Neue Therapien, bessere Prognose |
13.02.2017 13:53 Uhr |
Von Gudrun Heyn / Die medikamentöse Therapie des Multiplen Myeloms unterliegt seit Jahren einem stetigen Wandel. Neue Arzneistoffe haben zu neuen Therapieempfehlungen geführt und das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten deutlich erweitert. Damit hat sich die Lebenserwartung der Patienten verbessert.
Obwohl das Multiple Myelom (MM) die dritthäufigste maligne hämatologische Erkrankung ist, ist sie eine seltene Erkrankung und bis heute nicht heilbar (1). Jedes Jahr erhalten in Deutschland rund 6500 Menschen die Diagnose neu (2). Im Durchschnitt sind die Patienten bei der Erstdiagnose 70 Jahre alt. Nur etwa 2 Prozent haben ihr 45. Lebensjahr noch nicht erreicht.
Erschöpfung ist eines der unspezifischen Symptome des Multiplen Myeloms. Betroffen sind vor allem ältere Menschen.
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Etwa ein Viertel der Patienten hat bei der Diagnosestellung noch keine Beschwerden. Da die Symptome oft unspezifisch sind, ist die Diagnose aber auch im weiteren Krankheitsverlauf nicht selten ein Zufallsbefund (3). Besonders häufig leiden MM-Patienten unter Knochenschmerzen (58 Prozent), Fatigue (40 Prozent) und Gewichtsverlust (25 Prozent). Oft kommt eine gesteigerte Infektneigung hinzu. Schäumender Urin (durch vermehrte Ausscheidung von Protein), aber auch Seh- und Gedächtnisstörungen sind weitere Symptome. Komplikationen wie Anämie, Knochenbrüche und Nierenschäden ergeben sich aus der Biologie des Tumors.
Charakteristisch für das Multiple Myelom ist die unkontrollierte monoklonale Vermehrung von entarteten Plasmazellen (defekte, aber vollständig differenzierte B-Lymphozyten) im Knochenmark (1, 2). Patienten sprechen daher oft von »Knochenmarkkrebs«. Im Gegensatz zu gesunden Plasmazellen produzieren Myelomzellen große Mengen genetisch identischer Immunglobuline und Immunglobulin-Bruchstücke. Diese Antikörper (Paraproteine) sind funktionslos und taugen nicht zur Infektabwehr, können aber das Blut dickflüssig machen. In Organen wie der Niere lagern sie sich ab. Zugleich verdrängen die malignen proliferierenden Plasmazellen die Bildung normaler Blutzellen im Knochenmark. Die Folgen sind eine Anämie und eine weitere Schwächung der Immunabwehr. Nach Expertenmeinung kann diese dazu beitragen, dass Immunzellen die entarteten Zellen nicht mehr beseitigen können (1).
Mehr als bei anderen Krebserkrankungen interagieren die Tumorzellen zudem mit den Zellen ihrer Umgebung. Indem sie die Stromazellen des Knochenmarks und Immunzellen beeinflussen, sichern sie ihr Überleben und fördern ihre Proliferation (1, 7). So kommt es beispielsweise in Myelom- und Stromazellen zur Aktivierung von Signalkaskaden, die zu einer verstärkten Produktion von Wachstumsfaktoren wie Interleukin-6 (IL-6) und Insulin-like-growth factor 1 (IGF-1) führen (7). Beide spielen bei der Stimulation des Zellwachstums und bei der Inhibition der Apoptose eine wichtige Rolle.
Nach der Anlagerung von Myelomzellen bilden Stromazellen aber auch vermehrt Osteoklasten-aktivierende Zytokine wie RANKL, was zu einer gesteigerten Vermehrung der knochenabbauenden Zellen führt (8). Die Folgen sind osteolytische Knochenläsionen, Frakturen, Schmerzen und erhöhte Calciumspiegel im Blut.
Das mittlere Überleben liegt nur bei vier bis elf Monaten, wenn die Patienten ein klinisch manifestes Stadium erreichen und keine Behandlung bekommen (4). Zur Therapie des MM stehen heute – neben Zytostatika und Corticosteroiden – neun moderne Antineoplastika zur Verfügung. Damit ist die Lebenserwartung deutlich gestiegen (1, 2, 5, 6).
Die Ätiologie des Multiplen Myeloms ist noch weitgehend unverstanden. Neben ionisierender Strahlung, Pestiziden und Benzol werden auch Adipositas und chronische Infektionen als begünstigende Faktoren diskutiert (2, 3).
Einem MM geht meist eine sogenannte monoklonale Gammopathie unbekannter Signifikanz (MGUS) voraus. Dabei handelt es sich um eine Veränderung von Blutwerten (Labordiagnose). Die Betroffenen zeigen zwar keine Krankheitszeichen, aber in ihrem Blut sind vermehrt monoklonale Immunglobuline nachweisbar. Das Risiko einer Transformation in ein behandlungsbedürftiges Myelom beträgt etwa 1 Prozent pro Jahr (9). Das sogenannte smoldering-Myelom ist durch eine weitere Verschlechterung von Blutwerten gekennzeichnet und gilt als schwelendes Myelom ohne Symptome.
Bei der Pathogenese des MM spielen chromosomale Aberrationen (Abweichung in der Struktur oder Anzahl von Chromosomen eines Genoms) eine wichtige Rolle. Besonders häufig sind Translokationen (Umlagerung von Chromosomenabschnitten), die eine unkontrollierte Expression antiapoptotischer und pro-proliferativer Proteine auslösen. Der Nachweis bestimmter Translokationen und Deletionen (Verlust eines DNA-Abschnitts) ist mit einer ungünstigen Prognose assoziiert (3, 4, 5).
Grundsätze der Therapie
Gemäß der gültigen Leitlinie ist eine Therapie angezeigt, wenn Patienten unter einer symptomatischen Erkrankung leiden. Dazu müssen sie mindestens eines der sogenannten CRAB-Kriterien erfüllen. Dazu gehören Krankheitssymptome wie Hypercalcämie (hyper calcemia > 10,5 mg/dl), Niereninsuffizienz (renal insufficiency, Serum-Kreatinin > 2,0 mg/ml), Anämie (anemia: Hb < 10 g/dl) und/oder Knochenläsionen (bone lesions: Osteolyse oder Osteoporose mit Kompressionsfrakturen). Aber auch bei Schmerzen, Dickflüssigkeit des Blutes oder anderen Komplikationen ist eine Behandlung indiziert.
Die Primärtherapie besteht aus zwei Phasen: einer Induktionstherapie und einer anschließenden Hochdosis-Chemotherapie mit autologer (oder allogener) Stammzelltransplantation. Eine weitere wichtige Säule ist die Supportivtherapie zur Stabilisierung des Knochens. Gegebenenfalls folgen eine zweite Stammzelltransplantation und eine Rezidivtherapie.
Zur Reduktion der Tumorlast erhalten die Kranken in der Regel eine Kombinationstherapie. Therapieregime mit Vinca-Alkaloid, Anthracyclin und Corticosteroid oder Alkylans und Corticosteroid sind heute jedoch kein Standard mehr. Der Grund ist die stetige Verbesserung der Überlebensrate durch die Einführung von Thalidomid, Bortezomib und Lenalidomid in die Therapie. So zeigte eine vergleichende Studie, dass das Gesamtüberleben der Patienten von 4,6 Jahren in den Jahren 2001 bis 2005 auf 6,1 Jahre in den Jahren 2006 bis 2010 stieg (5). Insbesondere bei Patienten über 65 Jahren verbesserte sich das Sechs-Jahres-Gesamtüberleben von 31 auf 56 Prozent.
Neben Thalidomid (seit 2001 Orphan-Drug-Status in der EU, 2008 zugelassen), Bortezomib (2004) und Lenalidomid (2007) stehen heute eine weitere immunmodulatorische Substanz (Pomalidomid, 2013), zwei weitere Proteasom-Inhibitoren (Carfilzomib, 2015; Ixazomib, 2016), ein neuer Histon-Deacetylase-Inhibitor (Panobinostat, 2015) und zwei neue Antikörper (Elotuzumab, 2016; Daratumumab, 2016) zur Verfügung (Tabelle). Diese Substanzen werden meist mit anderen Therapeutika, zum Beispiel Zytostatika und/oder Glucocorticoiden kombiniert.
Proteasom-Inhibitoren
Die Myelom-Therapie ist komplex und setzt primär auf hoch dosiserte Chemotherapie und Stammzelltransplantation.
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Bortezomib, Carfilzomib und Ixazomib hemmen den Abbau von nicht benötigten, geschädigten oder fehlerhaft gebildeten Proteinen, indem sie das Proteasom in Zellen inhibieren. Im Zytoplasma und im Zellkern ist dieser Enzymkomplex für den kontrollierten Abbau von Proteinen und damit auch für die Homöostase der Zelle verantwortlich. Da Myelomzellen große Mengen an Paraprotein produzieren, ist die Proteasom-Inhibition gerade bei ihnen ein sehr wirksames Prinzip. Sie führt bildlich gesprochen dazu, dass die maligne Zelle letztendlich an ihrem Protein-Müll erstickt (1).
In Deutschland hat sich die subkutane Anwendung von Bortezomib gegenüber der intravenösen Gabe weitgehend durchgesetzt. Der Grund ist die bessere Verträglichkeit bei vergleichbarer Wirksamkeit. So ist die Rate schwerer Polyneuropathien dadurch deutlich gesunken (1). Im Vergleich zu Bortezomib zeigt Carfilzomib bei intravenöser Gabe nur eine minimale neurotoxische Wirkung (1). Um das Risiko möglicher Infusionsreaktionen zu vermindern, sollten die Patienten vor der Infusion Dexamethason erhalten. Die rekonstituierte Carfilzomib-Lösung ist bei Temperaturen von 2 bis 8 °C (Kühlschrank) zu lagern.
Ixazomib ist der erste oral einzunehmende Proteasom-Inhibitor und seit Januar 2017 neu auf dem deutschen Markt. Wichtige Argumente für die bedingte Zulassung im November 2016 waren sein Sicherheitsprofil und eben die orale Verfügbarkeit. Der Hersteller muss nun weitere Daten aus laufenden Studien nachliefern, um die langfristigen Effekte der Therapie zu belegen.
Wie bei Bortezomib und Carfilzomib können Nebenwirkungen wie Durchfall, Übelkeit und Erbrechen auftreten. Bei der Abgabe sollten Apotheker auf Wechselwirkungen mit starken CYP3A-Induktoren wie Johanniskraut achten. Der Patient nimmt Ixazomib an den Tagen 1, 8 und 15 jedes Behandlungszyklus nüchtern ein, also spätestens eine Stunde vor oder frühestens zwei Stunden nach einer Mahlzeit. Während der Behandlung sollten Frauen eine Schwangerschaft und das Stillen vermeiden – zumal Ixazomib immer mit Dexamethason und dem teratogen wirksamen Lenalidomid kombiniert wird. Sie müssen während der Behandlung und für 90 Tage nach Therapieende äußerst zuverlässig verhüten. Da Dexamethason die Wirksamkeit von oralen Kontrazeptiva reduzieren kann, ist die zusätzliche Anwendung einer Barrieremethode zur Empfängnisverhütung ratsam.
Substanz, Handelsname | Generation | Applikationsweg | Indikation | Indikation |
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Primär | Rezidiv | |||
Immunmodulatorische Substanzen | ||||
Thalidomid (Thalidomide® Celgene) | 1 | oral | (x) | |
Lenalidomid (Revlimid®) | 2 | oral | (x) | x |
Pomalidomid (Imnovid®) | 3 | oral | x (ab 3. Linie) | |
Proteasom-Inhibitoren | ||||
Bortezomib (Velcade®) | 1 | subkutan, intravenös | x | x |
Carfilzomib (Kyprolis®) | 2 | intravenös | x | |
Ixazomib (Ninlaro®) | 2 | oral | x | |
Histon-Deacetylase-Inhibitor (HDAC-Inhibitor) | ||||
Panobinostat (Farydak®) | oral | x (ab 3. Linie) | ||
Monoklonale Antikörper | ||||
Daratumumab (Darzalex®) | intravenös | x (nach Proteasom-Inhibitor und Immunmodulator) | ||
Elotuzumab (Empliciti®) | intravenös | x |
Immunmodulatorische Substanzen
Thalidomid und seine Analoga Lenalidomid und Pomalidomid greifen über mehrere Mechanismen in das Tumorgeschehen ein. Sie hemmen die Interaktion zwischen Myelom- und Stromazellen des Knochenmarks, indem sie die Expression von Oberflächen-Adhäsionsmolekülen blockieren und die Produktion von Zytokinen wie IL-6 stören (7). Das Immunsystem beeinflussen sie, indem sie die Proliferation von T-Zellen und natürlichen Killerzellen anregen und die Produktion von Botenstoffen wie IL-2 fördern. Zudem können sie die Reifung von Osteoklasten und die Angiogenese inhibieren.
Darüber hinaus können Lenalidomid und Pomalidomid einen Zellzyklus-Stopp und die Apoptose von MM-Zellen direkt induzieren (7). Pomalidomid ist auch dann noch wirksam, wenn die Patienten auf Lenalidomid nicht mehr ansprechen (1, 7).
Da die Immunmodulatoren teratogen wirken, müssen sie über ein Schwangerschafts-Präventions-Programm verschrieben und abgegeben werden. Die Gültigkeit des T-Rezepts beträgt maximal sechs Tage nach dem Tag der Ausstellung durch den Arzt. Die Einnahme von Thalidomid, Lenalidomid und Pomalidomid erfolgt oral unabhängig von einer Mahlzeit.
Bei der Abgabe sollten Apotheker die sichere Handhabung der Medikamente ansprechen. So weist die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) beispielsweise darauf hin, dass beim Umgang mit Lenalidomid Einmalhandschuhe zu tragen sind. Beim Ausziehen der Handschuhe ist eine Exposition der Haut zu vermeiden und die Handschuhe sind in einer verschließbaren Plastiktüte zu entsorgen (11). Abschließend sind die Hände gründlich mit Wasser und Seife zu waschen.
Histon-Deacetylase-Inhibitoren
Panobinostat ist ein pan-HDAC-Inhibitor. Histondeacetylasen (HDAC) unterbinden die Transkription von Genen, indem sie die Deacetylierung von Histonen katalysieren. Beim MM verhindert dieser epigenetische Effekt die Ablesung von Tumorsuppressor-Genen. Die Hemmung von HDAC führt zu deren Reaktivierung. Da HDAC auch die Expression von Proteinen regulieren, denen eine zentrale Rolle bei Zellproliferation, Zelldifferenzierung und Apoptose zukommt, zum Beispiel p53, NFkB, E2F1 und das Hitzeschock-Protein HSP90, beeinflusst Panobinostat zudem die Zellzykluskontrolle (Grafik 1).
Ein völlig anderes Angriffsziel ist ein Escape-Mechanismus der Zelle. Sammeln sich, zum Beispiel nach Gabe eines Proteasom-Inhibitors, intrazellulär funktionsuntüchtige Proteine an, kann die Zelle »Auswege« finden (12). Dazu schaltet sie auf einen Aggreasom-vermittelten Protein-Abbau um, bei dem HDAC6 eine wichtige Rolle spielt. HDAC-Inhibitoren können diesen Resistenzmechanismus durchbrechen und somit synergistisch zu Bortezomib und Co. wirken.
Die orale Gabe von Panobinostat erfolgt einmal täglich an den Tagen 1, 3, 5, 8, 10 und 12 eines 21-tägigen Zyklus. Die Gesamtdauer dieser Drittlinien-Therapie beträgt bis zu 16 Zyklen (48 Wochen). Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen der Therapie, die immer mit Bortezomib und Dexamethason kombiniert wird, gehören Infektionen der oberen Atemwege, Thrombozytopenie, Diarrhö, Fatigue, Übelkeit und Erbrechen.
Bei der Abgabe sollten Apotheker auf Wechselwirkungen mit CYP3A4-Hemmern und -Induktoren, p-Glykoprotein-Inhibitoren und CYP2D6-Substraten mit geringer therapeutischer Breite achten. Frauen im gebärfähigen Alter, sexuell aktive Patienten und ihre weiblichen Partner benötigen zudem eine Aufklärung über sehr zuverlässige Verhütungsmethoden und zur Dauer ihrer Anwendung.
Grafik 2: Therapie-Algorithmus bei Erstdiagnose (3)w & w: watch and wait (abwartendes Verhalten); Therapie: A: Doxorubicin, auto SZT: autologe Stammzelltransplantation, auto-allo SZT: autologe und nachfolgend allogene Stammzelltransplantation, Bo: Bortezomib, C: Cyclophosphamid, D, d: hoch/niedrig dosiertes Dexamethason, L: Lenalidomid, M: Melphalan, P: Prednisolon, T: Thalidomid Grafik: Stephan Spitzer
Monoklonale Antikörper
Selbst Patienten, die bislang als austherapiert galten, können von einer Behandlung mit den neuen Antikörpern profitieren (13). Elotuzumab richtet sich gegen SLAMF7 (Signaling Lymphocytic Activation Molecule F7), einen Glykoproteinrezeptor, der auf der Oberfläche von Myelomzellen, aber auch von Immunzellen und normalen Plasmazellen vorkommt. Die Bindung des Antikörpers an SLAMF7 macht Myelomzellen für das Immunsystem sichtbar und kann natürliche Killerzellen direkt aktivieren (1).
Daratumumab ist ein Anti-CD38-Antikörper. In hoher Konzentration exprimieren Tumorzellen das CD38-Protein auf ihrer Oberfläche. Es sorgt für rezeptorvermittelte Adhäsion, Signalübertragung und enzymatische Aktivität. Daratumumab hemmt das Tumorzellwachstum und löst durch komplementabhängige Zytotoxizität, antikörperabhängige zellvermittelte Zytotoxizität und antikörperabhängige zelluläre Phagozytose die Tumorzell-Lyse aus (14).
Bei beiden Substanzen ist eine Prämedikation erforderlich, um das Risiko von infusionsbedingten Reaktionen zu senken. Zum Einsatz kommen Antihistaminika, Antipyretika und Corticoide. Patientinnen im gebärfähigen Alter und bei Elotuzumab auch Patienten mit Partnerinnen im gebärfähigen Alter sollten über zuverlässige Verhütungsmethoden und die notwendige Dauer der Anwendung aufgeklärt sein. Außerdem sollten Apotheker die Anwender von Daratumumab auf Maßnahmen zur Aufbewahrung (Lichtschutz, Kühlung) aufmerksam machen und Hinweise zur Haltbarkeit geben.
Die Therapie des Multiplen Myeloms besteht fast immer aus mehreren Bausteinen. Fester Bestandteil fast jeder Induktions- und Rezidivtherapie sind Corticosteroide wie Dexamethason. Trotz einer zytotoxischen Wirkung auf Myelomzellen führt eine Monotherapie in der Regel zu keiner endgültigen Elimination der malignen Zellen (1). Die zusätzliche Gabe eines Steroids erhöht jedoch die Wirksamkeit von antineoplastischen Substanzen wie Adriamycin (Doxorubicin), Bortezomib und Lenalidomid.
Auch Zytostatika wie Cyclophosphamid und Adriamycin sind nach wie vor ein wichtiger Bestandteil mancher Therapieprotokolle.
Primärtherapie
Ziele der Induktionstherapie (Grafik 2) sind die Kontrolle des Multiplen Myeloms (Reduktion der malignen Plasmazellen im Knochenmark, Abnahme der Konzentration des monoklonalen Immunglobulins in Blut und Urin) und Rückgang der Krankheitssymptome. In der Regel erhalten die Patienten heute eine Kombination von Bortezomib mit einem Corticosteroid und einer weiteren Substanz. Laut Leitlinie kann es sich dabei um ein Zytostatikum wie Cyclophosphamid oder Adriamycin oder um eine zweite »neue Substanz« wie Lenalidomid (Off-Label-Use) handeln. In Deutschland haben sich bis zu vier Induktionszyklen weitgehend durchgesetzt (15).
Trotz intensiver Primärtherapie erleiden viele Myelom-Patienten ein Rezidiv.
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Zur Vorbereitung einer Stammzelltransplantation (Konditionierung) ist eine Hochdosis-Chemotherapie mit dem Alkylans Melphalan Mittel der Wahl. Die dazu notwendige Dosis von 200 mg/m2 erhalten die Patienten in der Regel intravenös. Sind bestimmte genetische Risikokonstellationen nachweisbar, kommt für die Patienten neben der autologen auch eine allogene (Fremdspender) Stammzelltransplantation infrage. Wird keine vollständige Remission erreicht, können Hochdosis-Chemotherapie und Stammzelltransplantation nach drei bis sechs Monaten wiederholt werden (Tandemtransplantation).
Patienten, die aufgrund von Allgemeinzustand, Organfunktion und/oder Komorbidität keine Hochdosis-Chemotherapie oder Stammzelltransplantation bekommen können, erhalten eine an ihre Risiken angepasste Therapie.
Supportivtherapie
Zur Vermeidung von Knochenkomplikationen sind Bisphosphonate wie Pamidronat und Zoledronat indiziert (1). Bisphosphonate wirken knochenprotektiv, indem sie die Knochenresorption durch Osteoklasten hemmen. Zudem beeinflussen sie das Gesamtüberleben. So konnte die MRC-Myeloma IX-Studie für Zoledronat eine Lebensverlängerung von 5,5 Monaten zeigen (15).
Kieferosteonekrosen sind eine mögliche Komplikation der Therapie, die auch mit der Zahnhygiene in Zusammenhang steht. Die Patienten profitieren daher von ausführlichen Hinweisen zur Zahn- und Zahnfleischpflege. Wichtig ist eine überdurchschnittlich sorgfältige und regelmäßige Mundhygiene (17). Da bei Verletzungen der Mundschleimhaut und des Zahnfleischs Erreger an den Knochen gelangen können, ist die Verwendung einer weichen Zahnbürste ratsam. Zudem sollten vor der Gabe von Bisphosphonaten eine zahnärztliche Untersuchung und gegebenenfalls eine zahnärztliche Sanierung erfolgen.
Rezidivtherapie mit vielen Variationen
Trotz einer intensiven Primärtherapie kommt es bei den meisten Patienten zu einem Rezidiv (15). Vor allem Kombinationen der neuen Therapieoptionen kommen heute zum Einsatz. Mediziner sprechen von einem »Dschungel«, denn neben Zytostatika wie Adriamycin und Bendamustin stehen nun neun weitere Substanzen zur Auswahl. Sie können Therapien wechseln und in Kombinationstherapien Substanzklassen oder Substanzen austauschen (13). Zudem lässt sich ein Wirkverlust bei manchen Substanzen durch die Hinzunahme anderer Substanzen abmildern. So können die Wirkung eines Proteasom-Inhibitors durch die Kombination mit Panobinostat und die Wirkung eines Antikörpers durch Hinzunahme eines Immunmodulators wieder gesteigert werden.
Bei der Wahl einer geeigneten Medikation spielen Kriterien wie Alter, Vorbehandlung, Ansprechen und Dynamik des Rezidivs eine Rolle, aber auch praktische Aspekte, zum Beispiel weniger Arztbesuchen bei rein oraler Therapie.
Das Multiple Myelom (MM) zählt zu den 20 häufigsten Krebserkrankungen in Deutschland. Patienten bezeichnen die maligne hämatologische Systemerkrankung oft als Knochenmarkskrebs. Die Weltgesundheitsorganisation rechnet sie zu den lymphoproliferativen B-Zell-Lymphomen.
Auch wenn dieser Krebs in der Regel nicht heilbar ist, muss nicht jeder Patient sofort behandelt werden. Das mittlere Überleben liegt jedoch nur bei vier bis elf Monaten, wenn Patienten ein klinisch manifestes Stadium erreichen und unbehandelt bleiben. Die Kranken entwickeln dann mehrere Knochenläsionen oder andere Symptome wie eine deutlich erhöhte Last an genetisch identischen, funktionslosen Immunglobulinen in Blut und Urin.
Zur Therapie des Multiplen Myeloms können Ärzte heute – neben Zytostatika und Corticosteroiden – neun moderne Antineoplastika einsetzen. Ein besseres Verständnis der pathophysiologischen Vorgänge hat zur Entwicklung völlig neuer Substanzen geführt und die Therapie nachhaltig verändert. Dieser Trend hält an. Allein 2015/2016 haben fünf neue Medikamente, darunter auch Peroralia, die Zulassung zur Behandlung des MM erhalten. Mit Ixazomib, Lenalidomid und Dexamethason ist erstmals eine komplett perorale Dreiertherapie verfügbar. Dank der neuen Behandlungsoptionen haben die Patienten eine deutlich längere Lebenserwartung.
Neue Zulassungen erwartet
Dank der neuen therapeutischen Möglichkeiten überleben zunehmend mehr Patienten langfristig (1). Auch therapiefreie Zeiten sind für Patienten mit rezidiviertem MM nun möglich (13). In nächster Zeit wird die (vollständige) Zulassung der neuen Zweit- und Drittgenerations-Medikamente zur Erstlinientherapie erwartet (1), die Zulassung von Daratumumab zur Kombinationstherapie und von Lenalidomid zur Erhaltungstherapie (16). Studien zeigten, dass eine Lenalidomid-Erhaltungstherapie nach Stammzelltransplantation das progressionsfreie Überleben um 2,5 Jahre verlängert.
Studiengruppen testen auch neue Kombinationen bekannter Wirkstoffe. In der Pipeline sind neue Substanzen wie Checkpoint-Inhibitoren.
Auch beim Therapiemanagement zeichnen sich Veränderungen ab. Um das Leben zu verlängern und schwere Organschäden zu verhindern, empfiehlt die Internationale Myeloma Working Group (IMWG) auch diejenigen Patienten zu behandeln, die ein hohes Progressionsrisiko für eine symptomatische MM aufweisen (10). Studien sollen nun klären, ob dadurch eine Überbehandlung ausgelöst wird (2). /
Gudrun Heyn ist als freie Wissenschaftsjournalistin in Berlin tätig und behandelt vor allem Themen aus Medizin und Pharmazie. Nach ihrer journalistischen Ausbildung und Promotion hat sie in verschiedenen Forschungseinrichtungen, darunter am Kernforschungszentrum Karlsruhe und beim Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung gearbeitet. Sie erfüllte Lehraufträge an der Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg, und der Freien Universität, Berlin. In Fachpublikationen veröffentlichte sie Ergebnisse eigener Forschungen.
Dr. Gudrun Heyn
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Literatur