Reden ist Gold |
30.01.2009 14:22 Uhr |
Die Definition im Brockhaus ist kurz: Ein psychisches Trauma ist eine psychische oder nervöse Schädigung aufgrund seelischer Belastungen. Diese Schädigungen äußern sich sehr unterschiedlich. Fachleute unterscheiden vor allem zwei Arten von Traumatisierungen: die kurz andauernden, zum Beispiel durch Unfälle, Naturkatastrophen oder auch einmalige Kriegserlebnisse. Komplexe Traumatisierungen sind hingegen durch Ereignisse charakterisiert, die sich über lange Zeit hinweg wiederholen, beispielsweise seelische, körperliche oder sexuelle Gewalt. Folge sind häufig die sogenannten posttraumatische Belastungsstörungen. Zu beobachten sind hierbei immer wieder Symptome wie Schlafstörungen, Angst- und Panikzustände, Depressionen, aber auch unerklärliche Schmerzen. Wie gravierend sich die Folgen einer Katastrophe auswirken, hat immer auch mit den Vorerfahrungen, der Persönlichkeitsstruktur und den angeborenen und erworbenen Fähigkeiten, Stress zu bewältigen, zu tun. Außerdem spielt die Qualität von Bindungserfahrungen eine große Rolle. Leben Menschen in stabilen, unterstützenden Beziehungen oder haben sie als Kinder verlässliche Bindungserfahrungen gemacht, scheinen sie vor Traumata besser geschützt zu sein. Sie sind nicht so leicht verletzbar und in Krisen belastbarer. Wenn es ihnen darüber hinaus gelingt, die bedrohlichen Erlebnisse in Worte zu fassen und im Gespräch »nachzuverdauen«, kann die traumatische Situationen in vielen Fällen gut verarbeitet werden.
Aber es braucht Zeit, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. In Deutschland arbeitet Khalik mit Flüchtlingskindern etwa ein bis eineinhalb Jahre, so lange zahlt hier auch die Krankenkasse. »Bei kriegstraumatisierten Kindern kommt man sehr schnell an das Trauma heran. Wenn die äußere, vitale Bedrohung vorbei ist und die Eltern nicht verloren gegangen sind, ist ein Heilungsprozess möglich. Dreiviertel der Therapie ist geschafft, wenn Kinder Vertrauen bekommen und beginnen zu reden«, sagt Khalik. Ob die »westliche« Psychotherapie so ohne Weiteres auf die arabische Welt übertragbar sein würde, war zu Beginn des Projekts »Children of Baghdad« für den Arzt dennoch die Frage. Das Curriculum ist angelehnt an das deutsche sowie das europäische Curriculum für psychotherapeutische Ausbildung, unter Berücksichtigung der kulturellen Dynamik der arabischen Gesellschaft. 90 Prozent seiner »Schüler« waren von dieser Methode dennoch nicht überzeugt. Aber nur zu Beginn. Sehr schnell erfuhren die oft selbst kriegstraumatisierten Ärzte während der Ausbildung, dass Reden tatsächlich helfen kann. Hier fanden auch die Erwachsenen zum ersten Mal in ihrem Leben einen geschützten Ort, an dem sie frei und ohne Angst über Erlebtes sprechen konnten.
Die Überwindung kultureller Schranken, starre Bürokratie der Institutionen und Chaos im krisengeschüttelten Land stellten das Projekt oft auf eine harte Probe. »Das eigentliche Problem war und ist aber die Sicherheit«, sagt Khalik. An den zweimal jährlich stattfindenden Treffen der insgesamt dreijährigen Fortbildung teilzunehmen, war für die Ärzte, die nicht nur aus dem Irak, sondern auch aus Syrien und Jordanien kamen, schwierig, ja, lebensbedrohlich. »Wir haben uns in Damaskus getroffen, dann in Amman. Dort gab es einen Anschlag und wir sind nach Syrien gegangen und nach Anschlägen dort weiter nach Akaba«, erinnert sich Khalik. Schließlich kam Riedesser auf die Idee, die Ausbildung nach Antalya in die Türkei zu verlegen. Mit einem Zertifikat der Universität Hamburg schlossen hier 20 Ärzte Ende 2007 ihre psychotherapeutische Fortbildung ab. Seitdem arbeiten sie mit traumatisierten Kindern an Krankenhäusern und bilden dort selbst wieder Kollegen aus. Der Bedarf ist immens, auch wenn Psychotherapie nach wie vor stigmatisiert wird. Die ärztlichen Behandlungen im Krankenhaus sind frei für die Patienten, und so sitzen in der Sprechstunde eines einzigen psychotherapeutisch arbeitenden Arztes manchmal über 70 Kinder. Damit sie zur Ruhe kommen, werden sie zunächst medikamentös therapiert. Das psychotherapeutische Ziel sind 60-minütige Gespräche mit den kleinen Patienten, aber davon ist die Realität noch weit entfernt. Im Irak gab es zu Beginn des Projekts nur 70 Psychiater, ausschließlich ausgebildet für die Arbeit mit Erwachsenen. Mithilfe von »Children of Baghdad« sind 20 Kinder- und Jugendpsychotherapeuten hinzugekommen - ein Tropfen auf den heißen Stein eines Landes mit 27 Millionen Einwohnern, davon die Hälfte unter 18 Jahre.
Die jahrelange Arbeit hat jedoch etwas in Bewegung gebracht. Das Projekt wird nicht nur von der irakischen Regierung, dem IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs) und der Stiftung »Children for Tomorrow« unterstützt. Auch die Ärzte wollen ihr Wissen weitergeben, unter ihnen Hochschulprofessoren, die Studienprogramme und Lehrgänge zum Thema »Trauma-Arbeit« mit Kindern an den Universitäten einrichten. Auf einer jährlichen Konferenz an der Universität von Damaskus treffen sich die Teilnehmer von »Children of Baghdad« darüber hinaus alljährlich zum Erfahrungsaustausch, zu Vorträgen und Supervisionen. »Peu à peu entwickelt sich etwas«, freut sich Khalik. Im November 2009 beginnt ein neuer dreijähriger Fortbildungszyklus.
Die Zahl der bedürftigen Kinder in der Region wächst weiter. Verstärkt treibt der Verein deshalb das 2003 auf Eis gelegte Projekt eines großen Behandlungszentrums in Bagdad voran, wo in Gruppen- und Einzeltherapien deutlich mehr traumatisierten Kindern als bisher geholfen werden kann: damit ihre Psyche kein innerer Kriegsschauplatz mehr ist.