Entlassmedikation verbesserungswürdig |
28.01.2008 14:10 Uhr |
Entlassmedikation verbesserungswürdig
Von Veit Eck
Zu umfangreich, zu teuer, zu schlecht abgestimmt. Die Entlassmedikation der Krankenhäuser steht bei vielen niedergelassenen Ärzten und den Krankenkassen in der Kritik. Dabei gibt es gute Konzepte, um diese Schnittstelle zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich zu verbessern.
Wenn ein Patient aus dem Krankenhaus entlassen wird, muss ihm meist ein niedergelassener Arzt sehr rasch ein Rezept ausstellen. Dabei kann die mangelnde Abstimmung an der Schnittstelle zwischen der stationären und ambulanten Versorgung unangenehme Folgen haben. Dazu zählen vor allem Compliance-Probleme beim Patienten und mögliche unerwünschte Neben- und Wechselwirkungen infolge von Arzneimittelumstellungen.
Besonders häufig an der Entlassmedikation aus dem Krankenhaus kritisieren niedergelassene Ärzte einen Mangel an Informationen im Arztbrief. In manchen Fällen fehlen darin Angaben zur Dosierung der verordneten Arzneistoffe. Rückfragen des weiterbehandelnden Arztes können umständlich und langwierig sein, da der Verordner nicht greifbar ist. Den Patienten droht ein Abriss in der Versorgung und der Verlust der Arzneimittelwirkung. Zudem werden in den Krankenhäusern oft zu viele Arzneimittel verordnet. Das kann zu mitunter schwer erkennbaren Wechselwirkungen führen und Patienten überfordern, besonders wenn ihnen kein häuslicher Pflegedienst mit Hilfe zur Seite steht. In den Krankenhäusern stellt das Pflegepersonal die Medikamente und achtet auf die korrekte Einnahme. Diese Bedingungen fehlen, sobald der Patient wieder zu Hause ist. Wann er welches Arzneimittel einnehmen soll, ist ihm manchmal völlig unklar. In den Kliniken kommen häufig auch nicht verschreibungspflichtige Medikamente zum Einsatz, die ambulant nicht mehr zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnungsfähig sind. Über diese unerwarteten späteren Kosten werden die Patienten in den Kliniken nur selten informiert.
Viele Originalia, kaum Generika
Auch werden Patienten in der Klinik oft auf teure Markenpräparate eingestellt, die die Herstellerunternehmen zu einem symbolischen Preis an die Krankenhausapotheke liefern. In den Kliniken liegt der Anteil von Generika viel niedriger als im ambulanten Bereich, der von Me-too-Präparaten dagegen weitaus höher. Bei Letzteren handelt es sich um chemische Abwandlungen von bereits eingeführten Wirkstoffen mit einer geringen therapeutischen Relevanz. In den Arztbriefen, die Patienten bei der Entlassung aus dem Krankenhaus erhalten, werden oft Handelsnamen anstatt der Wirkstoffe genannt. Doch die Weiterverordnung vieler Originalpräparate ist für den niedergelassenen Arzt unwirtschaftlich, besonders wenn preisgünstige Generika zur Verfügung stehen. Infolge einer teuren Entlassmedikation droht ihm sogar ein erhöhtes Regressrisiko. Denn die jährlichen Kosten für die ambulante Arzneimittelversorgung sind zwischen den Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen fest vereinbart. Den einzelnen Ärzten wird ein individuelles Richtgrößenvolumen zugewiesen, und die Überschreitung sanktioniert.
Kliniken in der Pflicht
Das Krankenhaus ist gefordert, Modelle für eine bessere Entlassmedikation zu entwickeln. Von den Ergebnissen könnten alle Seiten profitieren: Der niedergelassene Arzt durch eine wirtschaftlichere Arzneitherapie, das Krankenhaus durch eine Optimierung seiner Ressourcen und der Patient durch eine sichere und unkomplizierte Versorgung. Doch gibt es bisher nur wenige Ansätze zur Entwicklung einer gemeinsamen Schnittstelle stationär/ambulant. Als Bespiel kann das Modell Heicare dienen, das 2005 von der Uniklinik Heidelberg und niedergelassenen Ärzten entwickelt wurde. Unter anderem wird bei der stationären Einweisung eines Patienten seine bisherige hausärztliche Medikation elektronisch an das Krankenhaus übermittelt. So lässt sie sich gegebenenfalls fortführen oder auf Alternativen umstellen, die in der Krankenhausapotheke vorrätig sind. Bei Entlassung des Patienten erfolgt eine Rückübersetzung auf die besonderen Verhältnisse unter ambulanten Bedingungen. Eine weitere Kooperation besteht seit 2007 in Remscheid zwischen dem SANA Klinikum und niedergelassenen Ärzten am Ort. Dabei wurde für die kardiovaskuläre Therapie eine gemeinsame Arzneimittelliste entwickelt.
Als erster Schritt auf dem Weg zur Schnittstelle sollte jedes Krankenhaus bestrebt sein, ein geeignetes Konzept für die Entlassmedikation zu entwickeln. Dazu zählen eine strukturelle Überarbeitung der hauseigenen Arzneimittelliste und die Arztbriefschreibung ausschließlich mit dem internationalen Freinamen. Im Mittelpunkt aller Überlegungen steht immer die Optimierung der Arzneimitteltherapie und des Einsatzes der Ressourcen. Bei der Entwicklung der Konzepte ist pharmaökonomisches Wissen erforderlich. Dazu gehören Kenntnisse des Generika- und Festbetragsmarktes in Deutschland. Es ist hilfreich, zwischen Innovationen und Me-Too- Präparaten unterscheiden zu können und indikationsbezogen die Vor- und Nachteile einer Arzneitherapie zu kennen. Das Resultat dieser Überlegungen ist die Festlegung von Standards. Dabei lässt sich für jede Indikation ein Arzneistoff als Leitsubstanz definieren. Als ergänzende, wichtige Information dient die Angabe der »defined daily dose« (DDD) in Milligramm. Sie entspricht der durchschnittlichen Tagesdosis eines erwachsenen Patienten in einer bestimmten Indikation.
Mit diesen Angaben lassen sich Arzneitherapien mit einem ähnlichen therapeutischen Nutzen wirtschaftlich vergleichen. Man kann die Kosten teurer Arzneimittel als ein Mehrfaches der Kosten für die DDD einer Leitsubstanz darstellen. Weiterhin sind mögliche Einsparpotenziale berechenbar, wenn eine Therapie konsequent mit der Leitsubstanz bevorzugt wird. Auf diese Weise lässt sich im Krankenhaus für jede Therapie eine Strategie erarbeiten, damit sie hohen qualitativen Ansprüchen genügt und zugleich wirtschaftlich ist. Bei welchen Indikationen sollte die Leitsubstanz bevorzugt werden? Für welche kommen die anderen Arzneistoffe der Gruppe infrage? Entsprechend werden die Arzneimittellisten des Krankenhauses überarbeitet. Im nächsten Schritt könnte mit den niedergelassenen Ärzten eine gemeinsame Strategie zur Arzneitherapie abgestimmt werden. Die Verordner im stationären und ambulanten Bereich schaffen eine gemeinsame Plattform, entweder als Vertrag oder Arzneimittelliste - die Schnittstelle ist geschaffen.
Neue Aufgaben für Apotheker
Bei der Erarbeitung von Konzepten für die Schnittstelle stationär/ambulant können sich Apotheker inner- und außerhalb des Krankenhauses besonders engagieren. Nach Paragraf 14 Apothekengesetz hat der Leiter der Krankenhausapotheke die Klinikärzte über Arzneimittel zu informieren und zu beraten. Zu seinen Aufgaben zählt auch der Aspekt der wirtschaftlichen Arzneimitteltherapie. Die Schnittstelle ambulant/stationär von der Seite des Krankenhauses zu definieren, bedeutet eine neue Herausforderung für die Krankenhauspharmazie in Deutschland.
Anschrift des Verfassers:
Veit Eck
Apotheke der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik
Großenbaumer Allee 250
47249 Duisburg