Ostdeutsche und Frauen im Nachteil |
04.02.2015 09:41 Uhr |
Von Annette Mende, Berlin / Für die Überlebenschancen eines Herzpatienten spielt es eine große Rolle, wo er in Deutschland wohnt, und ob er ein Mann ist oder eine Frau. Diese Unterschiede sind seit Jahren bekannt. Besser macht das die Sache allerdings nicht.
In Deutschland sind die Überlebenschancen von Patienten mit einem akuten Herzinfarkt nach wie vor regional sehr unterschiedlich. In den ostdeutschen Bundesländern ohne Berlin ist die Sterblichkeit zum Teil mehr als doppelt so hoch wie in den westlichen Spitzenreitern. »Das ist leider sehr eindrucksvoll«, sagte Professor Dr. Thomas Meinertz bei der Vorstellung des Deutschen Herzberichts 2014 in Berlin. Er ist Vorsitzender der Deutschen Herzstiftung, die den unter www.herzstiftung.de/herzbericht zu bestellenden Report jährlich zusammen mit mehreren kardiologischen Fachgesellschaften erstellt.
Herzerkrankungen sind nach wie vor die häufigste Todesursache in Deutschland. Im Jahr 2013 erlagen ihnen etwa 355 000 Menschen.
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2012 starben in Brandenburg 105 von 100 000 Einwohnern an einem Herzinfarkt, in Schleswig-Holstein nur 46. Weitere Bundesländer mit überdurchschnittlich hoher Sterblichkeit sind Sachsen-Anhalt (103), Sachsen (94), Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen (je 79) sowie das Saarland (78). Besonders niedrig ist die Sterbeziffer außer in Schleswig-Holstein in Hamburg (52), Hessen (54), Berlin (56), Nordrhein-Westfalen (58) und Baden-Württemberg (60). Ein Zusammenhang mit dem durchschnittlichen Lebensalter der Bevölkerung besteht, kann aber die Abweichungen nicht vollständig erklären: »In der altersbereinigten Darstellung werden die Unterschiede geringer, sind aber immer noch alles andere als trivial«, so Meinertz.
Über die Gründe für diese schon seit Jahren beobachtete Ungleichheit lässt sich nur spekulieren. Meinertz nannte neben einer geringeren Ärztedichte – in Bremen versorgt ein Kardiologe 18 783 Einwohner, in Thüringen kommt ein Herzspezialist auf 36 014 Einwohner – insbesondere das Gesundheitsbewusstsein für Prävention und den sozioökonomischen Status der Bevölkerung. Menschen in Ländern mit vergleichsweise hoher Herzinfarkt-Sterblichkeit rauchten häufiger, hätten eine schlechtere Schulbildung und seien Ärzten gegenüber misstrauischer als dort, wo die Sterblichkeit niedriger ist. »Auch die notärztliche Versorgung ist schlechter, und das liegt nicht nur an der überwiegend ländlichen Gegend«, so Meinertz.
Insgesamt stieg die Sterblichkeit an koronarer Herzkrankheit und Herzinfarkt 2012 nach jahrelang rückläufigen Zahlen erstmals leicht an. »Offenbar haben wir hier ein Plateau erreicht. Diesen Trend sehen wir in allen westlichen Industrienationen«, sagte Professor Dr. Christian Hamm, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung. Einen immer größeren Anteil an der kardiovaskulären Gesamtsterblichkeit haben Herzrhythmusstörungen und Herzklappenkrankheiten, was laut Hamm eine Folge der alternden Gesellschaft ist.
Risikofaktor weibliches Geschlecht
Außer dem Wohnort beeinflusst noch ein weiterer Faktor die Überlebenschancen von Herzpatienten in Deutschland: das Geschlecht. Frauen sterben deutlich häufiger als Männer an Herzkrankheiten. Auch das ist keine neue Entwicklung, doch eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. An Vorhofflimmern und -flattern starben 2012 bundesweit 10 604 Frauen, aber nur 5196 Männer. Herzinsuffizienz war bei 30 850 weiblichen gegenüber 15 560 männlichen Patienten die Todesursache. Hamm dazu: »Wir haben deutlich mehr Erfahrung mit männlichen Patienten, müssen aber feststellen, dass sich diese nicht ohne Weiteres auf Frauen übertragen lässt.«
So hätten Frauen meist feinere Blutgefäße als Männer, was etwa bei perkutanen Koronarinterventionen (PCI) oder Bypass-Operationen Probleme bereite. Und auch in der Verstoffwechslung von Medikamenten gebe es Geschlechtsunterschiede. »Da in der Regel zwei Drittel der Teilnehmer an klinischen Medikamentenstudien Männer sind, wissen wir nicht genug darüber, wie die Dosis bei Frauen angepasst werden sollte«, sagte der Kardiologe. Erfahrungen aus der Praxis zeigten, dass etwa bei Digitalis, Betablockern oder ACE-Hemmern durchaus unterschiedliche Dosierungen für Männer und Frauen gelten sollten. Das werde aber noch zu selten berücksichtigt.
Erfolge bei angeborenen Herzfehlern
Die Patientengruppe, in der es in den vergangenen Jahren die größten Fortschritte zu vermelden gab, sind Kinder mit angeborenen Herzfehlern. »Das ist eine Erfolgsgeschichte«, sagte Professor Dr. Brigitte Stiller, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie.
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Herzfehler seien die häufigste angeborene Fehlbildung. Hier gebe es den prozentual stärksten Rückgang der Sterbeziffer, verglichen mit allen anderen Herzerkrankungen. Im Jahr 2012 starben von 21 600 Kindern mit angeborenen Herzerkrankungen 423, also knapp 2 Prozent.
Dank der stetigen Weiterentwicklung der Operationstechniken – ein Katheter-gestützter Herzklappen-Ersatz ist mittlerweile schon ab einem Gewicht des Patienten von 18 bis 20 kg möglich – erreichen heute mehr als 90 Prozent der betroffenen Kinder das Erwachsenenalter. Dadurch ist eine neue Patientengruppe entstanden: Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EMAH), von denen knapp 200 000 in Deutschland leben. Sie haben spezifische Probleme, die mit denen anderer erwachsener kardiologischer Patienten nicht vergleichbar sind.
Auf die Betreuung dieser Patienten spezialisiert sind 15 überregionale EMAH-Zentren, die aber relativ ungleich auf Deutschland verteilt sind. Die Versorgungs-Landkarte weist insbesondere im Osten große Lücken auf, weshalb nicht alle Patienten in diesen Zentren versorgt werden können. Kinderkardiologen, die die Patienten teilweise schon lange begleiten, könnten diese Lücke schließen, dürfen die Behandlung im Erwachsenenalter aber nicht weiter abrechnen, selbst wenn sie eine EMAH-Zusatzqualifikation haben. Dagegen brauchen Erwachsenen-Kardiologen dafür keinen Nachweis entsprechender Kenntnisse zu erbringen. »Hier besteht politischer Handlungsbedarf«, so Stiller. /