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Prävention auf neuen Wegen

10.02.2006  10:36 Uhr

HIV-Infektion

Prävention auf neuen Wegen

von Brigitte M. Gensthaler, München

 

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland und Europa steigt. Zugleich schwinden Wissen und Bewusstsein in der Bevölkerung, wie gefährlich die erworbene Immunschwächeerkrankung nach wie vor ist. Angesichts wachsender Sorglosigkeit steht die Aids-Prävention in Deutschland vor neuen Herausforderungen.

 

Nach aktuellen Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin leben in Deutschland derzeit etwa 49.000 HIV-infizierte Menschen. Verglichen mit anderen europäischen Ländern ist die Prävalenz eher niedrig. Rasant steigen die Zahlen in Osteuropa, hier sollen bereits 1,6 Millionen Betroffene leben. In Deutschland haben sich im letzten Jahr 2600 Menschen, darunter 15 Kinder unter 15 Jahren, neu mit dem Virus angesteckt. Das sind etwa 600 mehr als jeweils in den Jahren zuvor.

 

Hauptrisikogruppe sind nach wie vor Männer, die Geschlechtsverkehr mit Männern haben, berichtete die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Dr. Elisabeth Pott, Anfang Februar bei den 11. Münchner Aids-Tagen (www.bzga.de; www.gib-aids-keine-chance.de). 58 Prozent der neu diagnostizierten Infektionen betreffen diese Gruppe, 18 Prozent wurden bei Menschen aus Hochrisikogebieten (Regionen, in denen mehr als 1 Prozent der Erwachsenen das Virus tragen) und 8 Prozent bei intravenös Drogenabhängigen entdeckt. Etwa 15 Prozent haben sich bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr angesteckt.

 

Nichtwissen macht sorglos

 

Der alarmierende Anstieg der Neuinfektionen geht Hand in Hand mit einem nachlassenden Safer-sex-Verhalten in den Risikogruppen und einem »stagnierenden Schutzverhalten« in der allgemeinen Bevölkerung, beklagte Pott. Dies beruhe häufig auf Unwissen oder Irrtümern.

 

Euphorische Berichte über eine mögliche Heilung der Immunschwäche oder eine Impfung könnten zur Nachlässigkeit beim Schutz vor HIV beitragen. Da auch die Therapiemöglichkeiten häufig überbewertet werden, seien viele Menschen der Ansicht, Prävention sei nicht mehr so wichtig und das Risiko kalkulierbar. Ebenso werde die Postexpositionsprophylaxe für eine Allgemeinmaßnahme gehalten und eine niedrige Viruslast als Freibrief für ungeschützten Verkehr interpretiert. Leider hätten auch die Medien zunehmend weniger Interesse an der Prävention, sagte Pott.

 

Deutliche Kritik übte sie an der Werbung der Pharmaindustrie, die die Erkrankung verharmlose und Therapie-Optimismus propagiere. Das sei »kontraproduktiv«. Sie forderte die Firmen auf, in den Kampagnen die Vorbeugung zu forcieren. Denkbar sei auch das »Schweizer System«, in dem die Industrie unter Verzicht auf eigene Anzeigen die offizielle Präventionsarbeit direkt finanziell unterstützt. Das ist verlockend, zumal immer weniger öffentliche Gelder dafür zur Verfügung stehen.

 

»Gemeinsam gegen Aids. Wir übernehmen Verantwortung. Für uns und andere«: Das Motto des letzten Welt-Aids-Tags sieht Pott als zentrales Motiv für die Präventionsarbeit der nächsten Jahre. Dabei will die BZgA an dem bewährten Modell der Zusammenarbeit von staatlichen Einrichtungen, die die allgemeine Bevölkerung informieren, und nicht staatlichen Selbsthilfeorganisationen wie der Deutschen Aids-Hilfe, die die Hauptgefährdeten ansprechen, festhalten.

 

Zudem sollen auf institutioneller Ebene neue Partner mit ins Boot geholt werden. So könnten gemeinsame Veranstaltungen mit der Jugendfeuerwehr oder Sportverbänden die Resonanz bei Jugendlichen erhöhen. Angesichts der enormen Kosten einer behandlungsbedürftigen HIV-Infektion sollten die Krankenkassen größtes Interesse an der Prävention haben, findet Pott. Umso erfreulicher sei es, dass die Private Krankenversicherung die BZgA langfristig finanziell unterstützt. Inzwischen sei eine neue, breit angelegte Aufklärungskampagne gestartet. Anzeigentexte wie »Zwei Drittel der Singles besitzen Kondome. Das übrige Drittel hat hoffentlich keinen Sex!« sollen vor allem nicht monogam lebende Menschen ansprechen. Neue Kino- und TV-Spots mit rein typographischer Gestaltung vermitteln klare, polarisierende Botschaften. Die Umgestaltung erfasst auch die Aids-Großplakate »mach´s mit«. Hier soll die neue Bildsprache ab Mitte des Jahres mehr Aufmerksamkeit für die Prävention wecken.

 

Virtuelle Partnersuche

 

Präventionsarbeit findet auch im Internet statt. Dank seiner (scheinbaren) Anonymität und leichten Verfügbarkeit nutzen immer mehr Homo- und Heterosexuelle das Medium zur Information und Kontaktanbahnung, berichtete Karl Lemmen von der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) Berlin bei den Aids-Tagen in München. Rund 36 Millionen Deutsche, das sind 55 Prozent der Bürger über 14 Jahren, surfen regelmäßig. Knapp 5 Millionen Singles zwischen 20 und 69 gehen online auf Partnersuche, bei Männern und Frauen über 45 ist es laut einer Umfrage sogar das beliebteste »Dating«-Instrument. Als Kommunikationsmedium läuft das Netz dem Telefon zunehmend den Rang ab.

 

Besonders beliebt ist die virtuelle Partnersuche bei homosexuellen Männern. In westlichen Ländern sollen etwa 70 bis 80 Prozent online gehen, sagte Lemmen. Sie seien in vielen Internetportalen ebenso verlässlich zu erreichen wie in der »wirklichen Szene«. Dies eröffnet neue Wege der Prävention. So schaltet die Deutsche Aids-Hilfe Banner-Anzeigen, bietet interaktive Broschüren, beispielsweise zu sexuell übertragbaren Krankheiten, an oder befragt die Zielgruppe zu speziellen Themen. Ebenso gibt es Projekte zur virtuellen HIV-Prävention auf Landesebene.

 

Auf große Resonanz ist die Online-Beratungsstelle zu Fragen rund um HIV, Hepatitis und STD gestoßen, die die DAH Oktober letzten Jahres eröffnet hat (www.aidshilfe-beratung.de). »Wir waren vom Erfolg überrascht«, gibt Lemmen zu. In vier Monaten habe das virtuelle Team, das aus 20 Beratern aus 13 Einrichtungen in zwölf Städten besteht, über 1000 Anfragen bearbeitet. Bei mehr als 80 Prozent ging es um die Angst vor Ansteckung mit HIV und anderen Geschlechtskrankheiten sowie um den Wunsch nach einem HIV-Test.

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