Ethikrat fordert drittes Geschlecht |
28.02.2012 14:01 Uhr |
Von Sven Siebenand / Es gibt mehr Geschlechter als Mann und Frau. Das sieht der deutsche Ethikrat genauso. In einer aktuellen, im Auftrag der Bundesregierung erarbeiteten Stellungnahme fordern die Räte daher die Einführung eines dritten Geschlechts, mehr Rechte für intersexuelle Menschen und den Schutz vor gesellschaftlicher Diskriminierung.
Das Thema Intersexualität hat bislang vor allem im Zusammenhang mit dem Leistungssport für Diskussionen gesorgt. Ein Beispiel war die umstrittene Anordnung eines Geschlechtstests der südafrikanischen Mittelstreckenläuferin Caster Semenya durch den Leichtathletik-Weltverband. Sehr viel stiller ist es dagegen um die schätzungsweise 100 000 intersexuellen Menschen in Deutschland.
Bereits der Begriff Intersexualität ist weder eindeutig noch unstrittig. Er bezieht sich auf Menschen, die sich aufgrund von körperlichen Besonderheiten nicht eindeutig als männlich oder weiblich einordnen lassen. Ältere Bezeichnungen wie Zwitter oder Hermaphrodit können diskriminierenden Charakter haben und sollen daher nicht mehr verwendet werden.
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Zum Teil werden auch Personen als intersexuell bezeichnet, die genetisch eindeutig weiblich sind, aber aufgrund hormoneller Störungen eine Vermännlichung der äußeren Geschlechtsorgane aufweisen, wie es etwa beim sogenannten adrenogenitalen Syndrom der Fall ist (siehe Kasten). Betroffene lehnen die Bezeichnung Intersexualität für sich ab, gehören jedoch trotzdem zu dem Personenkreis, auf den sich die Stellungnahme des Ethikrats bezieht. Nicht zu diesem Personenkreis zählen transsexuelle Menschen. Sie sind mit einem eindeutigen biologischen Geschlecht geboren, fühlen sich jedoch psychisch dem anderen Geschlecht zugehörig. Sie wählen deshalb für sich oft medizinische Eingriffe zur Anpassung ihres Körpers an das psychische Geschlecht und lassen ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister entsprechend den Möglichkeiten des Transsexuellengesetzes ändern.
In seiner Stellungnahme vertritt der Ethikrat die Auffassung, dass ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Gleichbehandlung vorliegt, wenn Menschen, die sich aufgrund ihrer körperlichen Konstitution weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen können, rechtlich gezwungen werden, sich im Personenstandsregister auf eine dieser Kategorien festzulegen. Die Räte schlagen daher eine Regelung vor, wonach Intersexuelle neben der Eintragung als »weiblich« oder »männlich« auch »anderes« wählen können. Zudem müsse kein Eintrag erfolgen, bis die betroffene Person sich selbst entschieden hat.
Um Personen, die im Personenstandsregister als »anderes« eingetragen sind, die Möglichkeit einer staatlich anerkannten und rechtlich geregelten Beziehung zu geben, schlägt der Ethikrat mehrheitlich vor, diesen Menschen die eingetragene Lebenspartnerschaft zu ermöglichen. Einige Räte plädieren darüber hinaus dafür, ihnen auch die Möglichkeit der Eheschließung zu eröffnen.
Weiter heißt es in der Stellungnahme: »Irreversible medizinische Maßnahmen zur Geschlechtszuordnung bei Menschen mit uneindeutigem Geschlecht stellen einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Wahrung der geschlechtlichen und sexuellen Identität und das Recht auf eine offene Zukunft und oft auch in das Recht auf Fortpflanzungsfreiheit dar. Die Entscheidung darüber ist höchstpersönlich.« Sie sollte daher aus Sicht der Räte grundsätzlich vom Betroffenen selbst getroffen werden. Bei noch nicht selbst entscheidungsfähigen Personen sollten solche Eingriffe nur nach umfassender Abwägung aller Vor- und Nachteile erfolgen.
Für Betroffene, die Schmerzen, persönliches Leid, Erschwernisse und dauerhafte Einschränkungen ihrer Lebensqualität erlitten haben, weil sie Behandlungen unterzogen wurden, die nach heutigen Erkenntnissen nicht (mehr) dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik entsprechen, sollte ein Fonds errichtet werden, der ihnen Anerkennung und Hilfe zukommen lässt. Darüber hinaus sollten Selbsthilfegruppen und Betroffenenverbände öffentlich finanziell gefördert werden. /
Zum adrenogenitalen Syndrom (AGS) gehören mehrere genetisch bedingte Stoffwechselerkrankungen. Bei allen ist durch einen Enzymdefekt (meist der 21-Hydroxylase) die Hormonbildung in der Nebennierenrinde gestört. Dadurch kann Cholesterol nicht mehr in Cortisol und Aldosteron umgewandelt werden. Die Synthese kommt auf einer Zwischenstufe zum Erliegen. Die bis dahin gebildeten Hormonvorstufen müssen auf einem anderen Stoffwechselweg »entsorgt« werden – sie werden zu Androgenen umgewandelt. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass der Cortisolmangel kompensatorisch zu einer Überstimulierung der Nebennieren führt. Die Folge: Betroffene Mädchen haben schon bei der Geburt vermännlichte äußere Genitalien. Eine leichte Klitorisvergrößerung bis hin zur Bildung eines Pseudopenis sind möglich. Später tendieren sie zu verstärktem Haarwuchs (Hirsutismus) und oft bleibt die Regelblutung aus. Betroffene Jungen zeigen eine frühzeitige Geschlechtsentwicklung. Der Penis ist häufig sehr groß, während die Hoden jungenhaft klein bleiben. Die Therapie des AGS besteht in einer lebenslangen Hormonersatztherapie, zum Beispiel mit Hydrocortison.