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ARZNEISTOFFE

Tirofiban|Aggrastat®|79|1998

STOFFGRUPPE
79 Thrombozytenaggregationshemmer
WIRKSTOFF
Tirofiban
FERTIGARZNEIMITTEL
Aggrastat®
HERSTELLER

Correvio

MARKTEINFÜHRUNG (D)
08/1998
DARREICHUNGSFORM

50 µg/ml Infusionslösung

250 µg/ml Konzentrat

ATC-CODE
B01AC17
ORPHAN DRUG
Nein

Indikationen

Aggrastat zugelassen zur Prävention eines drohenden Myokardinfarkts bei erwachsenen Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Strecken-Hebung, bei denen die letzte Episode von Brustschmerzen während der letzten 12 Stunden auftrat und sich EKG-Veränderungen und/oder erhöhte Myokardenzyme zeigen. Es soll immer zusammen mit ASS und unfraktioniertem Heparin angewendet werden.

Wirkmechanismus

Tirofiban ist der erste nicht-peptidische GP-IIb/IIIa-Rezeptorantagonist. Es wurde aus dem Schlangengift Echistatin entwickelt, welches aufgrund einer RGD-Sequenz TAH-Eigenschaften besitzt.

 

Tirofiban ist eine synthetische niedermolekulare Substanz, die in ihren Strukturmerkmalen der RGD-Sequenz ähnelt. Dadurch ist sie in der Lage, den GP-IIb/IIIa-Rezeptor kompetitiv zu blockieren und die Fibrinogen-Interaktion mit den Thrombozyten zu verhindern. Tirofiban muß intravenös appliziert werden und bindet unabhängig von deren Aktivierungszustand rasch an die GP-IIb/IIIa-Rezeptoren der Thrombozyten. Die Thrombozyten können so mit Tirofiban beladen werden, bevor sie zur Fibrinogenbindung aktiviert werden.

Anwendungsweise und -hinweise

Tirofiban wird intravenös verabreicht und soll zusammen mit ASS und unfraktioniertem Heparin gegeben werden. Die Dosis von Tirofiban und die Dauer der Behandlung richten sich nach verschiedenen Details in Ablauf und Diagnostik des drohenden Myokardinfarkts sowie nach dem Körpergewicht des Patienten. Bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz ist diese Dosis zu halbieren.

Wichtige Wechselwirkungen

Die Anwendung mehrerer TAH erhöht das Blutungsrisiko, ebenso ihre Kombination mit Heparin, Warfarin und Thrombolytika. Klinische und biologische Parameter der Hämostase sollten regelmäßig überwacht werden. Tirofiban sollte nicht zusammen mit zu einer Thrombolyse-Therapie angewendet werden.

Nebenwirkungen

Die in Studien zu Tirofiban (in Kombination mit Heparin, ASS und anderen oralen TAH)  am häufigsten berichteten Nebenwirkungen waren Blutungen. Meist handelte es sich dabei um geringgradige Schleimhautblutungen oder geringgradige Blutungen an Kathetereinführstellen. Ebenfalls berichtet wurden gastrointestinale, retroperitoneale und intrakranielle Blutungen, Hämorrhoidalblutungen und postoperative Blutungen, epidurale Hämatome im Bereich der Wirbelsäule, Hämoperikard und pulmonale (alveoläre) Blutungen. Die schwerste Nebenwirkung waren tödliche Blutungen.

Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen

Tirofiban ist kontraindiziert bei Patienten, die bei einer früheren Anwendung eines GPIIb/IIIa-Rezeptorantagonisten eine Thrombozytopenie entwickelt haben. Da eine Hemmung der Thrombozytenaggregation das Blutungsrisiko erhöht, ist Tirofiban auch bei Patienten mit anamnestisch bekanntem Schlaganfall innerhalb der letzten 30 Tage oder jeglichem bekannten hämorrhagischen Schlaganfall sowie bekannter intrakranieller Erkrankung in der Vorgeschichte, zum Beispiel Neoplasma, arteriovenöse Malformation oder Aneurysma, kontraindiziert. Auch Patienten mit aktiver oder kürzlich zurückliegender klinisch relevanter Blutung, maligner Hypertonie, relevantem Trauma oder größerem operativen Eingriff innerhalb der letzten sechs Wochen dürfen Tirofiban nicht erhalten. Weitere Kontraindikationen sind Thrombozytopenie, Störungen der Plättchenfunktion, Gerinnungsstörungen und schwere Leberinsuffizienz.

Bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Inhaltsstoffe ist das Arzneimittel kontraindiziert.

Studien

Die Wirksamkeit von Tirofiban konnte in drei großen randomisierten Studien nachgewiesen werden. In der PRISM (Platelet Receptor Inhibition for Ischaemic Syndrome Management)-Studie untersuchten Wissenschaftler die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Tirofiban versus Heparin bei 3232 Patienten mit instabiler Angina pectoris beziehungsweise Nicht-Q-Wellen-Myokardinfarkt. Alle Patienten erhielten begleitend ASS, sofern keine Kontraindikation vorlag. Primärer Endpunkt war die kombinierte Häufigkeit von Tod, Myokardinfarkt oder refraktärer Ischämie nach einer 48-stündiger Infusion mit Tirofiban. Die Substanz senkte das Risiko für das Auftreten des primären Endpunktes um 32 Prozent. Das Mortalitätsrisiko sank unter Tirofiban im Vergleich zu Heparin 30 Tage nach Studienbeginn um 36 Prozent.

 

Die PRISM-PLUS-Studie (Platelet Receptor Inhibition for Ischaemic Syndrome Management - Patients Limited by Unstable Signs and Symptoms) untersuchte ein integriertes Behandlungskonzept von konservativer und interventioneller Therapie, das der derzeit gängigen Praxis entsprach. Die Studie schloss 1815 Hochrisikopatienten mit instabiler Angina oder rudimentärem Infarkt ein. Nach 48-stündiger Behandlung mit Tirofiban und Heparin oder Heparin allein erfolgte eine Koronarangiographie. Soweit indiziert, wurde unter laufender Studienmedikation in gleicher Sitzung eine Angioplastie vorgenommen und anschließend die Medikation weitere 12 Stunden fortgeführt. In dieser Studie wurde die Rate von Tod und Myokardinfarkt während der ersten sieben Tage durch Tirofiban im Vergleich zur Heparintherapie von 8,3 Prozent auf 4,9 Prozent gesenkt. Nach 30 Tagen betrug die Risikoreduktion für den kombinierten Endpunkt 22 Prozent. Der Vorteil von Tirofiban blieb sechs Monate erhalten. Den größten therapeutische Effekt registrierten die Wissenschaftler bei Patienten, bei denen eine Angioplastie erforderlich war.

 

In der RESTORE-Studie (Randomized Efficacy Study of Tirofiban for Outcomes and Restenosis) wurde an 2139 Patienten die Gabe von Tirofiban bei interventioneller Therapie der instabilen Angina mittels Angioplastie untersucht. Innerhalb von 30 Tagen ergab sich mit Tirofiban im Vergleich zur Standardtherapie lediglich eine Risikoreduktion von 16 Prozent. Allerdings sank innerhalb der ersten Woche in der Tirofiban-Gruppe das Risiko um 27 Prozent.

 

Alle drei Studien zeigen, dass Tirofiban die Erfolgsaussichten sowohl der konservativen als auch der interventionellen Therapie bei instabiler Angina verbessert.

Hintergrundinfos

Thrombozyten reagieren in vielfältiger Weise auf eine Gefäßwandläsion, zum Beispiel nach der Ruptur einer atherosklerotischen Plaque in einer Koronararterie. Die von den Thrombozyten verursachten hämostatischen Reaktionen können unter Umständen zu lebensbedrohlichen Situationen führen.

 

Bei der Schädigung eines Blutgefäßes wird das Subendothel freigelegt. Vorbeiströmende Thrombozyten erhalten das Signal, sich an der verletzten Stelle anzuheften. Die Thrombozyten-Adhäsion wird durch Bindung des Von-Willebrand-Faktors und anderer adhäsiver Moleküle gefördert. Die Thrombozyten setzen ihrerseits Botenstoffe frei, die zusätzlich zirkulierende Thrombozyten aktivieren.

 

Tirofiban verhindert als GPIIb/IIIa-Rezeptorantagonist die Bindung von Fibrinogen an Thrombozyten und damit deren Quervernetzung beziehungsweise die Thrombusbildung, die nach einer Plaqueruptur in einem atherosklerotisch veränderten Gefäß eingeleitet wird.

Besonderheiten

Aggrastat darf nicht einfrieren und muss vor Licht geschützt aufbewahrt werden.

Aggrastat ist verschreibungspflichtig.

Formeln

Tirofiban

Tirofiban

Die dreidimensionale Strukturformel können Sie mit einem kostenlosen Zusatzprogramm aus dem Internet, zum Beispiel Cortona von Parallelgraphics, ansehen (externer Link).

Tirofiban.wrl

Weitere Hinweise

Die Anwendung von Tirofiban während der Schwangerschaft wird nicht empfohlen, es sei denn, dies ist eindeutig erforderlich. Während der Stillzeit muss entschieden werden, ob das Stillen unterbrochen oder auf die Behandlung mit Tirofiban verzichtet werden soll.

Letzte Aktualisierung: 12.03.2018