Apotheker könnten mehr für die mentale Gesundheit tun |
Daniela Hüttemann |
08.07.2022 12:30 Uhr |
Aufmerksam zuhören, mitfühlen und mentale Erste Hilfe leisten: Damit können Apotheker psychisch erkrankten Menschen helfen. Und natürlich mit pharmazeutischer Begleitung. / Foto: Getty Images/PeopleImages
»Es wird geschätzt, dass 7 Prozent der weltweiten Krankheitslast und 19 Prozent aller Lebensjahre mit Behinderungen auf psychische Störungen und Suchterkrankungen zurückzuführen sind«, teilte der Weltapothekerverband FIP zur Veröffentlichung seines Handbuchs »Mentale Gesundheitsversorgung« für Apotheker mit. Parallel dazu gibt es einen »Knowledge and skills reference guide for professional development in mental health care«, eine Art Leitfaden, welche Kenntnisse und Fertigkeiten Apotheker dafür mitbringen sollten.
»Wir wissen, dass die Covid-19-Pandemie die Häufigkeit psychischer Erkrankungen erhöht und die Verfügbarkeit von psychosozialen Diensten verringert hat, aber es gab bereits vor der Pandemie in vielen Ländern einen massiven Mangel an psychosozialer Versorgung, der behoben werden muss«, so Paul Sinclair, Vorsitzender des FIP Board of Pharmaceutical Practice. Apotheker könnten eine wichtige Rolle bei der Behebung dieses Mangels spielen und auf diese Weise einen großen Beitrag zur Verbesserung der globalen Gesundheit leisten. »Apotheker können und müssen sich für die psychische Gesundheit engagieren, und diese beiden neuen FIP-Ressourcen unterstützen sie dabei.«
Zu den Kernaufgaben der Apotheken gehören bereits die Adhärenzförderung von Patienten unter Psychopharmaka und das Medikationsmanagement, denn gerade diese Arzneistoffklassen haben ein ausgeprägtes Wechsel- und Nebenwirkungspotenzial. Als niedrigschwellige Anlaufstelle könnten Apotheken zudem beim Screening auf psychische Erkrankungen wie Depression, Sucht und Suizidgefahr mithelfen, »mentale Erste Hilfe« leisten, Betroffene an Spezialisten oder andere Hilfsangebote vermitteln und anschließend die Therapie unterstützen.
»Die Evidenzlage zeigt, dass es sinnvoll ist, Apotheken in die mentale Gesundheitsversorgung einzubinden«, hieß es bei einem begleitenden Webinar. Vorreiter sind hier die angloamerikanischen Ländern.
In der kanadischen Provinz Nova Scotia gibt es zum Beispiel das wissenschaftlich begleitete und staatlich geförderte »The Bloom Program«. Unter dem Motto »Growing well at your pharmacy« bekommen Patienten mit einer oder mehr Diagnosen für eine psychische oder Suchterkrankung oder mit einem Medikationsproblem, dass sie besprechen wollen, eine 1:1-Betreuung durch einen Apotheker. Dieser fungiert als Lotse durch das Hilfesystem der Region, hilft dem Patienten beim Umgang mit seiner Medikation und steht ihm ohne Wartezeit bei Fragen und Problemen zur Seite. Medikationsmanagement machte einer wissenschaftlichen Auswertung zufolge dabei nur 40 Prozent der apothekerlichen Tätigkeiten aus.
In Australien läuft seit 2020 die Studie PharMIbridge (Bridging the gap between physical and mental illness in community pharmacy). In vier Regionen sollen 48 Apotheken insgesamt knapp 200 Patienten mit psychischen Erkrankungen eng betreuen. Die Apotheker wurden zuvor in den Bereichen Therapietreue, Zielsetzung, Motivationsgespräche, Umgang mit körperlichen und komplexen Problemen im Zusammenhang mit psychotropen Medikamenten fortgebildet. Primäres Studienziel ist eine Verbesserung der Adhärenz für die Psychopharmaka über sechs Monate im Vergleich zu einer Kontrollgruppe in Apotheken ohne diese Fortbildung. Sekundäre Outcomes sind das kardiometabolische Risiko und die Lebensqualität mit Schwerpunkt auf körperlichem und psychischem Wohlbefinden, arzneimittelbezogene Probleme, Adhärenz anderer verschriebener Medikamente, Wissen, Vertrauen und Fähigkeit der Apotheker, Menschen mit psychischen Erkrankungen zu unterstützen, und die Auswirkungen auf die Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.