Angriff auf unsere Werte |
Christina Hohmann-Jeddi |
10.10.2018 14:26 Uhr |
Bei der Eröffnung des Deutschen Apothekertags forderte ABDA-Präsident Friedemann Schmidt die Politik zum Handeln auf: »Es ist höchste Zeit.«
Die Apothekerschaft ist für die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zuständig. Sie trägt die Verantwortung für diesen komplexen und mit Risiken behafteten Prozess der Arzneimittelabgabe. »Unsere Fehler können andere Menschen töten«, so Schmidt. Wer die Verantwortung für solch einen Prozess trage, müsse nicht nur selbst sicherstellen, dass die rechtliche und fachliche Ordnung eingehalten werde, sondern dies auch von allen anderen Beteiligten fordern.
Die fachliche und rechtliche Ordnung in der Arzneimittelversorgung nehme aber seit Längerem – und besonders in diesem Jahr – Schaden, sagte Schmidt. Auch Patienten hätten Schaden genommen, was das Schlimmste sei. Zum einen sei hier der Zyto-Apotheker aus Bottrop zu nennen, der Krebsmedikamente gepanscht hatte und inzwischen wegen Betrugs verurteilt wurde. Einzelfälle wie diese seien nur schwer zu verhindern. Zum anderen sei aber auch ein systemisches Versagen zu beobachten, machte Schmidt deutlich und nannte die beiden großen Arzneimittelskandale dieses Sommers: den Fall der verunreinigten Valsartan-Präparate und die Lunapharm-Affäre.
Mit Schuld an diesen Skandalen sei die Verschiebung des Wertefokus im Gesundheitswesen – von der Fokussierung auf Qualität und Sicherheit hin zu Preis und Kosten, sagte der ABDA-Präsident. »Und die verantwortliche Politik hat diesen Prozess unterstützt oder zumindest nicht verhindert.« Er warnte davor, den freien Waren- und Kapitalverkehr als Wert an sich zu betrachten – sie sollten vielmehr den Menschen dienen. Doch vielen Menschen machten die Entwicklungen Angst, etwa vor dem Verlust der sicheren Lebenswelten, die sie umgeben. Auch viele Apotheker hätten Angst, aber nicht vor Veränderungen. Diese könnten einen so alten Berufsstand nicht erschrecken. Gerade im Bereich der digitalen Technologien würde die Apothekerschaft aktiv die Prozesse mitgestalten.
Angst hätten aber Apotheker davor, dass Veränderungen den Totalverlust bringen könnten. In den vergangenen zwölf Monaten mussten wieder 300 Apotheken schließen, sagte Schmidt. In der Versorgungsstatistik der Europäischen Union liege Deutschland mit der Apothekenzahl mittlerweile im unteren Drittel. Viele Apotheker entscheiden sich heute auch gegen eine Selbstständigkeit, weil ihnen das Grundvertrauen in die Politik fehle, die »wild gewordene Ökonomie« zu zähmen und kleine inhabergeführte Unternehmen, wie Apotheken, zu unterstützen.
Zudem sei das Vorsorgesystem in Deutschland brüchig geworden, indem zum einen die professionelle Selbstverwaltung im Zuge der europäischen Harmonisierung geschwächt wurde und zum anderen die staatliche Aufsicht auf allen Ebenen finanziell und personell ausgedünnt wurde. Vertrauen in protokollierte Prozesse löse immer mehr die persönliche Kontrolle ab – das spürten auch die Kollegen von der Apothekenaufsicht. Das gelte aber auch für die Aufsicht der globalisierten Produktions- und Vertriebsprozesse der pharmazeutischen Industrie und des Großhandels und für die grenzüberschreitende Apothekenaufsicht. Diese gebe es eigentlich gar nicht, machte Schmidt deutlich. Niemand überwache die Einhaltung der nötigen Qualitätskriterien in den für den Versandhandel nach Deutschland zugelassenen Ländern.
Die Apotheker erwarteten aber, dass sich Apotheken, Großhändler und Versandunternehmen, die sich an der deutschen Arzneimittelversorgung beteiligen wollen, nicht nur die verbindlichen Preisvorschriften des deutschen Arzneimittelrechts halten, sondern auch die gleichen Sicherheits- und Qualitätsanforderungen erfüllen müssen. Die Einhaltung dieser Anforderungen müsse mit gleicher Intensität überwacht und Verstöße ebenso bestraft werden wie bei deutschen Betriebsstätten. »Recht, das nicht überwacht und durchgesetzt wird, ist kein Recht, sondern Absichtserklärung«, sagte Schmidt.
Offensichtliche Widersprüche im Rechtssystem erzeugten Gefühle von Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit. Dieses Gefühl sei bei den Kollegen derzeit sehr stark, stärker als jemals zuvor in seiner berufspolitischen Zeit, machte Schmidt deutlich. »Die Regeln sind verletzt und das Versorgungssystem ist es auch.« Daher sei es höchste Zeit für politisches Handeln.
Schmidt verbittet sich Verbesserungsvorschläge von wenig Informierten. Nahezu jeder fühle sich derzeit berufen, zu erklären, wie das Apothekenwesen effizienter gestaltet werden könne. Dabei sei es modern geworden, die Welt als Unternehmen und die Menschen als seine Mitarbeiter oder Kunden zu verstehen. Dieser Blödsinn greife auch im Gesundheitswesen immer weiter um sich. Diese ewige Besserwisserei sei kontraproduktiv und nerve.
In besonderem Maß gelte dies für Vorschläge des GKV-Spitzenverbands. Dieser habe sich während des Valsartan-Skandals, als Patienten sich verunsichert und wütend an die Apotheken wandten und sich wegen drohender doppelter Zuzahlung beschwerten, bedeckt gehalten und keine Lösung für dieses Problem für alle Mitgliedskassen geliefert. Stattdessen veröffentlichte die Grundsatzabteilung des Verbands ein apothekenpolitisches Papier, das vorschlägt, viele Apotheken zu schließen – während die Apotheker zeitgleich damit beschäftigt sind, das Vertrauen der Patienten in die Arzneimitteltherapie zu retten. »Dieses Verhalten ist an Frechheit eigentlich nicht zu überbieten«, sagte Schmidt. Der GKV-Spitzenverband wünsche sich häufig von der Politik den Mut für notwendige Strukturveränderungen. »Vielleicht sollte die Politik tatsächlich den Mut haben und bei diesem Verband anfangen.«
Gerade in der Valsartan-Krise habe das Apothekenwesen gezeigt, was es kann. In kürzester Zeit habe man einen Rückruf für ein häufig eingesetztes Arzneimittel bewältigt und tausenden Patienten geholfen. Die Apothekerschaft habe ihr Vertrauenskapital, das sie in der Bevölkerung hat, genutzt, um eine Situation zu bereinigen, die sie nicht verschuldet hat.
Schmidt hofft, dass auch die Politik gemerkt hat, dass die beste Versorgung nicht die billigste ist, sondern eine sichere und patientennahe. Er forderte den anwesenden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf, sich zum bestehenden Apothekensystem zu bekennen und die »Schreibtischstrategen, Ideologen und Erbsenzähler«, die auf verantwortungslose Weise zur Strukturzerstörung aufrufen, im Zaum zu halten. »Wir brauchen keine ökonomische Klugscheißerei, sondern klare und verlässliche Rahmenbedingungen.«
Foto: PZ/Alois Müller