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Suchttherapie

Heroin auf Krankenschein

12.02.2007  12:14 Uhr

Suchttherapie

Heroin auf Krankenschein

dpa Es gibt nicht mehr viele ideologische Frontstellungen zwischen Union und SPD. Vor allem seit es die große Koalition gibt. Die Drogenpolitik ist eines dieser Themen, das wie ein Relikt früherer Grabenkämpfe als rotes Teufelchen aus der schwarzen Kiste springt.

 

Im Jahr 2002 wurde die heroingestützte Behandlung von Schwerstabhängigen ins Leben gerufen. Sie läuft inzwischen in sieben deutschen Städten. Das Modellprojekt richtet sich an langjährig abhängige Junkies, bei denen andere Substitutionsprogramme, beispielsweise mit Methadon, fehlschlugen. Ihnen wird kostenlos und unter ambulanter Aufsicht bis zu drei Mal täglich synthetisch hergestelltes Heroin (Diamorphin) gegeben. Hinzu kommen Gesundheitsuntersuchungen sowie eine psychosoziale Betreuung. In dem Programm sind derzeit rund 300 Schwerstabhängige.

 

Die Projekte in Bonn, Frankfurt/Main, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Köln und München stehen jetzt jedoch vor dem Aus. Die Kommunen fürchten für einige ihrer Patienten Lebensgefahr. Die letzte Verlängerung des Modellprojektes droht zur Jahresmitte endgültig auszulaufen, weil die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine weitere Verlängerung ablehnt.

 

Würde jetzt Diamorphin als Medikament unter strengen Auflagen zugelassen, gäbe es Chancen für eine dauerhafte Weiterbehandlung. Ein entsprechender Antrag wurde vom zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) positiv beurteilt. Einer Zulassung muss jedoch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vorausgehen.

 

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD), sagt dazu: »Das ist kein Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik, bei der wir alles verharmlosen würden.« Für die Unionspolitiker im Bundestag ist es dagegen ein Dammbruch. Die Drogenexpertin der Unionsfraktion, Maria Eichhorn (CSU), sagt: »Mir haben Abhängige in einer Methadonambulanz gesagt, dass sie froh seien, vom Heroin weg zu sein.« Jens Spahn (CDU), Obmann für die Union im Gesundheitsausschuss des Bundestages, sagt, der Einsatz der Ersatzdroge Methadon sei ähnlich erfolgreich und billiger als Diamorphin.

 

Spahn warnt, wenn der Staat Heroin an Schwerstabhängige ausgebe, dann habe dies auch eine Signalwirkung auf die Drogenszene. Die SPD-Abgeordnete Bätzing hingegen rechnet mit maximal 1500 Patienten bei der Diamorphin-Freigabe: »Man kann längst nicht sagen, dass sind alle unsere 120.000 Opiatabhängigen.« Die Fronten sind klar, die Regierungskoalition wird keinen einheitlichen Gesetzesantrag einbringen. Ergebnisse einer Begleitstudie werden von beiden Seiten unterschiedlich ausgelegt.

 

Dazwischen stehen die Liberalen, die Grünen und die Linksfraktion im Bundestag. Sie bemühen sich in einer fraktionsübergreifenden Gruppe einen Gesetzesantrag in den Bundestag zu bekommen, der die staatliche Heroinabgabe auf rechtsstaatliche Füße stellt. Denn, was Kritiker als »Heroin auf Krankenschein« bezeichnen, verteidigt der Drogenexperte der Bundestags-FDP, Detlef Parr. Er sagt: »In dem Moment, wo wir die Abstimmung freigeben, also weg von den Koalitionszwängen, haben wir eine Mehrheit.« Der Suchtexperte der Grünen, Harald Terpe, fürchtet: »Wenn die Mehrheit des Parlamentes sich nicht in die Richtung bewegen lässt, dann sieht es tatsächlich trübe aus.«

 

Letzte Chance

 

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung glaubt nicht an die Kraft der Opposition. »Die einzige Chance sehe ich im Bundesrat«, sagt Bätzing. Die unionsregierten Länder Hamburg und Hessen sind dafür nämlich durchaus bereit. Nordrhein-Westfalens Position ist noch unklar. »Wenn die Länder den Entwurf einbringen, dann wäre das einfach ein ganz anderes Signal«, sagt Bätzing.

 

CDU-Oberbürgermeisterin Frankfurts Petra Roth, und die anderen CDU-Oberhäupter der betroffenen Städte sind für die Projekte. Die Hamburger Gesundheitssenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) hat für die Länderinitiative Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) gewonnen.

 

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) plädiert ebenfalls für die Fortsetzung der umstrittenen Heroin-Programme für Schwerstabhängige. »Ich bin für eine Fortführung der Behandlung, weil es menschlich geboten und gesellschaftspolitisch vernünftig ist«, schrieb die Ministerin in der »Bild am Sonntag«. Für viele Abhängige bedeute diese Behandlung die letzte Chance, meinte Schmidt. »Sie steigen aus dem Teufelskreis von Drogenkonsum und Beschaffungskriminalität aus, bringen ihr Leben in Ordnung und können über weitergehende Behandlungen nachdenken.«

 

Ein Ende der staatlichen Heroinabgabe hätte nach Ansicht des Leiters des bundesweiten Modellprojekts, Christian Haasen, schwerwiegende Konsequenzen. »Die Süchtigen würden dann in ihre alten Muster zurückfallen, was massive gesundheitliche Verschlechterungen und im schlimmsten Fall Lebensgefahr bedeuten kann«, sagt der Mediziner vom Hamburger Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung. Das Projekt mache sich langfristig auch für Krankenkassen und Kommunen bezahlt. »Durch die kostenlose und saubere Heroinabgabe werden Krankheiten wie HIV oder Hepatitis verhindert und die Beschaffungskriminalität verringert.«

 

Haasen ist der Ansicht, dass eine Resozialisierung einem Entzug vorausgehen sollte. »Das entscheidende Problem ist nicht die Sucht, sondern sind die gesundheitlichen und sozialen Missstände«, erklärte er. »Heroin ist, wenn es kontrolliert eingenommen wird, weniger schädlich als Alkohol.« Dank des Projekts könnten die Probanden ihr Leben neu sortieren, statt den ganzen Tag auf die Drogen-Beschaffung auszurichten. So seien zu Beginn der Behandlung 90 Prozent der Teilnehmer arbeitslos gewesen. Inzwischen habe jeder Zweite eine feste Stelle.

 

Die Erfahrungen anderer Länder wie der Schweiz und den Niederlanden habe gezeigt, dass die legale Behandlung Schwerstabhängiger mit Heroin der richtige Schritt sei, sagt Haasen. Er sagt auch: »Natürlich kann ich die ideologischen Vorbehalte nachvollziehen.« Aber hier gehe es nicht um die Verharmlosung einer Droge, sondern darum, den Patienten mit einem wirksamen Mittel zu helfen. »Heroin wird auch dann eine illegale Substanz bleiben.« Internet: www.heroinstudie.de

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