Neue Wirkstoffe, neue Targets |
27.02.2006 13:20 Uhr |
Neue Wirkstoffe, neue Targets
von Brigitte M. Gensthaler, München
HI-Viren entwickeln unter dem Selektionsdruck einer antiretroviralen Therapie schnell Resistenzen. Mutationen im viralen Erbgut machen die Viren unempfindlich. Die Patienten brauchen immer wieder neue Wirkstoffe.
Die Zahl neu diagnostizierter HIV-Infektionen lag 2005 in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent höher. Zahlreiche Menschen infizieren sich neu mit bereits resistenten Viren. Die Prävalenz der Primärresistenzen lag in Studien bei 10 bis 12 Prozent. Dies schränkt die Auswahl der antiretroviralen Medikamente deutlich ein. Gleiches gilt für virämische Patienten, die eine oder mehrere Therapien hinter sich haben. Hier sind sehr häufig resistente Viren nachweisbar. »Eine Resistenztestung muss schon vor Beginn der ersten Therapie und bei jeder Umstellung erfolgen«, forderte Biologe Patrick Braun, Aachen,auf einem von Pfizer ausgerichteten Satellitensymposium im Rahmen der Münchner Aids-Tage Anfang Februar.
Resistenzen, komplizierte Therapieregime, Langzeitnebenwirkungen: Viele etablierte Wirkstoffe sind damit belastet. Umso intensiver wird nach neuen Substanzen gesucht, die diese Nachteile möglichst vermeiden. Dr. Christian Hoffmann, Hamburg, stellte einige Stoffe »aus der Pipeline« vor.
Bei den nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) richte sich die Hoffnung vor allem auf Cytidinanaloga, zum Beispiel Reverset (D-D4FC) oder SPD-754, die bei Patienten mit multiplen Resistenzen die Viruslast senken und auch gegen Hepatitis-B-Viren aktiv sind. Die Kombination mit Didanosin erhöht jedoch das Pankreatitisrisiko. Zwar wurde die Entwicklung von mehreren nicht-nukleosidischen RTI (NNRTI) gestoppt, jedoch könne hier eventuell TMC-125 (Etravirin) die Zulassung erreichen, so Hoffmann.
Als erster nicht-peptidischer Protease-Inhibitor (PI) kam im letzten Herbst Tipranavir auf den Markt. Vor allem in Kombination mit dem Fusionsinhibitor Enfuvirtid konnte der Wirkstoff die Viruslast bei vorbehandelten Patienten mit mehrfach resistenten Virusstämmen senken oder sogar unter die Nachweisgrenze von 50 Kopien/ml drücken. Ebenfalls erfolgversprechend ist TMC-114 (Darunavir), das in Studien bei vorbehandelten Patienten gut antiviral wirksam war. Auch dieser PI kann mit Enfuvirtid kombiniert werden.
Entry-Inhibitoren gesucht
Intensiv suchen die Forscher nach Stoffen, die sich gegen neue Zielmoleküle im Replikationszyklus des HI-Virus richten. Eine besondere Rolle spielen »Entry-Inhibitoren«. Mit diesem Begriff werden derzeit drei Wirkstoffklassen - Attachment-Inhibitoren, Corezeptor-Antagonisten und Fusionsinhibitoren - zusammengefasst. Sie verhindern das Eindringen des Virus in die CD4-Zelle. An diesem Prozess sind Proteine auf der Virusoberfläche - das extrazelluläre Glykoprotein gp120 und der transmembranäre Anteil gp41 - zentral beteiligt. Andockstellen auf der humanen Immunzelle sind CD4-Rezeptoren und die Chemokin-Corezeptoren CXCR4 und CCR5.
So genannte Attachment-Inhibitoren verhindern den ersten Schritt, die Bindung des Virus über gp120 an den CD4-Rezeptor. Deutlich weiter in der klinischen Entwicklung sind Corezeptor-Antagonisten. Enfuvirtid, der erste Vertreter der Entry-Inhibitoren, hemmt den letzten Schritt, die Fusion von Virus und Zelle.
Angriff an Chemokin-Rezeptoren
»Die Familie der Chemokin-Rezeptoren und ihrer Liganden ist groß«, erläuterte Dr. Hans Heiken, Hannover. Man kennt bislang etwa 40 verschiedene Chemokine - kleine Proteine aus 60 bis 100 Aminosäuren -, die nach der Position ihrer aminoterminalen Cysteinreste in vier Gruppen eingeteilt werden. Derzeit sind unter anderem 16α- beziehungsweise CXC-Chemokine sowie 26β- oder CC-Chemokine identifiziert. Etwa 20 Chemokinrezeptoren, die zur großen Familie der G-Protein-gekopppelten Rezeptoren gehören, wurden charakterisiert. Nach ihren Liganden heißen sie zum Beispiel CXC- oder CC-Rezeptoren; von jedem gibt es Subtypen.
Viele Chemokine docken an mehreren Rezeptoren an, umgekehrt kann ein Rezeptor verschiedene Liganden binden. Es gibt aber auch spezifische »Partner«; zum Beispiel bindet der HIV1-Corezeptor CXCR4 nur einen einzigen Liganden.
Während dieser Rezeptor zu den konstitutiv exprimierten Andockstellen auf CD4-Zellen gehört, ist die Expression des zweiten HIV1-Corezeptors CCR-5 induzierbar. Generell steuern Chemokine und ihre Rezeptoren die Differenzierung, Proliferation und Apoptose von Leukozyten sowie deren Wanderung in entzündetes Gewebe.
Menschen mit einer bestimmten Mutation auf dem CCR5-Gen exprimieren den Rezeptor nicht, was die Immunantwort nicht erkennbar verändert. Entgegen erster Hoffnungen können sie sich mit HIV-1 infizieren, überleben dies aber länger als Personen mit intaktem CCR5, erklärte Heiken. Fast alle HIV-Infektionen seien durch Viren verursacht, die an CCR5 andocken.
Die neuenCCR5-Corezeptor-Antagonisten greifen erstmals an einer humanen Zielstruktur an, betonte der Internist. Nach guten virologischen Ergebnissen in Phase-I/II-Studien traten große Probleme auf. So wurde die Entwicklung von Aplaviroc wegen schwerer Lebertoxizität gestoppt. Die Prüfung von Vicriviroc wurde wegen eines frühen Wiederanstiegs der Viruslast abgebrochen.
Obwohl auch bei Maraviroc zwei Fälle von Leberschäden beobachtet wurden, laufen derzeit noch Phase-III-Studien, berichtete Professor Dr. Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln. Rund 1000 therapienaive Patienten erhalten zusätzlich zu Zidovudin und Lamivudin entweder Maraviroc (ein- oder zweimal täglich 300 mg) oder Efavirenz. Der Studienarm mit der niedrigen Maraviroc-Dosierung wurde wegen unterlegener Wirksamkeit bereits beendet.
Weitere Phase-III-Studien mit Maraviroc zusätzlich zu einer optimalen »Background-Therapie« seien bei vorbehandelten Patienten mit CCR5-tropen sowie mit dual tropen Viren im Gang.
Allerdings wird der Ansatz der CCR5-Blockade von einigen Experten auch grundsätzlich in Frage gestellt. Man befürchtet, dass HIV dann verstärkt den CXCR4-Rezeptor benutzen könnte. Solche »CXCR4-tropen« HI-Viren treten natürlicherweise erst spät im Verlauf der HIV-Infektion auf und markieren meist den Fortschritt in das Stadium Aids.