Wie wirken endokrine Disruptoren? |
Das EU-finanzierte Projekt »Obelix« (Obesogenic endocrine disrupting chemicals: linking prenatal exposure to the development of obesity later in life) befasste sich schon zwischen 2009 und 2013 mit dem Zusammenhang von endokrinen Disruptoren und Fettleibigkeit (Obesity), speziell für die sechs Hauptklassen Dioxine, polychlorierte Biphenyle (PCB), bromierte Flammschutzmittel, Organochlorpestizide, Phthalate und perfluorierte Alkylsäuren (PFAA). Im epidemiologischen Studienteil wurden Geburtsgewicht, Wachstum und Body-Mass-Index (BMI) bei Kindern betrachtet.
Dabei waren die perinatale Exposition gegenüber PCB 153 mit einem verringerten Geburtsgewicht, die Exposition gegenüber Dichlordiphenyldichlorethen (DDE) mit einem schnellen Wachstum bei Kleinkindern und die Exposition gegenüber Dioxin-ähnlichen Chemikalien mit einem erhöhten BMI assoziiert. Auch in Tierstudien fanden die Wissenschaftler Stoffwechselveränderungen, beispielsweise veränderte Lipidspiegel; allerdings war die Assoziation zum Körpergewicht hier weniger eindeutig (13).
Bisphenol A (BPA) ist das bekannteste Mitglied der Substanzgruppe der Bisphenole, die sich chemisch über zwei Hydroxyphenyl-Gruppen charakterisiert; daher der Trivialname (Tabelle 3). Bisphenol A wurde seit den 1950er-Jahren bei der Produktion verschiedener Gegenstände des täglichen Lebens eingesetzt: in Kunststoffen für Plastikflaschen und Epoxidharzen zur Beschichtung von Bodenbelägen, zur Innenbeschichtung von Getränkedosen, Konserven und Verpackungsmaterial, in CD und DVD, Spielzeug und Plastikgeschirr bis hin zu Farbentwicklern in dem inzwischen verbotenen Thermopapier von Kassenzetteln (3).
BPA wirkt auf vielfältige Organsysteme (Tabelle 4). Es zeigt deutliche Affinität zu Estrogenrezeptoren, wobei die Affinität zu ER-β- stärker ist als zu ER-α-Rezeptoren. Aus Tierstudien ist bekannt, dass BPA die Entwicklung von Gehirn und Reproduktionsorganen sowie Stoffwechselvorgänge stört und zur Adipozyten-Hypertrophie, zu veränderter Anzahl der Fettzellen und einem veränderten Fetteinbau führt. Neben der Schädigung der Betazellfunktion kann BPA auch die PPAR-γ-Signalgebung kompetitiv hemmen und Entzündungsmarker und oxidativen Stress steigern (14, 15).
Organsystem | Effekt auf |
---|---|
gesamter Körper | Körpergewicht, Fettmasse |
Fettgewebe | Adipozyten-DifferenzierungGlucoseaufnahmeEntzündung |
Gehirn (Hypothalamus) | Vermittlung von Hunger und Sättigung über Pro-Opiomelanocortin-(POMC-)Neurone |
Bauchspeicheldrüse | Insulinsekretion, Betazellstruktur |
Leber | oxidativer Stress, Entzündung, Adipozyten-Hypertrophie, Hepatotoxizität |
Muskel | Insulinresistenz |
Schilddrüse | TSH-Reduktion |
Geschlechtsorgane | Unfruchtbarkeit, sexuelle Dysfunktion, reduziertes Körpergewicht von Neugeborenen |
Epidemiologische Studien zum Einfluss im Menschen beschreiben einen Zusammenhang von BPA und Adipositas, Typ-2-Diabetes mellitus, Unfruchtbarkeit der Frau, sexueller Dysfunktion beim Mann, verringertem Geburtsgewicht und neurologischen Veränderungen beim Kind (3, 16). So zeigt eine Metaanalyse von 16 Studien aus den Jahren 1980 bis 2019 mit insgesamt 41.320 Teilnehmern einen Zusammenhang zwischen Bisphenol-A-Konzentrationen (gemessen in Urin, Serum und Gewebeschnitten) und dem Risiko für Typ-2-Diabetes mellitus (17). Außerdem gibt es erste Hinweise auf einen Einfluss von BPA auf die TSH-Konzentration bei Kindern und damit die Schilddrüsenaktivität (18).
2011 wurde der Einsatz von BPA zumindest in Babyflaschen aus Polycarbonat in der EU verboten. Infolgedessen wurde die Substanz in vielen Verbraucherprodukten durch die Strukturanaloga Bisphenol S (BPS) und Bisphenol F (BPF) ersetzt. Allerdings wurden inzwischen auch für diese Stoffe schädigende Effekte nachgewiesen, neben endokrinen Effekten auch Zyto- und Genotoxizität, Reproduktionstoxizität, Dioxin-ähnliche Wirkungen und Neurotoxizität (14).