Stachel im Fleisch der Pharmaindustrie |
29.01.2008 13:58 Uhr |
Stachel im Fleisch der Pharmaindustrie
Von Werner Kurzlechner
Der Stufenplanbeauftragte ist eine zentrale Figur für die Arzneimittelsicherheit. Jede Firma, die Medikamente auf den Markt bringt, muss einen solchen Mitarbeiter anstellen. Auch Apotheker stehen in der Pflicht. Nicht alle melden unerwünschte Arzneimittelwirkungen an die Kontrollbehörde, monieren Fachleute.
»Ein Stachel im Fleisch der Pharmaindustrie«, so beschreibt Privatdozent Dr. Rudolf Schosser die Funktion des Stufenplanbeauftragten. Schosser ist medizinischer Direktor bei Baxter Deutschland, einem Pharma-Hersteller, der zum US-amerikanischen Baxter-Konzern gehört. Schosser hatte bei Baxter Deutschland zehn Jahre lang das Amt des Stufenplanbeauftragten inne.
Europaweit einheitliche Meldepflicht
Lebhaft berichtet er in einem Workshop des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) in der vergangene Woche vom völligen Unverständnis in den USA über diese seit 1988 hierzulande gesetzlich vorgeschriebene Konstruktion. In jeder Firma, die Arzneimittel auf den Markt bringt, muss ein persönlich haftender Angestellter auf der Gehaltsliste stehen, der zugleich gegenüber den Kontrollbehörden in der Pflicht steht: dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie bei Biopharmaka, Impfstoffen und Blutprodukten dem Paul-Ehrlich-Institut.
An diese Institutionen muss der Stufenplanbeauftragte neue Erkenntnisse über unerwünschte Arzneimittelwirkungen spätestens 15 Tage nach Eingang elektronisch weiterleiten. Diese Meldeverpflichtung ist inzwischen innerhalb der Europäischen Union (EU) einheitlich geregelt.
Diese niedrigste, gleichwohl wichtige Stufe der Pharmakovigilanz berührt die Arbeit der Apotheker in einem empfindlichen Punkt. Schließlich hängt vom Funktionieren dieser Mechanismen der laufenden Überwachung der Sicherheit von Fertigarzneimitteln ab, ob den Patienten Medikamente mit gutem Gewissen verkauft werden können. Das System hat sich weithin bewährt, dennoch muss stetig daran gefeilt werden. Und das nicht nur, weil neuerdings ein EU-Risiko-Management-Plan schon beim Antrag der Zulassung ein proaktives Konzept zur Minimierung von Risiken vorschreibt.
Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, kennt als unabhängiger Beobachter durchaus Fälle, in denen Reaktionen zu lange unterbleiben: von Änderungen auf dem Beipackzettel über eine Verschreibungspflicht bis hin zur Rücknahme der Zulassung.
Der Onkologe nennt als Beispiel aus eigener Anschauung ein Tumormittel, das zu einer schweren Unterfunktion der Schilddrüse führen kann, aber noch nicht vom behördlichen Bannstrahl getroffen wurde. Diese Mängel betreffen die manchmal schwierige Bewertung von gemeldeten Informationen und die Suche nach adäquaten Maßnahmen. Die Wirksamkeit des Spontanmeldesystems gelangt aber schon vorher an einen wunden Punkt, an dem unter anderem auch mehr Engagement der Apotheker gefragt ist.
Schosser und Ludwig üben hier einmütig Kritik: Ärzte und Apotheker kommen der in ihren Berufsordnungen festgelegten Meldepflicht nur unzureichend nach. In der Praxis meldet das Gros überhaupt keine Verdachtsfälle; einige übereifrige Vertreter ihres Fachs leiten hingegen eine Fülle unwesentlicher Informationen weiter. Weder eine Ebbe womöglich wesentlicher noch eine Flut unnützer Beobachtungen spülen den Kontrolleuren allerdings die Signale zu, die die Arzneimittelsicherheit zu verbessern helfen. Die Stufenplanbeauftragten stützen sich deshalb vor allem auf die Informanten, die sie als zuverlässig herausgefiltert haben.
1041 Alarmrufe aus der Apotheke
Im Jahr 2006 meldete die Pharmaindustrie 30.090 Verdachtsfälle an die Behörden, die Arzneimittelkommission der Ärzte 2037, jene der Apotheker 1041, insgesamt waren es 41.369. Diese Alarmrufe haben eine zentrale Bedeutung, weil Medikamente bereits nach Tests an 3000 Personen zugelassen werden, obwohl zur Feststellung seltener Nebenwirkungen zehnmal so viele nötig wären.
Das viel diskutierte Modell, einer vorläufigen Zulassung nach bisherigem Verfahren erst nach weiteren Studien eine endgültige folgen zu lassen, ist noch Zukunftsmusik. Umso mehr kommt es aktuell auf Transparenz an.
Im Internet können sich Apotheker auf den Seiten der BfArM oder der Europäischen Arzneimittelagentur EMEA schneller denn je über neue Erkenntnisse kundig machen. Die in den Briefen mit der Roten Hand kommunizierten wichtigen Mitteilungen über Arzneimittel flattern zwar allen Apothekern ins Haus, aber nicht sämtlichen Ärzten.
Der BPI müht sich derzeit, seine Ärztedatenbank zu vervollständigen. Mit der Arbeit der Stufenplanbeauftragten ist man im BPI übrigens sehr zufrieden. Dafür spreche, dass die gesetzlich mögliche Geldbuße von 25.000 Euro bei Versäumnissen bislang noch nie verhängt worden sei.