»Wir sind für Preisverhandlungen zwischen Industrie und Kassen« |
23.02.2010 17:20 Uhr |
Von Daniel Rücker / Die Kassen rechtfertigen ihr Sparpaket mit der dramatischen Finanzlage. Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes, Fritz Becker, hält die verbreitete Panik nicht für angemessen.
PZ: Was halten Sie von den Sparvorschlägen des GKV-Spitzenverbandes?
Becker: Ich habe nichts Überraschendes gelesen. Die Forderung des GKV-Spitzenverbandes, dass die Preise für patentgeschützte Arzneimittel unter die Lupe genommen werden sollen, ist nicht neu. Das Echo auf diese GKV-Forderung ist eindeutig, auch bei uns: Wir sind grundsätzlich für Preisverhandlungen zwischen Herstellern und den Kassen. Die Industrie trägt die Verantwortung für die von ihr definierten Preise. Wenn die Kassen fordern, dass sich da etwas tun muss, dann müssen beide Beteiligte an den Verhandlungstisch.
PZ: In den Berechnungen der GKV wird der Sparbeitrag der Apotheker mit 330 Millionen Euro angegeben. Es ist aber mehr als wahrscheinlich, dass der Großhandel die von den Kassen geforderte Halbierung seiner Marge über schlechtere Einkaufskonditionen an die Apotheker weitergeben würde. Wie hoch wäre die Belastung für die Apotheker tatsächlich, sollte das Sparprogramm tatsächlich umgesetzt werden?
Becker: Ich werde mich nicht an Spekulationen beteiligen, wer was wann wo schultern muss. Herr Rösler hat – vollkommen zu Recht – zunächst damit begonnen, mit allen Beteiligten zu reden und Vorschläge zu sammeln. Wir haben nun auch die Möglichkeit, ihm unsere Überlegungen darzulegen. Faktisch leisten wir längst den von den Kassen geforderten Sparbetrag; denn die Kassen erhalten von uns immer noch 2,30 Euro für jedes verschreibungspflichtige Arzneimittel, das wir an Versicherte abgeben. Es wird jetzt darum gehen, alle Sparvorschläge gemeinsam zu besprechen und Analysen auf der Basis harter Fakten – und nicht auf der Basis des Wunschzettels der Kassen – zu veranlassen. Das wird die vom Minister eingesetzte Kommission sicherlich tun. Wir werden dazu eigene Vorschläge machen. Unser Ziel ist es dabei, nicht plumpe und wenig nachhaltige Sparmaßnahmen vorzusehen, sondern Instrumente zu etablieren, mit denen die Versorgung dauerhaft effizienter wird. Kosten und Qualität müssen in Relation stehen.
PZ: Zeigt der Vorschlag des GKV-Spitzenverbandes, den Apothekenabschlag wieder auf 2,30 Euro anzuheben, dass die vom Gesetzgeber vorgesehene Verhandlung zwischen Kassen und Apothekern nicht funktioniert?
Becker: Die Verhandlungen haben sehr wohl funktioniert, und wir haben eine eindeutige Entscheidung der Schiedsstelle. Während wir Apotheker zum Beispiel durch das Umsetzen von Rabattverträgen dafür sorgen, dass die Kassenpatienten möglichst gut und nachhaltig umgestellt werden, ist den Kassen die Versorgung anscheinend gleichgültig.
Faktisch schulden die Kassen jeder einzelnen Apotheke nach dem Spruch der Schiedsstelle die Abschlagsreduzierung. Die Kassen haben Schulden bei den Apotheken. Deshalb wird jetzt der politische Holzhammer ausgepackt. Wir werden dem konstruktive Vorschläge im Gespräch mit der Politik entgegensetzen.
Was wir brauchen ist Rechtssicherheit, wir brauchen die eindeutige gesetzliche Regelung, dass die Entscheidung der Schiedsstelle für beide Parteien bindend ist und Klagen gegen diese Entscheidung keine aufschiebende Wirkung haben. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, eine entsprechende Regelung zu formulieren. Eindeutige Schiedsstellenentscheide und dann jahrelange juristische Auseinandersetzungen kann niemand nachvollziehen und kann man niemand erklären. Hier ist der Gesetzgeber gefordert.
PZ: Die erste Reaktion von Bundesgesundheitsminister Rösler auf das Kassen-Sparprogramm war reserviert. Erwarten Sie, dass es dennoch umgesetzt wird?
Becker: Ich werde nicht darüber spekulieren. Herr Rösler tut sicherlich gut daran, sich die Zeit zu nehmen, die er braucht. Die von den Kassen inszenierte Dramatik ist selbst verschuldet und beileibe nicht die Schuld von Minister Rösler oder der neuen Bundesregierung. Das vermeintliche »Programm« der Kassen geht aus unserer Sicht am Thema vorbei. Wer meint, er könne in wenigen Sätzen Sparvorschläge für ein höchst komplexes Versorgungssystem machen, der beweist weder Augenmaß noch sachverständige Weitsicht.
PZ: Welche Alternativen gäbe es, bei Arzneimitteln zu sparen?
Becker: Zunächst halten wir fest: Heute wird schon mit dem Arzneimittel gespart. Und, schlimmer noch: Es wird sogar zusehends am Arzneimittel gespart. Und das ist keine populistische Aussage, sondern Realität; auch wenn die Kassen alles daransetzen, dies ihren Versicherten zu verschweigen. Viele Arzneimittel fielen in dem vergangenen Jahr aus dem Verordnungsradius der Ärzte; Patientinnen und Patienten wurden zunehmend in die Pflicht genommen. Zuzahlungen, Rabattverträge und viele andere Instrumente sparen den Kassen Geld, sind aber eine Last für die übrigen Beteiligten.
Die entscheidende Frage ist, ob die Versorgung der Menschen sich durch die bisherige Vorgehensweise nicht ein Stück weit verschlechtert hat. Aus unserer Sicht wäre es besser, ganzheitlich an die Sache heranzugehen. Die Politik hat sich am Beispiel der Apotheken entschieden, die Versorgung durch ein vom Preis abgekoppeltes Honorarmodell zu sichern. Das war aus Sicht von Patienten, Politik, Kassen und auch für die Apotheken die richtige Entscheidung. Und dies zeigt, es gibt durchaus kreative Möglichkeiten; aber Nachhaltigkeit muss jetzt auch im Arzneimittelsektor einziehen. Dann spart man langfristig.
PZ: Wie stehen Sie zu den Vorschlägen der pharmazeutischen Industrie?
Becker: Die Vorschläge sind natürlich getrieben von den eigenen Interessen. Das ist nachvollziehbar. Es wird spannend, welches der vielen Modelle durchkommt – oder ob Kommission und Minister eigene Varianten präsentieren. Ich halte Letzteres für wahrscheinlicher.
PZ: Die GKV will bei Medikamenten sparen, mit Verweis darauf, dass dies der zweitgrößte Kostenblock in der GKV ist. Wäre es da nicht konsequent, beim größten Kostenblock, nämlich den Krankenhäusern anzufangen, zumal die ja auch am Anstieg der Ausgaben 2009 nicht ganz unschuldig sind?
Becker: Schon die Frage verdeutlicht einen grundsätzlichen Fehler bei der Systembetrachtung: Wir bewerten nicht die Sinnhaftigkeit von Ausgaben, sondern nur deren Höhe. Die Diskussion ist zutiefst unehrlich, und ich finde sie auch mitunter unethisch. Die Kassen beschränken die Betrachtung auf gestiegene Ausgaben; nicht auf die Frage, zu welchem Preis immer mehr Menschen hochwertig versorgt werden können. Das – und nur das – wäre eine wesentliche und richtige Betrachtung.
Es kann und darf auch nicht darum gehen, nach dem Sankt-Florians-Prinzip zu handeln und zu reden; auch wenn dies in diesem System weit verbreitet ist. Es ist an der Zeit, dass die bestehenden Instrumente auf den Prüfstand kommen und effizient genutzt werden. Beispiel Rabattverträge: Es ist ärgerlich, wenn einige Kassenvertreter vollmundige Einsparungen in Milliardenhöhe versprechen und anschließend mit unvollständigen Zahlenwerken agieren. Da werden die existierenden Instrumente anscheinend nicht genutzt. Da werden Hunderte Millionen gespart – aber nicht im Arzneimittelbudget verrechnet.
Das Klinikbeispiel zeigt, dass wir alle noch besser zusammenarbeiten müssen, um das System zu verbessern und unnötige Kosten zu vermeiden. Mit den Ärzten sind wir auf einem sehr guten Weg. Die Apotheker und Ärzte sind bereit, Bestrebungen zu unterstützen, mit dem Arzneimittel zu sparen. Sie lehnen es strikt ab, am Arzneimittel zulasten der Patienten zu sparen. Das wird, wie wir glauben, beispielhaft werden. /