Spielend zur Energiewende |
14.02.2017 15:19 Uhr |
Von Hannelore Gießen, München / Schon der Titel der Ausstellung fordert zum Mitmachen auf. Mit der Sonderausstellung »energie.wenden« greift das Deutsche Museum in München ein vielschichtiges und politisch brisantes Thema auf. Im Zentrum der Ausstellung steht ein multimediales Rollenspiel, bei dem die Besucher selbst die Entscheidungen zur Energiewende treffen.
»Wir wollen unsere Besucher zum Nachdenken anregen«, sagt Sabine Gerber, Leiterin der Abteilung Natur und Technik und eine der Kuratorinnen der Ausstellung. »Die Energiewende stellt Gesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Technik gleichermaßen vor große Herausforderungen. Wir wollen dazu beitragen, dass unsere Besucher Antworten finden«, fügt Generaldirektor Wolfgang M. Heckl hinzu und sieht das Deutsche Museum damit in der Tradition des Gründungsvaters Oskar von Miller: Eine demokratische Gesellschaft kann sich nur entwickeln, wenn alle Zugang zu Naturwissenschaft und Technik haben, lautete dessen Credo.
Die Besucher müssen in einem Rollenspiel Entscheidungen treffen.
Fotos: Deutsches Museum, München
Auf großen Bildschirmen begegnen den Besuchern von Schauspielern dargestellte Akteure der Energiewende, die sofort zu argumentieren beginnen, wenn man auf sie zugeht. Die Atomkraft-Lobbyistin, die Expertin für Wasserkraftwerke, der Landwirt, der Investor und der Techniker für das Stromnetz – sie alle haben gute Argumente für Solar-, Wasser-, Wind- und Atomenergie, aber auch Mobilität und Konsum.
Alle Akteure stellen Forderungen an den Besucher: »Baut die Stromnetze aus!«, »Raus aus den fossilen Brennstoffen«, oder »Wir brauchen mehr Elektroautos!« Wird man so direkt angesprochen, ist es kaum möglich, unbeteiligt zu bleiben. In diesem Geflecht oft kontroverser Argumente soll der Besucher selbst per Knopfdruck entscheiden, welchem Aspekt er den Vorrang gibt, letztendlich welche Energiewende er möchte.
Die an den einzelnen Stationen gefällten Entscheidungen werden klassisch analog ausgewertet: Zu Beginn der Ausstellung erhält der Besucher eine Karte, in die er an den einzelnen Stationen seine jeweilige Entscheidung selbst stanzt. Am Ende dechiffriert ein Lesegerät die so entstandene Lochkarte und der Besucher erfährt, welchem »Energiewende-Typ« er entspricht. Da gibt es den marktwirtschaftlichen, den ökologischen und den sozialen Typ. Ein anderer setzt auf Globalisierung, staatliche Regulierung oder den wissenschaftlichen Fortschritt.
Für die Energiewende gibt es keine Blaupause, sondern sie muss über einen mehrschichtigen Entscheidungsprozess ausgehandelt werden. Dieses komplexe Verfahren transportiert das Rollenspiel sehr gut. »Unsere Charaktere sind zwar ein bisschen überzeichnet, aber das soll natürlich auch provozieren – wir machen das extra«, lacht Gerber. Als Zielgruppe stehen dabei Jugendliche und junge Erwachsene im Fokus, die von der sich verändernden Welt besonders betroffen sind.
Rotorblatt und Roadster
Solarblume: Sie produziert mit rund 4000 Kilowattstunden Strom pro Jahr in etwa den Jahresverbrauch eines europäischen Durchschnittshaushalts.
Die Liste der Exponate ist lang: Das Erste steht schon im Museumsinnenhof: eine große Blume mit Blütenblättern aus Solarzellen. Sie sammelt Sonnenenergie, dreht sich immer der Sonne zu und klappt abends ihre »Blütenblätter« ein. Und sie ist mehr als ein Gag: Sie liefert im Jahr rund 4000 Kilowattstunden Strom, so viel, wie eine Durchschnittsfamilie im Jahr verbraucht.
In der Ausstellung selbst steht ein Tesla-Roadster, der es als erstes Serien-Elektroauto 2012 in 127 Tagen einmal um die Welt geschafft hat. Die Kraft der Sonne dokumentiert eindringlich ein »Brandloch« in einem Stück Metall. Es wurde in einem Solarkraftwerk erzeugt.
»Das Thema Energiewende hat ganz viele Facetten«, berichtet Kuratorin Sarah Kellberg. Die Ausstellung beleuchtet »Smart Home« ebenso wie Emissionshandel, Speichermedien und Radioaktivität. Und es geht eben nicht nur um die nationale Sicht, sondern um die Auswirkungen auf der gesamten Erde. »Die Energiewende ist eine Jahrhundertaufgabe«, erläutert Kellberg. »Und sie muss von der Gesellschaft getragen werden. Wir wollen mit der Ausstellung zeigen: Ja, die Energiewende ist möglich – aber wie?«
Die Ausstellung ist klar konzipiert. Wer wenig Zeit mitbringt oder sich vor allem für die gesellschaftlichen Aspekte des Themas interessiert, bleibt in der Mitte und wandert von Bildschirm zu Bildschirm. Wer tiefer einsteigen möchte, biegt in das dahinter liegende Themenfeld ab und steht vor der Turbine eines Wasserkraftwerks oder einer Pferdekopfpumpe, mit der Öl gefördert wird.
Plötzlich sind alpenländische Jodellaute zu hören. Als überraschende Quelle entdeckt man ein Plüschtier, das offensichtlich nur mithilfe einer Batterie seine Laute ausstößt. »Wir haben eine Galerie ›unsinniger Dinge‹ zusammengetragen, die uns Menschen für die Ausstellung geschenkt oder geliehen haben« berichtet Gerber lachend. »Da kann man sich dann auch mal fragen, wie viel Energie für seine Produktion aufgewendet wurde und ob es das wirklich für unser Leben braucht.« Also ist Verzicht der Königsweg zur Energiewende? »Uns geht es eher um Umdenken als Verzichten«, bringt die Kuratorin ihr Anliegen auf den Punkt.
Der Blick zurück
Mit diesem Serien-Elektroauto ist Rafael de Mestre als Erster 2012 um die Welt gefahren – in 127 Tagen.
Am Anfang der Ausstellung stimmt eine kurze Zeitreise durch die Energiegeschichte auf das Thema ein. Über einen Zeitstrahl kann sich der Besucher über die Meilensteine der energetischen und gesellschaftlichen Entwicklungen von 1850 bis heute informieren. Am Ende führt der Rundgang durch die Ausstellung wieder zurück zum Eingang. Hier wird die Geschichte der Energiewende in die Zukunft fortgeschrieben, und der Besucher liest beispielsweise die weltweiten Klimaziele. Den Abschluss bildet eine Kunstinstallation aus »futuristischen Fundstücken«, die einer Zeit entstammen, in der die Energiewende bereits gemeistert wurde. So wird im Jahr 3050 an einem Münchner Badeplatz ein Sonnenschirm mit eingewebten Solarzellen gefunden. Die Archäologen des 4. Jahrtausends datieren das Objekt auf 2047 n. Chr. und vermuten, dass Badegäste damit Getränke gekühlt, Musik abgespielt oder ihren Zahlakku aufgeladen haben. /
Die Sonderausstellung öffnete am 15. Februar 2017 und ist bis zum 19. August 2018 im Deutschen Museum, Museumsinsel 1, 80538 München, zu sehen.