Gut vernetzt ist halb gewonnen |
28.02.2012 16:02 Uhr |
Von Sven Siebenand, Frankfurt am Main / Professor Dr. Dieter Steinhilber von der Universität Frankfurt am Main ist neuer Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG). Im Gespräch mit der PZ gibt er einen Ausblick, was er sich für die Präsidentschaft vorgenommen hat und was hinter dem Projekt Pharmazie 2020 steckt.
PZ: Herr Steinhilber, was empfinden Sie als Ihre wichtigste Aufgabe im Amt des DPhG-Präsidenten?
Steinhilber: Die Zahl der Mitglieder in der DPhG hat sich in den vergangenen zehn Jahren in etwa verdoppelt. Dieser erfolgreiche Weg der Mitgliedergewinnung soll natürlich weitergehen. Deutlich zugenommen hat die Zahl der Mitglieder, die in den öffentlichen Apotheken tätig sind. Mehr denn je gilt es deshalb, die Belange der wissenschaftlichen Pharmazie im Hochschulbereich und der pharmazeutischen Praxis unter einen Hut zu bringen. Diesen Spagat sehe ich als Herausforderung. Er ist aber nicht unmöglich. Es gibt viele Ansatzpunkte, wo man eine Verbindung zwischen wissenschaftlichen Inhalten und der Offizintätigkeit herstellen kann.
Foto: Fotolia/Spectral-design
PZ: Können Sie Beispiele nennen?
Steinhilber: In der Vergangenheit hat sich die DPhG verstärkt auch in fachliche Aspekte der Offizinpharmazie eingebracht. So gab es zum Beispiel Statements aus wissenschaftlicher Sicht bei Themen wie Substitution oder Arzneimittelfälschungen. Zuletzt haben wir uns eindeutig gegen eine Apotheke light positioniert, wie sie im Entwurf zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung zunächst skizziert war. Auch aus fachlicher Sicht müssen Filialapotheken voll arbeitsfähig sein. Wenn die Politik auf der einen Seite Arzneimittelsicherheit und Patientenorientierung fördern will, kann sie auf der anderen Seite nicht solche Vorschläge machen. Auch die Inhalte der DPhG-Fortbildungsveranstaltungen sprechen meistens beide Seiten, also Hochschule und Offizin, an. Ein weiteres zentrales Anliegen ist der weitere Ausbau der DPhG-Jahrestagung. Die Kolleginnen und Kollegen sollen noch stärker motiviert werden, daran teilzunehmen.
PZ: Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?
Steinhilber: Bei den Jahrestagungen soll zukünftig das Konzept der themenorientierten Sessions vorangebracht werden mit dem Ziel, den wissenschaftlichen Austausch der Kolleginnen und Kollegen im jeweiligen Fachgebiet auf nationaler Ebene zu stärken. Bei der diesjährigen Jahrestagung in Greifswald wird außerdem die Agenda Pharmazie 2020 einen wichtigen Stellenwert einnehmen.
PZ: Was hat man sich unter Agenda Pharmazie 2020 vorzustellen?
Steinhilber: Bei diesem Projekt geht es darum, eine Plattform zu schaffen, wie das Fach Pharmazie in Forschung und Lehre weiter vorangebracht werden kann. Bis dato ist die Agenda Pharmazie 2020 nur als internes Diskussionsforum etabliert. In Greifswald wollen wir das Thema erstmals unter die Kollegenschaft bringen und hoffen natürlich auf möglichst breites Interesse und Engagement. Gerade auf dem Arzneimittelsektor gibt es viele Neuentwicklungen, die alle pharmazeutischen Fächer betreffen. Nun müssen Konzepte geschaffen werden, wie diesen Entwicklungen in der Lehre Rechnung getragen werden kann. Das heißt im Umkehrschluss auch, dass man in den fünf Fächern überlegen muss, welche alten Zöpfe man abschneidet. Eine derartige inhaltliche Diskussion bietet sich zum jetzigen Zeitpunkt an, da keine Änderung der Approbationsordnung derzeit im Gespräch ist und es von Vorteil ist, dass im Rahmen der derzeit geltenden Approbationsordnung relativ flexibel über Inhalte der einzelnen Lehrveranstaltungen verfügt werden kann. Deshalb ist es gerade ein guter Zeitpunkt in aller Ruhe zu überlegen, welche Lehrinhalte man in den verschiedenen Fächern eliminieren könnte und was man neu aufnehmen möchte. Was davon an den einzelnen Standorten letztendlich umgesetzt wird, hängt natürlich ganz vom Profil, der Ausrichtung und den Vorstellungen der Kolleginnen und Kollegen vor Ort ab.
PZ: Welche neuen Ausbildungsinhalte könnten Sie sich vorstellen?
Foto: PZ/Arzbach
Steinhilber: Ein Thema, das für Pharmazeuten höchst relevant ist, ist die individualisierte Therapie. Genomanalysen sind mittlerweile auf breiter Basis möglich und die daraus erhaltenen Informationen, zum Beispiel für die Arzneimittelmetabolisierung, haben eine enorme Auswirkung auf die Auswahl von Arzneimitteln und die Beratung von Patienten. Dieses Gebiet wird gerade für Apotheker in der Zukunft sehr wichtig werden.
Ich sehe hier sehr gute Möglichkeiten, den wissenschaftlichen Hintergrund mit praktischer Beratungstätigkeit zu verknüpfen. Einen Service, der von der Genomanalyse bis hin zur praktischen Beratung reicht, könnte ich mir gut vorstellen. Apotheker könnten sich in dieser Richtung fachlich profilieren, wenn sie einen solchen Service anbieten. Dieses wäre ein Thema, welches mir spontan einfällt. Es gibt aber sicherlich zahlreiche weitere Ideen von den Kolleginnen und Kollegen. Ich bin gespannt.
PZ: Kommen wir auf die Hochschule zu sprechen. Wie kann die DPhG den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern?
Steinhilber: Wir müssen wieder vermehrt Anreize schaffen, damit exzellente Absolventen nach ihrer Promotion an der Universität bleiben. Ein gutes Mittel, um Karrierealternativen im Hochschulbereich aufzuzeigen, sind besondere Doktorandentagungen. Hier können wir dem Nachwuchs beratend zur Seite stehen, wenn es um Fragen wie Postdoc-Aufenthalte, Drittmittelanträge oder Stipendieneinwerbung geht. Auch im Rahmen der Agenda Pharmazie 2020 wollen wir selbstverständlich den Bereich Forschung abdecken. Es bestehen gute Möglichkeiten, dass sich das Fach Pharmazie in der Forschungslandschaft stärker profiliert. Immerhin gibt es immer mehr Programme für Verbundforschungsprojekte. Es gilt zu überlegen, wo und wie wir uns national besser aufstellen und pharmazeutische Projekte in diese Forschungsvorhaben mit einbringen können.
PZ: Damit würden dann auch die Hochschulstandorte Pharmazie gestärkt und Diskussionen wie die geplante Schließung der Leipziger Pharmazie kämen gar nicht erst auf?
Steinhilber: Definitiv ist dem so. Es ist immer gut, wenn man an Forschergruppen oder auch an den Sonderforschungsbereichen der Universität beteiligt ist. Und die Möglichkeiten bestehen. Derzeit ist es nämlich in den angrenzenden Disziplinen, zum Beispiel Chemie und Biologie, sehr hip, bei biomedizinischen Themen im Life-Science-Bereich auch einen Wirkstoffaspekt mit einzubringen. Die Kollegen sollten permanent ermuntert werden, sich in Verbundforschungsprojekte inneruniversitär und national einzubringen. Es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, nicht nur innerhalb seines Faches sein Süppchen zu kochen. Stattdessen ist es wichtig, sich zu vernetzen. Je besser man vernetzt ist, desto geringer ist die Gefahr, dass man wegrationalisiert wird. Wenn fünf andere Kollegen aus benachbarten Fächern aufschreien `Seid ihr verrückt? Wir brauchen die Pharmazeuten für unsere Forschungsaktivitäten!`, dann sind das gegenüber der Hochschulleitung sehr wirksame Argumente gegen eine Schließung. /
Professor Dr. Dieter Steinhilber ist als Professor im Fach Pharmazeutische Chemie an der Goethe-Universität Frankfurt tätig. Der im Jahr 1959 geborene Apotheker absolvierte sein Studium in Tübingen, wo er auch promovierte und habilitierte. Steinhilber war bis Oktober 2011 Dekan des Fachbereiches Biochemie, Chemie und Pharmazie der Universität Frankfurt. Seine wissenschaftlichen Aktivitäten liegen im Bereich der Entzündungsforschung mit Fokus auf den Arachidonsäurestoffwechsel. Im Januar 2012 hat Steinhilber das Amt des DPhG-Präsidenten von seinem Vorgänger Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz übernommen.