Stabiler, gerechter und mehr Kontrolle |
15.02.2017 08:58 Uhr |
Von Jennifer Evans, Berlin / Die Gesundheitsexperten waren sich am Montag in der Anhörung zum Entwurf des sogenannten Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) überwiegend einig: Sie begrüßten die Änderungsanträge der Koalition. Demnach sollen Ärzte und Kassen künftig nicht mehr von bestimmten Diagnosestellungen finanziell profitieren.
Die Bundesregierung will mit dem HHVG unter anderem verhindern, dass die Kassen die Diagnosekodierung der Ärzte beeinflussen und so mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds bekommen. Denn je kränker die Versicherten, desto mehr Geld steht den Kassen aus dem Fonds zu. Dies ist über den sogenannten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) geregelt, der die Finanzmittel unter den Kassen aufteilt. Zudem sollen die Krankenkassen künftig verpflichtet werden, Fälle von Bereicherungen aufzudecken. Weigern sie sich, drohen Strafen von bis zu 10 Millionen Euro vom Bundesversicherungsamt. Um noch mehr Licht ins Dunkel zu bringen, soll ab 2018 der Morbi-RSA an eine regionale Zuordnung etwa über die Postleitzahl des jeweiligen Patienten geknüpft werden.
BMG-Sondergutachten
Foto: Fotolia/Yantra
Neben dem Verband der Ersatzkassen (vdek) sprach sich auch der BKK-Dachverband für die neuen Regelungen aus. Von der nächsten Bundesregierung erwartet die vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner, die aus dem vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegebenen Sondergutachten zur gerechten Morbi-RSA-Verteilung abgeleiteten Reformen auch umzusetzen. Als wichtigsten Ansatz, um die Wettbewerbsschieflage aufzufangen, sehen die Ersatzkassen die Einführung einer Regionalkomponente. BKK-Vorstand Franz Knieps zufolge sind vor allem die Ballungsräume Ruhrgebiet und München von hohen Kosten betroffen. Dem Bundesverband der Innungskrankenkassen gehen die Vorhaben der Regierung noch nicht weit genug. Bei einigen Krankheiten seien Pauschalen festgelegt. Wähle eine Kasse eine solche, für die es Zuschläge aus dem Morbi-RSA gebe, bestünden weiterhin Anreize zur Manipulation.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat Sorge, die Kassen könnten auf Selektivverträge ausweichen und fordert daher die Einführung verbindlicher ambulanter Kodierrichtlinien. Dem stimmten der AOK-Bundesverband und die BKK zu. Auch sie halten die Krankheitskodierungen derzeit für zu unklar. Ilona Köster-Steinebach, Gesundheits- und Pflegeexpertin beim vzbv, ist zudem überzeugt, dass die derzeitige Geheimhaltung der Selektivverträge den Qualitätswettbewerb unter den Kassen verhindere. Die Patienten wüssten nicht, bei welcher Kasse sie mit Blick auf ihre Heil- und Hilfsmittelversorgung einen Vorteil hätten. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert für bestimmte Hilfsmittel wie etwa Inkontinenzmaterial sogar ein Ausschreibungsverbot, um Patienten den Herstellerwechsel zu ersparen.
Laut Antrag der Grünen gibt es zudem erheblichen Reformbedarf bei Über- und Unterdeckungen des Morbi-RSA. Daher sei eine Regionalkomponente ein wichtiges Ausgleichsinstrument. Das bestätigte auch der Gesundheitsökonom der Universität Bayreuth, Volker Ulrich. Mit solch einer Komponente könnten sich beispielsweise ausgeprägte Krankheitsregionen differenzierter ablesen lassen. Die AOK hält es für die zielgenaue Problemanalyse außerdem für sinnvoll, den Morbi-RSA von 80 auf 300 Krankheiten auszuweiten. Damit wäre der Kasse zufolge auch die Unterscheidung in vermeintlich lukrative und weniger lukrative Krankheiten vom Tisch.
Das HHVG wird am Donnerstag in 2. und 3. Lesung im Bundestag beraten. /