Mitteilung. Hierzu seien größere Studien mit Risikokindern für Autoimmunerkrankungen nötig.
Laut Louwen wird derzeit – auch in Deutschland – untersucht, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Besiedelung mit Vaginalkeimen und einem Erkrankungsrisiko gibt. Experten der DGGG schätzen die Idee des Vaginal Seeding als »richtig und wichtig« ein. »Langzeitstudien zu diesem Thema sind geplant, die klären sollen, ob die Vaginalflora der Mutter einen dauerhaften Einfluss auf die Gesundheit des Kindes hat.«
Andere Mediziner sehen die »zunehmend populäre, aber unbewiesene« Methode kritisch. So warnt eine Gruppe von Forschern um Dr. Aubrey Cunnington im »British Medical Journal« vor den möglichen Infektionsrisiken (DOI: 10.1136/bmj.i227). »Neugeborene können ernste Infektionen durch den Kontakt mit vaginalen Kommensalen und Pathogenen entwickeln, die die Mutter asymptomatisch in sich trägt.« Hierzu zählen B-Streptokokken, Herpes-simplex-Viren, Neisseria gonorrhoeae und Chlamydia trachomatis. In einigen Ländern würde nicht routinemäßig auf diese Erreger getestet. Selbst dieses geringe Infektionsrisiko einzugehen, sei nicht gerechtfertigt, solange der Nutzen nicht belegt ist. Hilfreicher im Sinne der Darmbesiedlung sei es, das Stillen zu fördern und Antibiotika-Behandlungen wenn möglich zu vermeiden.
Auch Louwen rät zur Zurückhaltung: »Es wäre ein großer Erfolg, wenn sich Krankheiten wie Asthma, Allergien, unter denen Kaiserschnitt-Kinder häufiger leiden, durch diese Methode reduzieren ließen. Aber so weit sind wir noch nicht. Wir raten seitens der DGGG werdenden Eltern noch nicht zu diesem Vorgehen, denn: Zunächst ist in Studien zu überprüfen, was Nutzen und Risiken sind.« /