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Fetale Programmierung

Die Gene sind nicht alles

12.02.2014  10:03 Uhr

Die fetale Programmierung, das heißt die seelische und körperliche Prägung, die ein Kind im Mutterleib erfährt, hinterlässt lebenslange Spuren. Auch Zivilisationskrankheiten wie Adipositas und Diabetes werden bereits vorgeburtlich auf den Weg gebracht. Den Stand der Forschung fasste Professor Dr. Holger Stepan, Leiter der Abteilung für Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Leipzig, zusammen.

Stepan führte aus, dass der Fetus auf einen Substratmangel oder ein Sub­stratüberangebot im Mutterleib mit Anpassung unter anderem Insulin-sensitiver Gewebe und neuroendokriner Regelkreise reagiert. »Die im intrauterinen Milieu erworbenen epigenetischen Veränderungen können sich nach der Geburt und im späteren Leben bei normalem Substratangebot als kontraproduktiv erweisen und mit einer gesteigerten Krankheitsdisposition einhergehen«, betonte er.

 

Als Mechanismen, die die Genaktivität beeinflussen, hob der Pränatal- und Geburtsmediziner die Methylierung von DNA-Cytosinbasen, Veränderungen der Histonstruktur und Beeinflussungen der Gen-Expression durch MicroRNA hervor. »Was der Großvater isst, hat der Enkel in den Genen«, so Stepan. Tierversuche unter anderem mit Agouti-Mäusen zeigten, dass die Art der Ernährung über Generationen hinweg den Phänotyp des Nachwuchses bestimmen könne. Die mit gelbem Fell ausgestatteten Nager leiden unter einem Gen-Defekt, der sie übergewichtig macht und häufig an Krebs und Diabetes erkranken lässt. Bei methylenreicher Diät kommt es zur Veränderung der Expression des Agouti-Gens, die nicht nur den Mäusen selbst, sondern auch ihren Nachkommen zugute kommt. Diese kommen normalgewichtig, gesund und mit dunklem Fell auf die Welt.

 

Schützt Stillen vor späterer Adipositas?

 

Stepan zitierte eine Untersuchung von Barker et al. in »The Lancet« aus dem Jahr 1989, die auf Zusammenhänge zwischen einer mangelhaften intrauterinen Ernährungssituation und ischämischen Herzerkrankungen verweis (doi: 10.1016/S0140-6736(89)90710-1). Zwar sei diese als Barker-Hypothese bekannt gewordene Erkenntnis durch weitere Studien untermauert worden, doch werde sie kontrovers diskutiert, da zum einen der Bezug zu einer späteren Adipositas weiterhin unklar ist und zum anderen komplexere Einflussgrößen und Fehlermöglichkeiten identifiziert wurden. So deuten zahlreiche Befunde darauf hin, dass nicht intrauterine Mangelernährung, sondern postnatale Überernährung der Grund für ein späteres Übergewicht ist.

 

Die Zeit unmittelbar nach der Geburt, so Stepan, wird als besonders vulnerabel und wichtig für das spätere Sättigungsverhalten und die neuro-humorale Regulation des menschlichen Stoffwechsels betrachtet. Diese Erkenntnis wiederum unterstreiche die Bedeutung des Stillens als bester Form der Ernährung des Säuglings und Kleinkindes. Besitze Muttermilch einen grundlegenden schützenden körperlichen und seelischen Effekt, könne sie auch eine spätere Adipositas verhindern.

 

Kaiserschnitt-Kinder bekommen häufiger Asthma

 

Darüber hinaus, so der Referent, konnte gezeigt werden, dass die psychische Befindlichkeit werdender Mütter deutliche Effekte auf die elektrophysiologischen Funktionen von Kindern hat. Last but not least wurde beobachtet, dass durch Kaiserschnitt geborene Kinder im Vergleich zu Kindern, die natürlich entbunden wurden, später sehr viel häufiger an Asthma oder allergischen Erkrankungen leiden. Vermutet werde, dass der Kontakt mit mütterlichen Vaginalkeimen bei der Passage des Geburtskanals physiologisch bedeutsam für die Prägung des kindlichen Immunsystems und die Entwicklung der kindlichen Darmflora sei.

 

»Alles zusammen, also das körperliche und seelische Befinden der werdenden Mutter, Quantität und Qualität der intrauterinen Ernährung, die Art und Weise der Niederkunft und die Länge der Zeit, die ein Kind gestillt wird, hat Einfluss auf das spätere Leben eines Menschen und muss wissenschaftlich genau betrachtet werden«, so Stepan. Dieses junge Forschungsfeld stehe erst am Anfang, doch sei es rasant im Wachsen begriffen.

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