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Harnwegsinfekte

Antibiotika auf dem Prüfstand

Bei der Wahl des Antibiotikums für Frauen mit unkomplizierten Harnwegsinfekten läuft oft einiges verkehrt. In welche Fallen Ärzte dabei häufig tappen, darüber informierte die Krankenhausapothekerin Edith Bennack am Dienstag beim Pharmacon Meran.
Christina Müller
28.05.2019  13:16 Uhr

Das individuell passende Medikament für einen Patienten zu finden, ist manchmal eine Wissenschaft für sich. Ärzte machen es sich da gelegentlich einfach und entscheiden sich für bewährte Mittel oder verschreiben das, was in der entsprechenden Leitlinie an erster Stelle steht. Bei der Behandlung von Frauen mit unkomplizierten Harnwegsinfekten ist das aus der Sicht von Bennack ein dicker Minuspunkt für die Effektivität der Therapie. Denn in der Folge kommen bei dieser Indikation Antibiotika wie Ciprofloxacin und Fosfomycin viel zu häufig zum Einsatz, obwohl deutlich besser geeignete Substanzen verfügbar wären.

Die entsprechende S3-Leitlinie listet als Mittel der Wahl bei unkomplizierten Harnwegsinfekten Fosfomycin, Nitrofurantoin, Nitroxolin und Pivmecillinam auf. »Fosfomycin ist in dieser Reihe aber am schlechtesten wirksam«, sagte Bennack. Es handele sich um eine alphabetische Auflistung, nur deshalb stehe der Wirkstoff an erster Stelle. Die Pharmazeutin vom St.-Elisabeth-Krankenhaus in Köln-Hohenlind zitierte dazu eine Studie, die im Jahr 2018 im Fachjournal »JAMA« erschienen war: Ein Forscherteam um Dr. Angela Huttner vom Universitätsklinikum in Genf, Schweiz, wollte wissen, wie sich die Einmalgabe von 3 g Fosfomycin im Vergleich zu einer Fünf-Tages-Therapie mit je dreimal täglich 100 mg Nitrofurantoin schlägt. Dazu teilten sie die 513 Teilnehmerinnen in zwei Gruppen ein: 255 von ihnen erhielten Nitrofurantoin, 258 bekamen Fosfomycin.

Das Ergebnis: In der Nitrofurantoin-Gruppe notierten die Wissenschaftler 27 Prozent Therapieversager, in der Fosfomycin-Gruppe waren es 39 Prozent. »Das ist richtig schlecht«, kommentierte Bennack. Über die Gründe, weshalb Ärzte trotz deutlicher Überlegenheit gegenüber Fosfomycin so selten Nitrofurantoin verordneten, kann sie nur mutmaßen. Möglicherweise schreckten sie vor einer bestimmten Nebenwirkung zurück: Nitrofurantoin kann Lungenfibrosen verursachen. Die Europäischen Arzneimittelbehörde EMA habe jedoch in ganz Europa seit 2012 lediglich 312 Fälle registriert. 36 Betroffene seien daran gestorben. Dies könnte das Image des Wirkstoffs derart beschädigt haben, dass Ärzte lieber die Finger davon ließen. »Gefühlt ist die Substanz tot«, so Bennack.

Auch ihr Favorit unter den antimikrobiellen Substanzen, das Betalactam-Antibiotikum Pivmecillinam, setze sich bei den Verordnern bisher nicht so richtig durch – und das, obwohl es selbst für Schwangere geeignet sei und kaum Resistenzen gegen den häufigsten Erreger unkomplizierter Harnwegsinfekte, Escherichia coli, aufweise. »Wenn man sieht, wie schwer es Ärzten fällt, sich auf diese Substanz einzulassen, dann tut es weh.«

Ciprofloxacin weise zwar ebenfalls eine sehr gute Wirksamkeit gegen den Keim auf, sollte aber Patientinnen mit schweren Harnwegsinfekten oder Nierenbeteiligung vorbehalten bleiben. Eine Auswertung des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2015, bei dem die Wissenschaftler mehrere zehntausend Proben untersucht hatten, belegt die Relevanz: Demnach kann das Mittel im ambulanten Bereich bereits fast 16 Prozent der Escherichia-coli-Bakterien nichts mehr anhaben, stationär gelten sogar mehr als 24 Prozent als resistent.

Bei Frauen, die mit Anzeichen für einen Harnwegsinfekt in die Apotheke kommen und ein pflanzliches Arzneimittel wünschen, mahnte Bennack zu einer intensiven und vorsichtigen Beratung. »Diese Frauen müssen nicht gleich alle zum Arzt«, sagte sie. Bestimmte Präparate wie die Dreierkombination aus Rosmarin, Tausendgüldenkraut und Liebstöckel (Canephron®) hätten in einzelnen Studien einen positiven Effekt gezeigt. Ob Bärentraubenblätter sich gegenüber Fosfomycin behaupten können, wird sich in den kommenden Jahren zeigen: Die sogenannte REGATTA-Studie befindet sich laut Bennack derzeit in der Rekrutierungsphase.

Mannose-Produkte seien bei akuten Beschwerden nicht geeignet. Für die Prävention wiederkehrender Infekte konnte jedoch eine Studie mit mehr als 300 betroffenen Frauen zeigen, dass der Zucker sogar mit Nitrofurantoin mithalten kann: Während in der Antibiotika-Gruppe (50 mg Nitrofurantoin einmal täglich) im Beobachtungszeitraum von sechs Monaten mehr als 20 Prozent ein Rezidiv erlitten, waren es in der Mannose-Gruppe (einmal täglich 2 g) lediglich 14,6 Prozent. In der Kontrollgruppe trat bei rund 60 Prozent der Probandinnen erneut ein Harnwegsinfekt auf.

Treten jedoch Symptome wie Fieber oder Blut im Urin auf, sei der Gang in die Praxis unerlässlich, erinnerte Bennack an die Grenzen der Selbstmedikation. »Sie dürfen nicht über den Punkt hinausgehen, an dem es kritisch wird!« 

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