Das Epigenom als Target |
08.02.2017 09:39 Uhr |
Von Christina Hohmann-Jeddi, Heidelberg / Die meisten Tumoren weisen neben Mutationen auch epigenetische Veränderungen auf, die zur Pathogenese beitragen. Entsprechend intensiv wird nach Wirkstoffen gesucht, die solche epigenetischen Merkmale verändern. Einige Substanzen haben bereits eine Zulassung. Die gesuchte Wunderwaffe sind sie aber nicht.
Will man in der Medizin die Bedeutung bestimmter Gene beurteilen, reicht die reine Genomanalyse nicht aus. Ebenso wichtig ist die Frage, ob beziehungsweise wie stark diese Gene überhaupt abgelesen werden. Um sie zu beantworten, bedarf es einer Analyse des Epigenoms. Die Bedeutung des Epigenoms für die Krebsentstehung war Thema einer Veranstaltung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg.
Methylierung und Verpackung
Die um Histone gewundene DNA ist in den Chromosomen äußerst platzsparend verpackt. Damit sie abgelesen werden kann, muss sie zunächst entpackt werden. Änderungen der Verpackung haben deshalb auch Auswirkungen auf die Ablesehäufigkeit.
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Zur Tumorentstehung tragen sowohl genetische als auch epigenetische Veränderungen bei, die zum Teil auch miteinander wechselwirken. So weisen zum Beispiel kindliche Hirntumoren häufig nur wenige Mutationen auf. Diese befinden sich dann aber oft in Genen, die das Chromatin organisieren – das Material, aus dem Chromosomen bestehen –, was zu erheblichen Veränderungen im Epigenom führt (lesen Sie dazu auch Seite 32). Insgesamt sind bei mehr als 50 Prozent der menschlichen Tumoren Chromatin-organisierende Gene mutiert. Andersherum können zum Beispiel krebsfördernde Gene über epigenetische Veränderungen an- und Tumorsuppressorgene ausgeschaltet werden, ohne dass sie genetisch verändert sind.
Der wichtigste epigenetische Mechanismus ist die Methylierung der DNA. Enzyme der Familie der DNA- Methyltransferasen (DNMT) hängen an Cytosin-Basen der DNA eine Methylgruppe an. Stark methylierte Bereiche des Erbguts werden in der Regel weniger abgelesen als schwach methylierte.
Ein weiterer Regulierungsmechanismus ist die Verpackung des Chromatins. Das Erbgut liegt im Zellkern nämlich nicht nackt vor, sondern in einem Komplex mit Histonen, um die die DNA gewunden ist. Auch diese Proteine können modifiziert werden, indem sie zum Beispiel acetyliert oder phosphoryliert werden, was die Chromatinstruktur ändert und damit die Genaktivität beeinflusst.
Ähnlich wie ein hoher Methylierungsgrad senkt in der Regel auch ein hoher Verpackungsgrad die Ablesehäufigkeit von Genen. Um abgelesen werden zu können, muss die DNA nämlich entwunden werden, wofür sie nicht zu stark verpackt sein sollte. Je nach Kontext können die Modifikationen an der DNA und an den Histonen aber nicht nur repressiv, sondern auch aktivierend wirken.
Einige Enzyme wie die DNMT bringen diese epigenetischen Markierungen an, andere Enzyme wie die BET-Proteine (Bromodomain and Extra- Terminal Motif Proteins) erkennen sie und eine weitere Gruppe von Enzymen kann sie auch wieder entfernen. Hierzu zählen beispielsweise die Histon-Deacetylasen (HDAC). Das Epigenom therapeutisch zu beeinflussen, ist daher auf verschiedenen Ebenen möglich.
DNA-Methyltransferasen gezielt hemmen
Die erste epigenetisch wirksame Substanz, die eine Zulassung erhielt, war der DNMT-Inhibitor 5-Azacytidin (Vidaza®) des Unternehmens Celgene. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat das Medikament 2004 zur Behandlung von malignen Erkrankungen des blutbildenden Systems zugelassen, die europäische Behörde EMA 2008. Das synthetische Nucleotid wird als Antimetabolit in die Erbsubstanz eingebaut, was zur Inaktivierung von DNA-Methyltransferasen führt. Bei einer Zellteilung können somit weniger Methylreste angebracht werden, was in proliferierenden Zellen zu einer Hypomethylierung der Erbsubstanz führt. Dadurch sollen im Tumor fälschlicherweise stillgelegte Gene, etwa Tumorsuppressorgene, wieder aktiviert werden.
Studien zeigen, dass etwa 15 Prozent der behandelten Patienten auf die epigenetische Therapie ansprechen, berichten Dr. Peter A. Jones vom Van Andel Research Institute in Michigan und Kollegen 2016 in einem Übersichtsartikel im Fachjournal »Nature Review Genetics« (DOI: 10.1038/nrg.2016.93). Als weiterer DNMT-Inhibitor mit demselben Wirkmechanismus wie 5-Azacytidin ist Decitabin (Dacogen®) von der EMA bei akuter myeloischer Leukämie und von der FDA bei myelodysplastischen Syndromen zugelassen. Das Dinucleotid Guadecitabin, das sich derzeit in Phase III der klinischen Entwicklung befindet, ist den Autoren zufolge »ein hypomethylierender Wirkstoff der zweiten Generation«. Er habe bessere pharmakologische und pharmakodynamische Eigenschaften als die Wirkstoffe der ersten Generation.
Angriffspunkt Histon-Deacetylase
Eine weitere Klasse von epigenetisch wirksamen Substanzen stellen die Histon-Deacetylase-Inhibitoren dar. Sie unterbinden, dass Acetylreste von den N-terminalen Histonenden entfernt werden, was die Genexpression insgesamt hochreguliert. Dadurch sollen ebenfalls stillgelegte Gene wieder aktiviert werden. Von der FDA wurden die vier Wirkstoffe Belinostat, Panobinostat, Romidepsin und Vorinostat in verschiedenen Indikationen zugelassen. Panobinostat (Farydak®) hat auch eine EU-Zulassung, und zwar als Teil einer Kombinationstherapie zur Behandlung erwachsener Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem multiplem Myelom. Zehn weitere HDAC-Inhibitoren befinden sich in der klinischen Entwicklung.
Weitere Forschung ist nötig, um zu bestimmen, welche Patientensubgruppen von epigenetischen Therapien am meisten profitieren.
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Von einer ganz neuen Wirkstoffgruppe, den BET-Inhibitoren, haben es ebenfalls schon acht Kandidaten in die klinische Prüfung geschafft. Die BET-Proteine BRD2, BRD3, BRD4 und BRDT gehören zu den Proteinen, die epigenetische Markierung erkennen können. Sie binden an acetylierte Histonenden, dienen als Andockstelle für Transkriptionsfaktoren und bewirken somit den Start der Expression. Die BET-Inhibitoren sollen vor allem das Enzym BRD4 hemmen, das in einigen Tumoren für die starke Expression von Onkogenen wie MYC verantwortlich ist. Das scheint zu funktionieren: Die Ergebnisse der präklinischen Studien hätten »beträchtliche Aufregung« ausgelöst, schreiben die Autoren der Nature- Publikation.
Die genannten Wirkstoffe führen zu einer großflächigen Veränderung des Epigenoms. Daneben befinden sich auch Substanzen in der klinischen Entwicklung, die einzelne Defekte in Chromatin-kontrollierenden Genen in Tumoren gezielt angehen. So ist in Lymphomen die Histon-N-Methyltransferase EZH2 durch Mutation aktiviert. Durch einen EZH2-Inhibitor lassen sich Zelllinien mit dieser Mutation gezielt abtöten. Mit diesem und anderen zielgerichteten Wirkstoffen befänden sich insgesamt mehr als 30 epigenetisch wirksame Substanzen in der klinischen Entwicklung, schreiben die Autoren, zudem würden regelmäßig neue Chromatin-kontrollierende Enzyme als weitere Targets entdeckt.
Nach Meinung der Autoren wird die Zukunft der epigenetischen Therapien, vor allem zur Behandlung von soliden Tumoren, aber in einer rationalen Kombination entweder mit anderen epigenetisch wirksamen Substanzen oder anderen Krebstherapien wie etwa der Chemo- oder Immuntherapie liegen. Diese Ansicht vertrat in Heidelberg auch Professor Dr. Olaf Witt, Leiter der Abteilung Pädiatrische Onkologie am DKFZ.
Kein Einsatz mit der Gießkanne
»Epigenetische Therapien sind nur moderat effektiv«, sagte Witt. In Studien profitiert – wie bei den meisten Arzneimitteln – nur eine Subgruppe der Patienten. Ein Einsatz mit der Gießkanne sei daher nicht zu vertreten. Auch bei epigenetischen Therapien müsse daher das Prinzip der personalisierten Medizin angewendet werden: Es sollten nur Patienten behandelt werden, die eine bestimmte epigenetische Veränderung zeigen. Bislang fehlten aber Biomarker, die ein Ansprechen vorhersagen können. Hier sei weitere Forschung nötig.
Mittlerweile gebe es auch vielversprechende Ansätze, unterschiedliche Therapien sinnvoll zu kombinieren. »Es gibt erste Hinweise beim Mausmodell des Melanoms, dass eine Kombination aus HDAC-Inhibitor und PD-1-Blockade nützlich ist.« Bei Hochrisiko-Medulloblastom-Patienten hatte Witts Arbeitsgruppe entdeckt, dass sowohl das Onkogen MYC als auch das Enzym HDAC-2 überexprimiert werden. »Hier wäre eine doppelte Blockade hilfreich.« /