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Kommunikation

Zellen senden RNA-Botschaften

Neuen Erkenntnissen zufolge setzen Zellen RNA frei, über die sie sich mit anderen Zellen austauschen können. Gerade im Immunsystem ist das ein wichtiger Kommunikationsweg. Störungen können Krankheiten verursachen – und zum Beispiel zur postnatalen Depression führen, vermuten Forschende.
Christina Hohmann-Jeddi
14.10.2022  11:00 Uhr

Es wird zunehmend deutlicher, dass RNA nicht nur intrazellulär wichtige Funktionen übernimmt, sondern auch außerhalb von Zellen. Sowohl pro- als auch eukaryotische Zellen können RNA aktiv freisetzen. Dabei liegen die RNA-Moleküle anschließend nicht nackt vor, da sie durch die überall zu findenden Ribonukleasen (RNasen) rasch abgebaut würden, sondern sie befinden sich geschützt in Vesikeln, Liposomen oder Proteinkomplexen verpackt.

Verschiedene Formen von extrazellulärer RNA (ExRNA) können freigesetzt werden: So wurden bereits Boten-RNA (mRNA), Transfer-RNA (tRNA), Micro-RNA (miRNA), small interfering RNA (siRNA) und long non coding-RNA (lncRNA) außerhalb von Zellen gefunden.

Noch ist die Funktion der ExRNA nicht vollständig geklärt. Sie dient aber offenbar der interzellulären Kommunikation. So gibt es Hinweise darauf, dass ExRNA in den Empfängerzellen über RNA-Interferenz dortige Boten-RNA und somit die entsprechende Proteinproduktion unterbinden kann. Umgekehrt kann eine übertragene mRNA in der Empfängerzelle aber auch die Bildung von funktionsfähigen Proteinen erwirken. Extrazelluläre RNA wurde bislang mit der Blutzelldifferenzierung, dem Stoffwechsel und dem Immunsystem in Verbindung gebracht.

Gerade im Immunsystem spielt ExRNA offenbar eine wichtige Rolle bei der Regulation der Immunantworten. Sie scheint dabei ähnlich wichtig zu sein wie Chemo- und Zytokine (»Journal of Biological Chemistry« 2016, DOI: 10.1074/jbc.R115.708842). Zudem ist sie ein wichtiger Kommunikationsweg in der Embryonalentwicklung und in der Schwangerschaft.

Mögliche Ursache der postnatalen Depression

Dass Fehler in der Kommunikation via ExRNA Probleme verursachen können, zeigt eine aktuelle Untersuchung von Forschenden um Professor Dr. Lauren Osborne von der Weill Cornell Medicine in New York, die im Fachjournal »Molecular Psychiatry« erschienen ist. Das Team untersuchte, welche Rolle die RNA-Moleküle bei der Entstehung der postnatalen Depression spielen.

Hierfür ermittelte es den mRNA-Gehalt in extrazellulären Vesikeln (EV-mRNA) im Blut von Schwangeren im zweiten und dritten Trimenon der Schwangerschaft und bis zu sechs Monate nach der Geburt. Sie verglichen die Daten von sieben Frauen, die nach der Geburt eine Wochenbettdepression entwickelt hatten, mit sieben nicht betroffenen, gematchten Frauen.

Es zeigte sich, dass sich die EV-mRNA-Level bei Frauen mit postnataler Depression in der Schwangerschaft und nach der Entbindung deutlich von denen der nicht betroffenen Frauen unterschieden. Vor allem mRNA-Moleküle, die mit der Autophagie assoziiert sind, waren reduziert. Störungen dieser zellulären Müllabfuhr könnten eine Ursache der postnatalen Depression sein, vermuten die Forschenden.

»Von Defiziten in der Autophagie nimmt man an, dass sie toxisch wirken und Veränderungen im Gehirn und im Körper bewirken können, die bei Depressionen eine Rolle spielen«, sagt Dr. Jennifer Payne, Koautorin der Studie, in einer Mitteilung der University of Virginia Health System. Da es verschiedene Autophagie-induzierende Wirkstoffe gibt, hoffen die Autoren auf neue therapeutische oder prophylaktische Ansätze bei postnataler Depression.

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