»Apotheker wachsen in Notsituationen über sich hinaus« |
Daniela Hüttemann |
03.06.2025 18:00 Uhr |
Brisbane, Australien: Vorkehrungen im März 2025 für den Wirbelsturm Alfred. Fluten und Stürme sind die häufigsten Naturkatastrophen weltweit. / © Imago Images/AAP
Australien hat zunehmend mit Naturkatastrophen zu kämpfen. Die Bilder der riesigen Buschfeuer aus den Jahren 2019 und 2020 gingen um die Welt. Betroffen waren auch viele küstennahe Gebiete – in denen der Großteil der 25 Millionen Australier lebt oder Urlaub macht. »Waldbrände sind für uns normal, aber sie werden häufiger und schwerer«, berichtete Peter Guthrey von der Pharmaceutical Society of Australia bei einem Webinar des Weltapothekerverbands FIP.
»Viele Menschen mussten schnell fliehen und waren abgeschnitten von ihren Medikamenten, manche hatten weder Bargeld noch Kreditkarten«, erzählte Guthrey. Es half, dass die Apotheken in Australien regulär Asthma-Reliever wie Salbutamol sowie den Bedarf wichtiger Medikamente in Notsituationen für drei Tage ohne Rezept abgeben dürfen. Temporäre Sonderregeln erlaubten den Apotheken sogar die Abgabe von Monatspackungen. Die Kosten übernahmen die Regierung beziehungsweise die Krankenversicherung, allerdings mussten die Patienten ihre reguläre Zuzahlung leisten. Zum Teil gaben die Apotheken die Medikamente auf Vertrauensbasis ab.
»Es gibt keinen Strom, keine Kommunikation, also auch keine Zahlungsmöglichkeiten, aber das kümmert uns nicht. Unser Bedenken ist, in diesem Moment sicherzustellen, dass den Menschen geholfen wird und wir ihre Anfragen erfüllen können«, zitierte der Referent den Apotheker Raj Gupta aus Malua Bay an der Ostküste in New South Wales. Gupta verlor bei den großen Buschfeuern seine Apotheke. »Es gibt in Australien eine Reihe von Maßnahmen, um eine Apotheke nach einer Katastrophe an anderer Stelle möglichst schnell wieder zum Laufen zu bringen«, erläuterte Guthrey. Gupta durfte im Gemeindezentrum mit der Arzneimittelversorgung weitermachen. Dafür musste er zeitweise durch Feuer-Risikogebiete pendeln.
In Australien zerstörten Buschfeuer 2019 und 2020 auch große Teile des Dorfes Cobargo. Die Apotheke blieb stehen, durfte aber aus Sicherheitsgründen nicht betreten werden. / © FIP Webinar/Peter Guthrey
Apotheker Emmanuel Pasura schlief sogar zwei Nächte stundenweise in seinem Auto, als der Ferienort Mallacoota an der Südostküste Australiens in Victoria rund um Silvester 2019 vom Feuer eingeschlossen war. Dort hatte sich ein Feuersturm mit enormer Hitze entwickelt. Die Einwohner und Urlauber verharrten zum Teil am Pier, bis sie von der Marine evakuiert wurden.
Mit seinem Personal und einem Generator versuchte Pasura, die Menschen rund um die Uhr bestmöglich zu versorgen. Die einzige Zufahrtstraße war tagelang nicht passierbar. Notpakete mit Salbutamol, Antibiotika und Atemschutzmasken wurden von einem Helikopter abgeworfen. Der Großhändler lieferte per Polizeiboot. Auch später brauchte die Apotheke noch Unterstützung, da über eine längere Phase die Touristen fehlten.
In der Hauptstadt Canberra war zwei Monate lang die Luft so schlecht, dass die Apotheken die Verteilung von Millionen Masken übernahmen (noch vor der Coronapandemie). »Vor allem die respiratorische Gesundheit ist kritisch bei Bränden«, berichtete Guthrey.
Die vier Haupttypen von Naturkatastrophen sind Fluten, Stürme, Erdbeben und Brände. Mit Abstand am häufigsten weltweit treten Fluten auf. Erdbeben seien seltener, forderten aber häufig relativ viele Todesopfer, erläuterte Lucas Ercolin, niederländischer Apotheker und Co-Chair der FIP Human Resilience Advisory Group. Er war bereits in pharmazeutischen Einsätzen in der Ukraine, im Jemen und im Irak. »Apotheker sind nicht direkt dafür ausgebildet, aber seien Sie sicher, Sie können das!«, versicherte Ercolin beim Webinar. Apotheken seien in Katastrophensituationen oft der Informations-Hub schlechthin für viele verzweifelte Menschen und der am besten erreichbare Gesundheitsdienstleister. »Es sind toughe Situationen, in denen man sich plötzlich wiederfindet, und was wir leisten, geht über Regularien und Leitlinien hinaus. Aber es ist unsere Kernaufgabe, Menschen in Not zu helfen.«
Erreichbarkeit war auch bei der Jahrhundertflut in Brisbane und Umgebung 2022 ein großes Thema. Teilweise schlief das Personal einer Krankenhausapotheke dort, um die Minimalversorgung des Krankenhauses aufrechtzuerhalten. Apotheker wachsen in solchen Situationen über sich hinaus – und dürfen auch auf große Solidarität hoffen, so die Erfahrung in Australien.
Apothekerin Skye Swift wurde vom ehemaligen Profisurfer Mick Fanning per Jetski zu ihrer Apotheke im Ort Murwillumbah gebracht, nachdem sie über Social Media um ein Transportmittel gebeten hatte. Ihre war die einzige von vier Apotheken, die nicht unter Wasser stand. Für einige Tage übernahm sie die Patienten der Umgebung, inklusive Methadon-Versorgung. Die Menschen seien dafür immens dankbar gewesen, sagte die Apothekerin damals der Zeitung »The Guardian«.
Ein weiteres Beispiel hatte Referent Guthrey: 2024 wurde die Hauptleitung zum inneraustralischen Ort Broken Hill beschädigt. Apotheker Jason Harvey hatte zwar einen Generator, der jedoch gestohlen wurde – alle kühlpflichtigen Medikamente mussten entsorgt werden. Das Internet funktionierte wochenlang nicht. »Back-ups für Strom und Kommunikation müssen für längere Zeiträume einkalkuliert werden«, betonte Guthrey.
Neben der persönlichen Sicherheit, der Erreichbarkeit, dem fehlenden Strom und Lieferschwierigkeiten sprach Guthrey auch das Thema mentale Gesundheit an. Naturkatastrophen seien traumatische Erlebnisse: Viele Menschen verlören Angehörige und Freunde, ihr Zuhause, ihr gesamtes Hab und Gut. Auch hier hätten Apothekenmitarbeitende ein offenes Ohr gehabt und geholfen, wo sie konnten. Aber: »Wenn Naturkatastrophen häufiger werden, ist dies auch eine größere Belastung und Herausforderung für die Apotheker.«
Selbst nach diesen Erfahrungen gebe es in Australien keine ausreichenden Regeln und Vorbereitungen für kommende Naturkatastrophen. Die Versorgung hänge auch am guten Willen der Apotheker. »Apotheker versuchen, in solchen Situationen das Richtige für ihre Community zu tun.«
Für die Zukunft wünscht sich Guthrey dauerhafte Regelungen, dass Apotheken in Notsituationen unkompliziert Medikamente abgeben dürfen. Zudem müsste sichergestellt werden, dass nicht einzelne Gemeinden Medikamente wie Salbutamol bunkern, wie während der großen Buschfeuer teilweise geschehen. Wichtig sei zudem, die Bevölkerung vor Evakuierungen darauf aufmerksam zu machen, an ihre Medikamente zu denken. Apotheken können hier über ihre Social-Media-Kanäle informieren.