Was Pharmazeutische Betreuung leisten kann |
09.01.2007 11:14 Uhr |
Was Pharmazeutische Betreuung leisten kann
Von Nils Keiner, Marion Schaefer und Gerhard Laier-Groeneveld
Bislang vermag keine Therapie die Progression der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) aufzuhalten. Die Verordnung von Arzneimitteln kann jedochin Verbindung mit einer strukturierten Pharmazeutischen Betreuung Beschwerden lindern, Compliance sowie Lebensqualität erhöhen und Krankenhausaufenthalte reduzieren.
Derzeit leiden in Deutschland etwa 10 bis 15 Prozent der erwachsenen Bevölkerung an chronischer Bronchitis. Von ihnen entwickeln im Verlauf der Krankheit circa 15 bis 20 Prozent eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung. Generell wird angenommen, dass Erkrankungen der Lunge nach den kardiovaskulären Erkrankungen zu den führenden Krankheitsursachen gehören werden (1). Entscheidender Faktor für die COPD-Mortalität ist der Tabakkonsum, da nahezu 90 Prozent der COPD-Erkrankungen auf das Rauchen zurückzuführen sind.
Studienziel und Durchführung
Ziel war es, die Pharmazeutische Betreuung bei COPD-Patienten im Krankenhaus mittels verschiedener Zielparameter wie Arzneimitteltherapie, arzneimittelbezogene Probleme, Inhalationstechnik, Lebensqualität, krankheitsbezogenes Patientenwissen, Selbstmanagement und Compliance zu evaluieren und Nutzenaspekte darzustellen. Hierzu wurde von Januar 2004 bis Juni 2005 eine Studie zur klinisch-pharmazeutischen Betreuung in Kooperation von Krankenhausapotheke und der pneumologischen Station am Helios Klinikum Erfurt durchgeführt.
Teilnehmende Patienten erhielten bei ihrer Krankenhauseinweisung und -entlassung sowie nach einem sechsmonatigen Nachbeobachtungszeitraum Fragebögen zur Datenerfassung, unter anderem zu Wissen, Selbstmanagement, Compliance und Lebensqualität. Zusätzlich fanden Interviews statt, um demographische und krankheitsbezogene Merkmale zu erfassen. Weiterhin wurden die arzneimittelbezogenen Probleme erfasst und jeweils zur Aufnahme und Entlassung die Fähigkeiten der Patienten zur richtigen Handhabung ihrer Inhalationsgeräte bewertet.
Zu beiden Erhebungszeitpunkten im Krankenhaus gingen Daten von 105 Patienten in die Auswertung ein. Zur Abschlusserhebung standen Datensätze von 52 Patienten zur Verfügung, da zu diesem Zeitpunkt die Fragebögen ausschließlich postalisch an die Wohnadresse der Patienten zugestellt wurden und kein persönlicher Kontakt mehr bestand.
Die Studienpopulation (n = 105) bestand aus 47 männlichen (44,8 Prozent) und 58 weiblichen (55,2 Prozent) Teilnehmern mit einem Durchschnittsalter von 69,9 Jahren (SD = 6,6). Am häufigsten war die Altersgruppe der 61- bis 70-Jährigen (48,6 Prozent) und 71- bis 80-Jährigen (40,0 Prozent) vertreten, was mit der pathophysiologischen Entwicklung der COPD zusammenhängt (2).
Eine Grundvoraussetzung zur Studienteilnahme war die ärztlich abgesicherte Diagnosestellung COPD, die durchschnittlich bereits 10,2 Jahre zurücklag. Entsprechend klinischer und spirometrischer Parameter konnte dem Großteil der Probanden der COPD-Schweregrad 2 (55,2 Prozent) beziehungsweise Schweregrad 3 (41,0 Prozent) zugeordnet werden.
Obwohl von den pathophysiologischen Faktoren das Zigarettenrauchen die größte Bedeutung hat, verzichteten 14 Patienten der Studienpopulation (13,3 Prozent) nicht auf den Tabakkonsum.
Individuell angepasste Gespräche
Ausgehend von regelmäßigen interdisziplinären Patientenvisiten umfasste die Pharmazeutische Betreuung der Patienten auf der Station umfangreiche Schulungsmaßnahmen zur Erkrankung und Arzneimitteltherapie, zum Atemtraining, zur Ernährung und im Bedarfsfall Informationen zur Raucherentwöhnung und Nikotinersatztherapie.
Der klinische Betreuungsprozess im Rahmen der Pharmazeutischen Betreuung war im Durchschnitt durch drei Betreuungsgespräche mit einem durchschnittlichen Gesamtzeitbedarf von 61 Minuten gekennzeichnet. Inhaltlich waren die Beratungsgespräche an die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten angepasst, dass heißt, individuelle Fragen, Probleme und Themenbereiche hatten Vorrang gegenüber standardisierten Beratungsinhalten. Insgesamt gab es 989 Beratungsthemen, die sich konkreten Themenkategorien zuordnen ließen. Bezogen auf die Gesamtzahl der Themen dominierte die Beratung zum Umgang mit den inhalativen Arzneimitteln (18,1 Prozent), zu deren Art und Wirkungsweise (13,2 Prozent) sowie unerwünschten Wirkungen (12,9 Prozent) und Hintergründen der Erkrankung (10,8 Prozent). Bedingt durch die geringe Anzahl von Rauchern (n = 14) im Studienkollektiv war das Thema Raucherentwöhnung (2 Prozent) nur selten Gegenstand der Beratungsgespräche.
Augenmerk auf AM-bezogene Probleme
Die akute Verschlechterung der COPD als Ursache der stationären Einweisung führte zunächst zu einer Intensivierung der antiobstruktiven Arzneimitteltherapie. Diese betraf neben dem verstärkten Einsatz von inhalativen Glucocorticoiden, Beta-2-Sympathomimetika und Anticholinergika die Verordnung von Glucocorticoiden und Beta-2-Sympathomimetika in Tablettenform. Dennoch hatte die inhalative Wirkstoffapplikation höchste Priorität, um den Arzneistoff gezielt an den Wirkort zu bringen und um systemisch bedingte unerwünschte Arzneimittelwirkungen möglichst auszuschließen. Nebenwirkungen traten in geringen Umfang auf (4,2 Prozent) und äußerten sich in Mundsoor, Heiserkeit, Gewichtszunahme, Unruhe und anderen subjektiven Arzneimittelunverträglichkeiten. Ebenso wie die Arzneimittelinteraktionen wurden sie als essenzieller Teil in den pharmazeutischen Betreuungsgesprächen bearbeitet und einer Lösungsstrategie zugeführt.
Im Verlauf der stationären Betreuung wurden beim Studienkollektiv (n = 105) insgesamt 378 arzneimittelbezogene Probleme dokumentiert, dass heißt pro Patient traten durchschnittlich 3,6 arzneimittelbezogene Probleme auf. Sie wurden nach der Hierarchie des PI-Doc®-Systems klassifiziert und konnten sieben Hauptgruppen zugeordnet werden (3). Am häufigsten wurden die Problemkategorien der »unzweckmäßigen Anwendung durch den Patienten beziehungsweise Compliance«, »unerwünschte Arzneimittelwirkungen« und die krankenhausspezifische Problemkategorie »Patient kennt seine Arzneimittel nicht« erfasst. Der durchschnittliche Zeitbedarf in Bezug auf den Umgang mit den arzneimittelbezogenen Problemen betrug 22 Minuten pro Patient. Die Lösungsstrategien begründeten sich vor allem auf das pharmazeutische Betreuungsgespräch, in dem die Probleme und Maßnahmen zur Problembeseitigung kommuniziert wurden. Sie stützten sich auf die Verbesserung von Handhabungsproblemen mit inhalativen Arzneimitteln wie das Demonstrieren und Trainieren der korrekten Inhalationstechnik. In 15 Prozent der Fälle war die Unterstützung und kooperative Mitarbeit des Arztes notwendig.
Signifikante Verbesserungen
Mittels der intensiven pharmazeutischen Beratungsleistung und der hier dominierenden Beratungsthemen bezüglich der »Handhabung«, »Art/Wirkungsweise« und »unerwünschten Wirkungen« der eingesetzten Arzneimittel sowie der krankheitsbezogenen Informationen konnte das Wissen insgesamt und in den drei Untergruppen »COPD-Erkrankung und Ursachen«, »Symptome und Verhaltensweisen« und »Arzneimitteltherapie« statistisch signifikant gesteigert werden. Gleiches gilt für die Inhalationstechnik der Patienten, die unabhängig vom verwendeten Inhalator statistisch signifikant verbessert werden konnte.
Der Wissenszuwachs und der damit verbundene positive Effekt im Selbstmanagement der Krankheit hielten allerdings nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ohne weitere Pharmazeutische Betreuung nicht an. Bereits nach sechs Monaten reduzierte sich das Wissen der Patienten um durchschnittlich 12 Prozent. Demgegenüber stehen elf Patienten, die auch nach der Krankenhausentlassung eine Pharmazeutische Betreuung in ihren öffentlichen Apotheken erhielten. Ihr Wissen nahm allerdings auch ab, jedoch nur marginal. Es bestätigt sich erneut, dass Schulungsmaßnahmen nur in Form von kontinuierlich angelegten Programmen einen dauerhaften Wissenszuwachs beziehungsweise -erhalt garantieren und folglich auch Verhaltensweisen beeinflussen können. Die Betreuung darf dabei nicht auf eine Versorgungsebene beschränkt bleiben. Vielmehr ist durch gegenseitigen Informationsaustausch eine nahtlose Pharmazeutische Betreuung zu gewährleisten.
Eine Fortsetzung der Pharmazeutischen Betreuung wünschten sich auch die meisten Studienpatienten, die die Pharmazeutische Betreuung im Krankenhaus kennen und schätzen gelernt hatten und in der ambulanten Versorgung nicht darauf verzichten wollten. Die Patienten selbst beurteilten die Pharmazeutische Betreuung im Krankenhaus als informativ und nützlich, ähnlich wie es auch bei Studien in Offizinapotheken nachgewiesen wurde (4, 5).
Auch bei den Fähigkeiten des Selbstmanagements wurde eine signifikante Verbesserung erreicht, ebenso bei der Mitwirkungsbereitschaft der Patienten, Behandlungspläne umzusetzen (Compliance) sowie im Umgang mit krankheitsbezogenen Ängsten und Befürchtungen. In diesem Zusammenhang konnte der Nachweis erbracht werden, dass das verbesserte Verständnis über die Erkrankung hinsichtlich der Ursachen, Symptome und richtigen Verhaltensweise mit einer höheren Fertigkeit im Selbstmanagement und einer gleichzeitigen Abnahme der krankheitsbezogenen Ängste einhergeht.
Erhöhung der Lebensqualität
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität wurde mithilfe standardisierter Fragebögen sowohl zum Studienbeginn als auch zum Studienabschluss beurteilt. Differenziert nach der allgemeinen Lebensqualität und krankheitsspezifischen Lebensqualität ließ sich für die Mehrzahl der einzelnen Domänen beziehungsweise Subskalen eine deutliche Verbesserung feststellen:
Entwicklung der allgemeinen Lebensqualität
Zur Erfassung der gesundheitsbezogene Lebensqualität aus Sicht der Patienten kam der SF-36 (6, 7) zum Einsatz. Die Auswertung der einzelnen Domänen beim SF-36 zeigt, dass der Effekt der Lebensqualitätsverbesserung zwischen den beiden Messzeitpunkten für die Domänen »Körperliche Funktionsfähigkeit« (Z = -4,71, p < 0,001), »Körperliche Rollenfunktion« (Z = -4,30, p < 0,001), »Vitalität« (Z = -3,40, p = 0,001), »Emotionale Rollenfunktion« (Z = -4,17, p < 0,001) und »Psychisches Wohlbefinden (Z = -2,4, p = 0,02) statistisch signifikant war. Nur die Skalen-Mittelwerte der beiden Domänen »Körperliche Schmerzen« und »Soziale Funktionsfähigkeit« waren im Prä-Post-Vergleich rückläufig.
Entwicklung der krankheitsspezifischen Lebensqualität
Die Veränderung der krankheitsspezifischen Lebensqualität wurde mit der deutschen Fragebogenversion des Saint George Hospital Respiratory Questionnaire (SGRQ) (8) erfasst und verdeutlicht, dass sich die Bewertung der Lebensqualität unter besonderer Berücksichtigung der COPD im Studienverlauf in allen drei Subskalen (Symptome, Aktivität, Belastung) und im Gesamtwert signifikant verbesserte.
Deutlicher ökonomischer Nutzen
Die Pharmazeutische Betreuung hatte einen positiven Einfluss auf die Krankenhausverweildauer. Diese betrug für die Studienpatienten durchschnittlich 7,6 Tage, während sie für die nicht betreuten COPD-Patienten der Pneumologie 8,2 Tage beziehungsweise für die COPD-Patienten der gesamten Helios Klinik Erfurt 9,1 Tage betrug.
Im sechsmonatigen Beobachtungszeitraum nach der Krankhausentlassung kam es zu 11 Wiedereinweisungen (21,2 Prozent), von denen 5 (9,6 Prozent) durch die COPD begründet waren. Die im Vergleich dazu höheren Wiedereinweisungsraten von COPD-Patienten ohne gezielte Pharmazeutische Betreuung (12,3 Prozent Pneumologie beziehungsweise 14,5 Prozent Klinikum) beweisen erneut die Notwendigkeit einer kontinuierlichen pharmazeutischen Begleitung der Patienten, da hier die Wiedereinweisung ins Krankenhaus bei lediglich 9,6 Prozent der Patienten erforderlich war.
Zusammenfassung und Ausblick
Die Pharmazeutische Betreuung von COPD-Patienten verbesserte signifikant das krankheitsbezogene Patientenwissen, die Inhalationstechnik beziehungsweise den Umgang mit den Arzneimitteln, das Selbstmanagement, die Compliance sowie die Lebensqualität.
Des Weiteren trugen gezielte Schulungsmaßnahmen zum Umgang mit den Arzneimitteln und die damit verbundene Verbesserung der Inhalationstechnik zu einem gesteigerten Bewusstsein des Patienten für sein Selbstmanagement bei. Insofern fördert der Apotheker die Compliance im Hinblick auf die Arzneimitteltherapie und gibt Hilfestellungen im Krankheitsmanagement.
Zudem konnte gezeigt werden, dass die Pharmazeutische Betreuung von COPD-Patienten einen deutlichen ökonomischen Nutzen durch die Reduktion der Krankenhausverweildauer und der Krankenhausaufenthalte mit sich bringt.
Auch wenn die Arzneimitteltherapie eine tragende Säule in der COPD-Therapie darstellt, vermag keine Therapiemaßnahme die Progression der Erkrankung aufzuhalten. Die therapeutischen Maßnahmen einschließlich der Pharmazeutischen Betreuung können jedoch gezielt die Beschwerden lindern, die körperliche Leistungsfähigkeit und gesundheitsbezogene Lebensqualität verbessern sowie Exazerbationen und Krankenhausaufenthalte reduzieren. Allein der Verzicht auf das Rauchen kann das Fortschreiten der COPD wirksam verhindern beziehungsweise aufhalten. Dieser Sachverhalt ist als präventive Maßnahme von hoher Priorität und sollte noch stärker im Gesundheitsverhalten der Bevölkerung Eingang finden.
Die vollständige Arbeit ist im Cuvillier Verlag, Göttingen, erschienen: Keiner, NR, Pharmazeutische Betreuung von COPD-Patienten im Krankenhaus als Beitrag zu einer integrierten Versorgung. Cuvillier Verlag, Göttingen 2006. ISBN: 3-86727-034-1.
Gedankt sei allen für die Unterstützung und Hilfe, insbesondere den Patienten und Kollegen am Helios-Klinikum Erfurt sowie der ADKA-Stiftung für die finanzielle Unterstützung.
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Murray, C. J. L., Lopez, A. D. Mortality by cause for eight regions of the world: Global Burden of Disease Study. Lancet 1997; 349:1269.
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Für die Verfasser:
Professor Dr. Marion Schaefer
Institut für Klinische Pharmakologie
Invalidenstraße 115
10115 Berlin