Diabetikerherz in Gefahr |
08.04.2008 17:26 Uhr |
Diabetikerherz in Gefahr
Von Bettina Wick-Urban
Diabetiker haben ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Das Antidiabetikum Rosiglitazon scheint es bei bestimmten Patienten noch zu vergrößern. Aktuelle Analysen haben die Zulassungsbehörden veranlasst, Risiko und Nutzen neu zu bewerten.
Ende Januar hat die europäische Zulassungsbehörde EMEA bekannt gegeben, dass aufgrund einer neuen Risiko-Nutzen-Bewertung von Rosiglitazon (Avandia®), der Hersteller GlaxoSmithKline die Produktinformation des Arzneimittels hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos überarbeiten muss. Zukünftig ist Rosiglitazon bei Patienten mit akutem koronarem Syndrom kontraindiziert. Dass heißt, Patienten mit instabiler Angina Pectoris oder nach einem Herzinfarkt dürfen nicht mehr mit Rosiglitazon behandelt werden. Weiterhin soll ein Warnhinweis aufgenommen werden, dass Patienten die an koronarer Herzkrankheit oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit leiden, nicht mit Rosiglitazon behandelt werden sollten.
Erhöhtes Herzinfarktrisiko
Weiterhin überprüft die Behörde, ob die Richtlinien zur Durchführung von klinischen Studien mit Antidiabetika dahingehend geändert werden sollten, dass nicht nur die blutzuckersenkende Wirkung sondern auch der Einfluss auf kardiovaskuläre Erkrankungen überprüft wird (1).
Auslöser für die Diskussion über Nutzen und Risiko von Rosiglitazon war eine im Juni vergangenen Jahres von Nissen und Wolski im New England Journal of Medicine publizierte Metaanalyse. Die Autoren fanden ein um 43 Prozent (p=0,03) signifikant erhöhtes Herzinfarktrisiko bei Patienten, die mit Rosiglitazon behandelt wurden im Vergleich zu Patienten in der Kontrollgruppe. Auch hatten die Rosiglitazonpatienten ein um 64 Prozent höheres Risiko, aufgrund einer kardiovaskulären Ursache zu sterben, als die Kontrollpatienten. Dieses zweite Ergebnis war knapp nicht signifikant (p=0,06). Analysiert wurden die Daten von 42 Studien, die in der wissenschaftlichen Literatur sowie auf der FDA-, beziehungsweise Herstellerwebpage frei zugänglich waren. Ein limitierender Punkt der Analyse war, wie die Wissenschaftler in der Diskussion anmerkten, dass ihnen keine individuellen Patientendaten zur Verfügung standen. Deshalb konnten sie eine genauere statistische Analyse nicht durchführen.
Eine Metaanalyse der FDA, der individuelle Patientendaten zugrunde lagen, kam jedoch zu ähnlichen Ergebnissen. Die Behörde fand für Rosiglitazon ein um 40 Prozent statistisch signifikant erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt im Vergleich zu Placebo, nicht jedoch im Vergleich zu Metformin oder Sulfonylharnstoffen. Ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko scheint jedoch bei Patienten zu bestehen, die neben Rosiglitazon
Insulin, Metformin, Nitrate oder ACE-Hemmer erhalten. So hatten Patienten, die gleichzeitig Rosiglitazon und Insulin erhielten, ein doppelt so hohes Risiko wie Patienten, die nur mit Insulin behandelt wurden. Auch bei älteren Patienten und solchen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen war das Risiko höher (3). Eine vom Hersteller GlaxoSmithKline selbst durchgeführte Metaanalyse zeigte ein um 31 Prozent statistisch signifikant erhöhtes Risiko für kardiale Ischämien (4).
Langzeitstudien uneindeutig
Trotz der übereinstimmenden Ergebnisse ist die Aussagekraft der drei Analysen durch einige Faktoren limitiert. So wurden in den Metaanalysen fast ausschließlich Kurzzeitstudien von sechs oder weniger Monaten evaluiert, die nicht unbedingt einen Rückschluss auf ein kardiovaskuläres Langzeitrisiko zulassen. Keine der Studien diente hauptsächlich dem Ziel, das kardiovaskuläre Risiko von Rosiglitazon zu untersuchen. Das bedeutet, dass in den Metaanalysen die als Nebenwirkungen berichteten Herzinfarkte ausgewertet wurden. Eine einheitliche Definition eines Herzinfarktes gab es nicht, sodass abhängig von den Kriterien der einzelnen Studienzentren zu viele oder zu wenige Herzinfarkte gemeldet wurden. Dadurch könnte sich das Ergebnis zugunsten oder -ungunsten von Rosiglitazon verschoben haben, da in den Studien insgesamt nur relativ wenige Herzinfarkte auftraten. Zudem ist zu beachten, dass Metaanalysen im Vergleich zu prospektiv geplanten Studien eine geringere Aussagekraft haben.
Im Gegensatz zu den Metaanalysen zeigten die zwei bislang mit Rosiglitazon durchgeführten Langzeitstudien tendenziell kein signifikant erhöhtes Risiko für kardiale Ischämien. In der DREAM-Studie (5) erhielten 5269 Patienten mit Prädiabetes Rosiglitazon oder Placebo. Der durchschnittliche Beobachtungszeitraum betrug drei Jahre, unter anderem wurde auch die Zahl der aufgetretenen kardiovaskulären Ereignisse verglichen. Hierbei zeigte sich in der Rosiglitazongruppe keine statistisch signifikante Erhöhung des Herzinfarktrisikos im Vergleich zu Placebo. Ein statistisch signifikanter Unterschied wurde bei der Zahl der aufgetretenen Herzinsuffizienzfälle beobachtet. In der Langzeitstudie ADOPT (6) traten im Vergleich zu Gliburid in der Rosiglitazongruppe tendenziell mehr kardiovaskuläre Erkrankungen auf, zu denen die Autoren auch Herzinsuffizienzfälle zählten. Allerdings war das Risiko für solche Vorfälle auch in der Metformin-Gruppe in derselben Größenordnung erhöht. In dieser Studie wurden 4351 Typ-II-Diabetiker über vier bis sechs Jahre beobachtet.
Die Zwischenauswertung der RECORD-Studie (7), einer sechsjährigen Langzeitstudie, die als bislang einzige Studie ausschließlich das kardiovaskuläre Risiko von Rosiglitazon untersucht, erbrachte keine endgültige Klarheit, ob Rosiglitazon das Herzinfarktrisiko erhöht oder nicht. Nach einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 3,75 Jahren waren weniger kardiovaskuläre Erkrankungen aufgetreten als erwartet und dadurch die statistische Aussagekraft zu gering. Jedoch wurden auch in dieser Studie signifikant mehr Fälle von Herzinsuffizienz bei Behandlung mit Rosiglitazon beobachtet. In der Studie wurden 4447 Patienten, die allein mit Metformin oder einem Sulfonylharnstoffpräparat keine ausreichende Blutzuckersenkung erreicht hatten, zusätzlich mit Rosiglitazon oder Metformin, kombiniert mit Sulfonylharnstoffen (Kontrolle) behandelt. Die Studie war von der europäischen Zulassungsbehörde EMEA gefordert worden. Eine von GlaxoSmithKline in Auftrag gegebene epidemiologische Kohortenstudie mit Daten von circa einer halben Million amerikanischen Krankenversicherten erbrachte kein erhöhtes Herzinfarktrisiko im Vergleich zu Pioglitazon, einem weiteren Thiazolidindion, Metformin oder Sulfonylharnstoffen (8).
Herzleistung beeinflusst
Dass Thiazolidindione wie Rosiglitazon die Herzleistung negativ beeinflussen können, ist bekannt. Sie verursachen im Körper eine Flüssigkeitsretention, was eine kongestive Herzinsuffizienz auslösen oder verschlimmern kann. Diese Nebenwirkung wurde auch in den aktuellen Studien bestätigt. Rosiglitazon ist deshalb bei Patienten mit Herzinsuffizienz kontraindiziert und sollte abgesetzt werden, wenn die Herzfunktion sich verschlechtert. Vor allem zusammen mit Insulin wurde in den klinischen Studien eine erhöhte Rate von Herzinsuffizienz beobachtet. Diese Kombination sollte daher höchstens in Ausnahmefällen und unter engmaschiger Kontrolle verordnet werden (9).
Positive Risiko-Nutzen-Bewertung
Gibt es aber auch einen negativen Effekt von Rosiglitazon auf das Herzinfarktrisiko? Die bislang vorliegenden Studien, die das Herzinfarktrisiko von Rosiglitazon untersuchten, bringen keine endgültige Klarheit. Während Metaanalysen, die vorwiegend Kurzzeitstudien auswerteten, ein signifikant erhöhtes Risiko fanden, waren die Langzeitstudien weniger eindeutig. Auch fand die FDA in ihrer Analyse zwar mehr Herzinfarktfälle im Vergleich zu Placebo, nicht jedoch im Vergleich mit anderen Antidiabetika wie Metformin oder Sulfonylharnstoffen. Die Ergebnisse an älteren und zugleich mit Insulin behandelten Patienten deuten darauf hin, dass Rosiglitazon bei Patienten, die aufgrund ihrer Vorgeschichte bereits ein erhöhtes Risiko für kardiale Ischämien haben, das Risiko weiter erhöht. In den klinischen Studien waren Typ-2-Diabetiker, die mit Insulin behandelt wurden, in der Regel älter, die Diabeteserkrankung bestand schon länger und sie wiesen öfter kardiovaskulären Vorerkrankungen auf als Patienten, die mit anderen Antidiabetika behandelt wurden (3).
Endgültige Klarheit, ob Rosiglitazon das Herzinfarktrisiko bei Diabetespatienten erhöht, gibt es bislang nicht. Jedoch haben die vorliegenden Studienergebnisse die EMEA zum Handeln veranlasst. Die Gesamt Risiko-Nutzen-Bewertung für Rosiglitazon wird jedoch weiterhin positiv beurteilt.
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Pressemitteilung EMEA, 24. Januar 2008.
Nissen, S., und Wolski, K., N Engl J Med 356 (2007) 2457-2471.
Mele, J., Präsentation FDA Metaanalysis
30. Juli 2007, www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/07/slides/2007-4308s1-05-fda-mele.ppt
Graham, S., Präsentation FDA Advisory Committee Meeting 30. Juli 2007, www.fda.gov
Gerstein H., et al., DREAM Investigators, Lancet 368 (2006) 1096-1105.
Kahn, S. et al., ADOPT Study Group, NEJM 355 (2006) 2427-2443.
Home, P. et al., RECORD Study Group, NEJM 357 (2007) 28-38.
GlaxoSmithKline, Advisory Committee Briefing Document 30. Juli 2007, www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/07/briefing/2007-4308b1-01-sponsor-backgrounder.pdf
Fachinformation Avandia®, Stand: Januar 2007.