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Paralympics 2010

Vancouver im Visier

09.02.2010  13:29 Uhr

Von Sven Siebenand / In wenigen Wochen starten die zehnten paralympischen Winterspiele in Vancouver. Große Medaillenhoffnung aus deutscher Sicht ist die blinde Biathletin und Langläuferin Verena Bentele. Die PZ hat sie im Trainingslager besucht und nach ihren Zielen befragt.

»Bronze, Silber und Gold hab ich nie gewollt.« Diesem Songtext aus einem bekannten Schlagerlied kann Verena Bentele so gar nicht zustimmen. Nur teilnehmen in Vancouver reicht ihr nicht aus. »Ich will bei den Paralympics auch auf Medaillenjagd gehen«, sagt die 27-Jährige im Gespräch mit der PZ. Kein utopisches Ziel sollte man denken. Immerhin hat Bentele schon insgesamt 20 Medaillen bei Weltmeisterschaften und Paralympischen Spielen gewonnen. Allerdings war der Start in diese Wintersaison mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor behaftet. Bei einem Rennen Anfang 2009 war die Münchnerin nämlich so schwer gestürzt, dass ihre Karriere beendet schien.

Aber selbst ein Kreuzbandriss und der Verlust einer Niere konnten Bentele nicht vom Leistungssport abhalten. Schon Mitte 2009 informierte sie die Fans auf ihrer Website, dass sie wieder mit dem Training beginne. Neuer Begleitläufer ist der ehemalige Skilangläufer Thomas Friedrich, den sie bestens kennt. Denn Friedrich hat mehrere Jahre Verenas ebenfalls blinden Bruder Michael durch die Loipen geleitet.

 

»Vor Saisonbeginn wusste ich nicht so genau, wo ich stehe und wie stark die anderen sind«, verrät Bentele. Nach den ersten Wettbewerben des Winters im norwegischen Sjusjoen weiß sie es. Vier Rennen, vier Siege. Diese Fakten sprechen für sich. »Das erste Rennen, 15 Kilometer im klassischen Stil, wollte ich ja eigentlich noch auslassen«, gibt Bentele zu. Doch der Thomas habe nicht locker gelassen und sie schließlich von einem Start in der wenig geliebten Disziplin überzeugt. Im Nachhinein war das natürlich die richtige Entscheidung, so Bentele.

Dass Bentele und Friedrich ein gut aufeinander eingestelltes Team sind und die Chemie stimmt, merkt man sofort, wenn man die beiden trifft. Vertrauen zu ihrem Begleitläufer ist für Bentele nach dem schweren Sturz natürlich wichtiger denn je. In der Loipe rennt Friedrich immer im kurzen Abstand voraus, ruft zur Orientierung permanent »Hopp« und sagt den Streckenverlauf an. »Links auf neun« ruft er zum Beispiel vor einer 90-Grad-Kurve nach links. In der Regel ist das ständige Gerufe nach hinten für ihn kein Problem, so Friedrich. Nur wenn man sowieso schon erkältet ist, könne durchaus mal die Stimme versagen. »Um die Stimmbänder zu schonen, erzähle ich Verena auch so wenig wie möglich über die schöne Landschaft rund um die Strecke,« witzelt Friedrich.

 

»Größer als drei Meter lassen wir den Abstand zwischen uns möglichst nicht werden, damit ich vom Windschatten profitieren kann«, sagt Bentele. Allein dadurch sei eine Menge Zeit gutzumachen. Zudem laufe man als blinde Athletin umso offensiver, je dichter man an seinem Begleitläufer dran ist. An schwierigen und steilen Abfahrten koppeln sich die beiden aneinander wie ein Güterzug. Bentele greift das Ende des Skistocks ihres Guides und lässt sich sicher durch die Gefahrenzone lotsen. In Vancouver will sie zwar dicht an ihrem Begleitläufer dran sein, die anderen Läuferinnen sollen aber möglichst weit weg sein – am besten hinter ihr. Ingesamt fünf Starts hat die Sportlerin in Kanada geplant. Um sich möglichst gut vorzubereiten, werde sie schon einige Tage vorher dort anreisen, um die Strecken im Skiort Whistler genau unter die Lupe nehmen zu können.

 

Der letzte Leistungstest vor den Paralympics sollen die Deutschen Meisterschaften in Isny und Nesselwang sein, in der Woche davor trifft Bentele beim Weltcup in Oberried im Schwarzwald auf die internationale Weltklasse. Die schärfsten Konkurrentinnen kommen aus Weißrussland, Kanada und Russland. »Gerade in Russland ist für den Behindertensport einiges getan worden«, sagt Bentele. Bei den letzten Paralympischen Winterspielen 2006 in Turin lag Russland im Medaillenspiegel mit 13 Siegen klar vorne. »In Russland ist die Prämie für den Gewinn einer Goldmedaille bei den Paralympics genauso hoch wie bei Olympia«, informiert Bentele.

 

Im Vergleich zu Sportlern ohne Handicap sei die Höhe der finanziellen Unterstützung behinderter Sportler und die Medienpräsenz hierzulande weitaus geringer. Umso mehr freut sich Bentele darüber, dass auch die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände in das Sponsoring des Behindertensports ein- gestiegen ist, indem sie Nationaler Förderer des Deutschen Behindertensportverbandes geworden ist. Klasse findet sie es auch, dass sich die ABDA immer wieder Aktionen einfallen lässt und etwa den Blinden-Schießstand, zum Beispiel auf Messen oder bei Parteitagen, aufbaut. Das ist für beide Seiten gut, so Bentele. Zum einen werde der Behindertensport damit bekannter gemacht, zum anderen erfahre auch die Öffentlichkeit so vom Engagement der Apothekerschaft. / 

Paralympics 2010

Rund 600 paralympische Athletinnen und Athleten aus mehr als 40 Nationen kämpfen vom 12. bis 21. März 2010 bei den Paralympischen Winterspielen in Vancouver um Gold, Silber und Bronze. In den fünf Sportarten Ski alpin, Langlauf, Biathlon, Rollstuhl-Curling und Sledge-Eishockey werden die Sportler in insgesamt 64 Wettbewerben auf ­Medaillenjagd gehen.

 

Erstmals hat sich die deutsche Mannschaft im Curling-Wettbewerb qualifiziert. Es gibt zwei wichtige Unterschiede zum Curling der Sportler ohne Handicap. Erstens sitzen die Sportler im Rollstuhl, und zweitens wird nicht mit einem Besen vor den Steinen hergeschrubbt.

 

Neben dem fünfköpfigen Curling-Team starten zehn Athleten beim Ski alpin und sieben beim Langlauf beziehungsweise Biathlon. Die deutsche Sledge-Eishockeymannschaft konnte sich leider nicht für Vancouver qualifizieren. Die Spielregeln bei diesem Wettbewerb entsprechen weitgehend denen des Eishockeys. Ein Unterschied besteht in der Fortbewegung: Sledge-Eishockey-Spieler bewegen sich nicht auf Schlittschuhen, sondern auf kleinen, speziellen Schlitten. Bei den letzten Paralympics 2006 in Turin hat die deutsche Mannschaft insgesamt 18 Medaillen gewonnen, acht davon waren golden.

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