Willkommen in der Plastikwelt |
05.02.2014 10:00 Uhr |
Von Yuki Schubert, Berlin / Große Teile im Ozean sind schon heute zu einer Suppe aus Plastikmüll geworden. Die türkischstämmige Künstlerin und Forscherin Pinar Yoldas stellt die Frage, welche Lebensformen sich aus dem stark verunreinigten Ökosystem der Ozeane entwickeln könnten.
Sobald die Türen der Schering Stiftung aufgehen, befindet sich der Besucher der Ausstellung »An Ecosystem of Excess« in einem Raum, der einerseits wie ein farbenfrohes Labor und andererseits wie ein Aquarium seltener Meeresbewohner wirkt. Diese Mischung aus Naturkundemuseum, Labor, aber auch Design wollte die Medien- und Wissenschaftsdoktorandin Pinar Yoldas erschaffen. Hier befinden sich unter anderem Reagenzgläser mit haarigen Plastik-Insekten sowie große, hell beleuchtete Wassercontainer, gefüllt mit futuristisch anmutenden, künstlichen Organsystemen.
Die pazifische Ballonschildkröte bahnt sich ihren Weg durch den transparenten Mikroplastiksand.
Fotos: Pinar Yoldas/Schering Stiftung
Die Arbeiten von Pinar Yoldas basieren auf der Entdeckung des sogenannten Great Pacific Garbage Patch, einem Teppich aus Millionen Tonnen von Kunststoffmüll im Nordpazifik, der in etwa der Fläche Mitteleuropas entspricht. Nach Aussage eines seiner Entdecker, Kapitän Charles J. Moore, habe die Menschheit mit ihrem nicht nachhaltigen Konsumverhalten den Ozean in »eine Plastiksuppe« verwandelt. Yoldas nimmt diesen Ausspruch zum Anlass, um mit ihren Arbeiten ein neues Ökosystem aus Organischem und Synthetischen zu schaffen.
Die ausgestellten Objekte bilden eine zukünftige Lebenswelt ab, eine Welt, die von der Plastikproduktion und Wegwerfkultur der Menschen betroffen ist, jedoch den Menschen ausschließt. Die künstlichen Organsysteme können Plastik aufnehmen, verdauen, ausscheiden und umwandeln, beispielsweise der »Stomaximus«, der die Fähigkeit hat, Plastik als Nahrung wahrzunehmen und mithilfe spezieller Bakterien zu zersetzen. Inspiration fand Yoldas unter anderem in den Fotografien von Chris Jordan. Er fotografierte tote Albatrosse, deren Mägen mit Plastikteilchen gefüllt waren. In der Vorstellung der Künstlerin nehmen die Vögel die Farbe von Markenprodukten wie Coca-Cola in ihrem Gefieder auf. Die Tiere nutzen Müll und Giftstoffe beinahe kreativ – für ein neu pigmentiertes, ästhetisches Äußeres. Auch ein PVC-Wurm und eine Ballonschildkröte sind Teil der Ausstellung.
Stomaximus: Das künstliche Vielkammer- Verdauungsorgan kann Nylon, Polyurethan und PET verstoffwechseln.
In Realität verenden viele Schildkröten, da sie den bunten Luftballons, die am Strand zurückgelassen wurden, nicht widerstehen können, sagte Yoldas. Daneben greift die Künstlerin mit ihren Objekten die mittlerweile schon weitverbreitete Insektenpopulation auf dem Ozean auf. Durch den Plastikteppich erhalten Insekten schon heute Brutstätten für ihre Eier. Auch Bakterien besiedeln den Kunststoffmüll und bilden Biofilme. Teilweise sollen sie in der Lage sein, Polymere zu zersetzen sowie umzuwandeln und so zur Vernichtung von Plastik beizutragen. Dafür gebe es bisher aber keinen haltbaren wissenschaftlichen Beweis, so Yoldas.
Plastik und Plastikmüll sind überall, in der Umwelt und allen Organismen auf der Erde. Einige Lebensformen schaffen es heute schon, den Kunststoff für ihr Überleben zu nutzen. Yoldas führt mit ihren Werken die Allgegenwärtigkeit von Plastik auf eine neue Ebene. Alles Leben entspringt aus dem synthetischen Material als Resultat einer sogenannten modernen Lebensweise. Der erhobene Zeigefinger bleibt aber weitestgehend an seinem Platz. Vielmehr wird versucht, mit viel Sinn fürs Detail, das Problem Plastikverschmutzung erfahrbar zu machen. /
24. Januar 2014 bis 4. Mai 2014
täglich 12 bis 19 Uhr (außer Di u. So)
Schering Stiftung, Unter den Linden 32-34, 10117 Berlin