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Obduktion von Pflegeheimbewohnern

Zu viele ungeeignete Medikamente

Alte Menschen in Pflegeeinrichtungen erhalten häufig für sie ungeeignete Arzneimittel oder Arzneimittel-Kombinationen. Das haben Rechtsmediziner herausgefunden, die verstorbene Bewohner dieser Einrichtungen für eine Studie obduziert haben.
Anna Pannen
22.10.2018  13:58 Uhr

Morgens zwei weiße Pillen, mittags drei blaue, abends wieder etwas Anderes – betagte Bewohner von Pflegeeinrichtungen haben oft gleich mehrere Krankheiten und müssen deswegen verschiedene Arzneimittel einnehmen. Eine solche Medikation muss aufmerksam geplant werden. Schließlich kann es schnell zu Interaktionen der verschiedenen Wirkstoffe kommen. Auch sind einige Medikamente generell nicht für sehr alte Patienten geeignet: Sie stehen auf der sogenannten Priscus-Liste.

Nicht alle Pflegeeinrichtungen scheinen die Medikation ihrer Bewohner jedoch sorgfältig genug zu prüfen. Das hat eine Forschergruppe am Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München herausgefunden. Die Mediziner observierten 100 Bewohner von Altenheimen, die auch dort verstorben waren. Urin, Blut und Haare der Toten wurden in einem forensisch-toxikologischen Labor auf Medikamentenrückstände getestet.

Man habe herausfinden wollen, ob und wie häufig die Verstorbenen für sie ungeeignete Medikamente eingenommen hatten, erklärten die Wissenschaftler. Also etwa Präparate aus der Priscus-Liste oder Arzneimittel, die nicht von einem Arzt verordnet, sondern eigenständig durch Pflegekräfte gegeben worden waren. Auch habe man erfahren wollen, ob Medikamente überdosiert oder als freiheitsentziehende Maßnahme genutzt, also Patienten damit »ruhiggestellt« worden waren. Nicht zuletzt habe man auch untersucht, ob die Gabe eines Medikaments gar todesursächlich war.

Die Studie wird erst 2019 abgeschlossen, doch die Wissenschaftler um Sabine Gleich haben nun schon erste Ergebnisse veröffentlicht. Demnach hatten die untersuchten 100 Toten im Schnitt 5 Medikamente eingenommen. Der höchste Wert bei einem Patienten waren 12 unterschiedliche Präparate. Bei fast jedem zweiten Bewohner (47 Prozent) wiesen die Rechtsmediziner Antipsychotika nach, bei jedem dritten (30 Prozent) Antidepressiva. Ein Viertel der Verstorbenen (22 Prozent) hatte Hypnotika oder Sedativa eingenommen - eine Arzneimittelgruppe, die laut Priscus-Liste für dieses Lebensalter kontraindiziert ist.

»Die Medikamentenkombinationen scheinen in mehreren Fällen nicht den Leitlinien der Fachgesellschaften zu entsprechen«, schreiben die Studienautoren. Es gebe Hinweise auf eine gleichzeitige Verordnung mehrerer Opioidanalgetika sowie mehrerer oder langwirksamer Hypnotika. Auch hatten viele Bewohner verschiedene zentralnervös wirksame Substanzen eingenommen, was immer ein hohes Nebenwirkungs- und Interaktionsrisiko bedeute.

Bei den Antipsychotika waren die beiden häufigsten nachgewiesenen Substanzen Pipamperon und Risperidon, bei den Antidepressiva Mirtazapin und Citalopram, bei den Opioidanalgetika Tilidin und Fentanyl. Hatten die Toten Hypnotika eingenommen, dann besonders oft Lorazepam oder Oxazepam. Bei den Antikonvulsiva standen Pregabalin und Gabapentin an der Spitze.

Die Forschergruppe wertet derzeit noch weitere Details anhand von weiteren Blut- und Haarproben aus und analysiert die Medikationspläne der obduzierten Patienten. Für das kommende Jahr ist dann eine ausführliche Fachpublikation geplant. /

Foto: Shutterstock/Rido

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